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SPORTMEDIZIN/208: Das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin in Köln (f.i.t.)


f.i.t. - Forschung . Innovation . Technologie Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 2/2008

Das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin
Anfänge und Erreichtes

Ein Beitrag von Wildor Hollmann, Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin


Vor 50 Jahren, am 1. April 1958, wurde an der Deutschen Sporthochschule Köln als erstes Hochschulinstitut das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin gegründet. Initiator und erster Institutsleiter war der international renommierte Sportmediziner Prof. mult. Dr. Dr. h.c. mult. Wildor Hollmann. "Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss von Bewegung, Training und Sport sowie den von Bewegungsmangel auf den gesunden und kranken Menschen jeder Altersstufe in der Absicht, die erhobenen Befunde der Gesundheitserhaltung, Therapie und Rehabilitation sowie dem Sportler selbst dienlich zu machen", so schilderte Wildor Hollmann die Hauptaufgaben seines neuen Instituts. Diese Definition der Sportmedizin übernahm knapp 20 Jahre später der Weltverband für Sportmedizin, deren Ehrenpräsident Hollmann heute noch ist.


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Anfänge nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Tag des Waffenstillstands am 8./9. Mai 1945 lag Deutschland in Schutt und Asche. Das galt auch für seine Kliniken und Forschungseinrichtungen. Die Stadt Köln war aufs Schwerste verwüstet. Nach vierjähriger Kriegs- und Gefangenschaftszeit fand ich zum Sommersemester 1947 einen Studienplatz in Köln. Am 2. Mai 1947 begann mein Studium in der Lindenburg, der Medizinischen Universitätsklinik. Schmale, aufgerissene und hügelige Wege verbanden halbzerstörte Gebäude. Rechts und links befanden sich Schilder mit der Aufschrift: "Achtung! Ungeräumte Minen, Lebensgefahr!" Mein Slogan hierzu lautete: "Physikumsanblick gewohnte Studenten nehmen jedes Hindernis." In den Hörsälen waren die Dächer - soweit vorhanden - regendurchlässig. Regenschirme gab es fast keine. Man saß durchweg auf dem Fußboden und ließ sich halt bei schlechtem Wetter einregnen. Für den jeweiligen Dozenten spielte das kaum eine Rolle, da er sowieso kein Demonstrationsmaterial besaß und sein Wissen nur rhetorisch vermitteln konnte. Man erhielt als Student nur dann seine Zulassung zu einem Praktikum, wenn man mindestens drei Monate lang im Interesse des betreffenden Fachgebietes Schutt geräumt hatte, was testiert wurde. Praktisch entfielen damit die Semesterferien.

Zerstörtes Gebäude der Lindenburg

Abb. 1:
In diesem fast noch zerstörten Gebäude der Lindenburg (Medizinische Universitätsklinik Köln) begannen 1948 experimentelle spiroergometrische Untersuchungen durch Knipping.


Medizinische Doktorarbeit in der Sporthochschule Köln

Im Spätsommer 1949 erfuhr mein Freund Norbert Tietz, dass in der Medizinischen Universitätsklinik eine neuartige Apparatur geplant war, mit der man, wie gesagt wurde, zuverlässig die Leistungsfähigkeit von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel des Menschen messen könnte. Das apparative Ungeheuer, 9m² bedeckend, hieß Spiroergometrie. Prof. Dr. Knipping, Direktor der Medizinischen Universitätsklinik Köln, hatte die Methode mit seinem Lehrer Brauer schon 1929 erfunden. Die Technik war jedoch bisher nicht in der Lage gewesen, den wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Das sollte sich mit der neuen Anlage ändern. Sie wurde auf Wunsch von Knippping in der seit 1947 in Köln vorhandenen Sporthochschule aufgebaut. Man hatte dort genügend gesunde Probanden, die sich freiwillig für experimentelle Untersuchungen zur Verfügung stellten.

Wir waren im Souterrain des Ostflügels im Müngersdorfer Stadion untergebracht, ein Teil der damaligen Sporthochschule. Es handelte sich um einen 36m² großen Raum, dessen Boden und Wände noch von Granateinschlägen beschädigt waren. Notdürftig flickten wir den Boden. Die von uns mühsam zusammengebaute Apparatur funktionierte sogar zu unserem Erstaunen, wenn sie auch anfällig war für Bedienungsfehler.

Hauptangriffsziel war dann ein 8-Wege-Hahn, der leicht in eine falsche Position gebracht werden konnte. Geschah das, trat in dem geschlossenen Luftsystem mit seinen ca. 70 l Luft ein Überdruck ein, welcher alle Glasröhren - Kunststoff gab es damals nicht - zerplatzen ließ. Unsere Kunst als Doktoranden bestand in solchen Fällen darin, dem höchst erschrockenen Probanden oder auch Patienten klar zu machen, dass die Explosion Teil des Experiments gewesen sei.

Wir beendeten unsere experimentelle Tätigkeit 1953 und werteten nun die Befunde für eine medizinische Dissertationsschrift aus. Die Promotion zum Dr. med. folgte 1954. Damit war das erste Kapitel "Sporthochschule" für uns abgeschlossen.

Spiroergometrieanlage in der Sporthochschule Köln 1949

Abb. 2:
Spiroergometrieanlage in der Sporthochschule Köln 1949.


Währungsreform und Herzinfarkt

Mit Beginn der 1950er Jahre stieg die Herzinfarktquote in der Bundesrepublik Deutschland rapide an. Knipping diskutierte in einer Arztbesprechung, ob die dramatisch zugenommene Motorisierung und Automatisation sowohl im dienstlichen als auch im privaten Lebensbereich nicht nur das Übergewicht fördern würde, sondern auch den Bewegungsmangel. Welche Bedeutung gesundheitlicher Art allerdings dem Faktor "Bewegungsarmut" zukam, war noch völlig unbekannt. Darum beauftragte mich Knipping, experimentelle Untersuchungen hierzu durchzuführen. Gesunde Studenten mussten sich tage- oder wochenlang einer absoluten Bettruhe unterziehen. Vorher und hinterher wurde die Leistungsfähigkeit von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel gemessen, verbunden mit weiteren gesundheitsbezogenen Faktoren. Das Ergebnis: Leistungsverluste und erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Nunmehr beschritten wir den umgekehrten Weg, die Untersuchung des Einflusses von qualitativ und quantitativ unterschiedlichem Training auf den gesunden menschlichen Organismus. Auch hierüber existierten international so gut wie keine zuverlässigen Befunde. Hier lautete das Resultat: Alle gesundheitsbezogenen Gesichtspunkte konnten im Bereich der inneren Organe durch Ausdauerbeanspruchungen verbessert werden, während Krafttraining keinerlei Einfluss besaß. Andererseits erfuhren wir von skandinavischen Untersuchungen, dass Krafttraining nicht nur die Skelettmuskulatur, sondern den gesamten Halte- und Bewegungsapparat des Körpers inklusive des Knochenbaues positiv verändern würde. Dementsprechend empfahlen wir Ausdauertraining als ein mögliches Mittel zur Herzinfarktprävention, was auf heftigen Widerstand führender Internisten stieß.


Institutgründung und -entwicklung

Für unsere Laboruntersuchungen standen uns nur die Nachtstunden zur Verfügung, da tagsüber die Patientenbetreuung und Stationsarbeit natürlicherweise Vorrang besaß. Das brachte mich 1956 auf die Idee, die Gründung eines eigenständigen Instituts ins Auge zu fassen, in welchem klinisch-physiologischen Fragestellungen ganztägig nachgegangen werden konnte. Erste diesbezügliche Kontaktaufnahmen zu Prof. Carl Diem als Rektor der Sporthochschule und Prof. Hugo-Wilhelm Knipping als Direktor der Medizinischen Universitätsklinik ließen viel Sympathie für den Gedanken erkennen. Nach Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten menschlicher und sachlicher Art waren zwei Jahre vergangen, bis es zur Institutsgründung kam.

Die bisher in der Sporthochschule schon vorhandene Spiroergometrie-Anlage und der zugehörige Raum hatte man großzügig "Sport-Internistisches Institut" genannt, obwohl kein Personal und kein Etat zur Verfügung stand. Die von mir angesichts der damals überragenden Bedeutung der Herz-Kreislaufforschung vorgeschlagene Bezeichnung "Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin" (Sporthochschule Köln in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universitätsklinik Köln) fand Billigung. So konnte in einem bescheidenen Rahmen die Gründungsakte verfasst und unterschrieben werden, genau eine DIN-A4-Seite lang.

Am Vorabend des Gründungstages kam Knipping zu mir ins biochemische Labor der Klinik und fragte mich, was ich denn unter der Bezeichnung "Sportmedizin" verstehen würde. Es müsste eine feste Fachdefinition geben, welche nicht existierte. Ich folgte seiner Anregung und erstellte die Fassung: "Sportmedizin beinhaltet diejenige theoretische und praktische Medizin, welche den Einfluss von Bewegung, Training und Sport sowie den von Bewegungsmangel auf den gesunden und kranken Menschen jeder Altersstufe und beiderlei Geschlechts untersucht, um die Befunde der Prävention, Therapie und Rehabilitation sowie dem Sporttreibenden dienlich zu machen."

Diese Formulierung befand Knipping für gut. Wir konnten nicht ahnen, dass 19 Jahre später - 1977 - der Weltverband für Sportmedizin (FIMS) in Tokio diese Formulierung offiziell übernehmen und ins Englische, Spanische, Französische und Russische übersetzen würde.

Unverändert stand dem Institut nur der erwähnte einzige Raum zur Verfügung, ohne Personal und Geldmittel. Die Forschungsarbeit fand in Verbindung mit Gastärzten der verschiedensten Nationen aus der Medizinischen Universitätsklinik statt. Oft fuhren wir mit 12 bis 14 Ärzten in der Straßenbahn von der Lindenburg zum 3 km entfernten Müngersdorf, wo sich die Gastärzte einerseits als Probanden, andererseits als Untersucher zur Verfügung stellten. Viel Spaß und Freude empfanden wir dabei. Es war stets eine lustige Gesellschaft, die eines gemeinsam hatte: Wenig oder nahezu gar kein Geld, aber viele Pläne. Manche von den damaligen Gastärzten machten später beruflich Karriere, in Italien, Griechenland, Türkei, Kuba oder dem Iran. Da ich weiterhin ganztägig in der Universitätsklinik arbeitete, benötigte ich jemanden, der in der Bedienung der Spiroergometrieapparatur angelernt werden konnte, um unsere experimentellen Untersuchungen über den Tag hinweg durchzuführen. Es fand sich eine intelligente junge Frau, die bei den Ford-Werken als Packerin tätig war. Für einen Monatslohn von 200 DM bestritt sie nun einen 9-stündigen Arbeitstag. Für die Finanzierung sorgte das 1955 gegründete Kuratorium für die Sportmedizinische Forschung in Deutschland, welches mir ab 1957 erste Forschungsmittel zur Verfügung gestellt hatte. Der Sportarzt der Sporthochschule, Dr. Bruno Spellerberg, arbeitete im Raum gegenüber unserem Institut, so dass ärztliche Hilfe im Notfall garantiert war. Ab 1961 standen erstmals Mittel für zwei ausgebildete medizinisch-technische Assistentinnen zur Verfügung. Seitens des Kulturministeriums kam die Anfrage, ob ich die Einbeziehung des Instituts als Bestandteil der Sporthochschule wünschte. Ich bejahte. 1963 kam der erste Arzt hinzu. Bereits 1960 war der Grundstein zu einem Neubau der Sporthochschule gelegt worden, in dem unser Institut mit zehn Räumen vertreten war, davon acht Labors. Am 1. März 1963 bezogen wir die neuen Räumlichkeiten.

Manche Ärzte und Mitarbeiterinnen kamen in den 1960er Jahren hinzu. Das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin platzte schon Ende der 1960er Jahre aus allen Nähten. Ich wandte mich darum an den zuständigen Ministerialdirigenten im Düsseldorfer Kultusministerium, Vogtmann, um die Möglichkeiten eines Neubaues zu sondieren. Zu meiner Überraschung schlug Vogtmann vor, nicht nur mein Institut, sondern alle naturwissenschaftlichen Einrichtungen in einem neu zu errichtenden Institutsgebäude zu vereinen. Dazu müsste ich aber mit dem Ministerpräsidenten und dem Bauminister sprechen, zweckmäßigerweise als Rektor der Sporthochschule. Aus diesem Grunde stimmte ich meiner Wahl zum Rektor 1969 zu, obwohl ich bis zu dem Zeitpunkt alle Funktionärsaufgaben ablehnte, um mich ausschließlich der ärztlichen und forscherischen Tätigkeit widmen zu können. Bei Amtsantritt 1969 nannte ich in meiner Rektoratsrede zwei Hauptziele: Die Anerkennung der Deutschen Sporthochschule Köln als wissenschaftliche Hochschule und den Neubau aller naturwissenschaftlichen Institute. Den Rang einer selbstständigen Universität mit eigenem Promotions- und Habilitationsrecht erhielten wir schon 1970. Der Neubau allerdings verzögerte sich immer wieder, obwohl schon im Jahr 1970 im Landeshaushalt Nordrhein-Westfalen erste Mittel vorgesehen waren. Mit vielen Interventionen und Anstrengungen konnte das Projekt erst im April 1980 beendet werden, und wir hielten Einzug in unser wunderschönes neues Institut, welches allen Anforderungen der Zeit genügte.


Forschungsrichtungen und -ergebnisse

Um hämodynamische und metabolische Untersuchungen während dosierter Ergometerarbeit durchführen zu können, bedurfte es erheblicher technischer Voraussetzungen. Das von Knipping entwickelte Drehkurbelergometer mit im Stehen verrichteter Arbeit eignete sich nicht dazu. Deshalb ersetzten wir es 1954 durch ein Fahrradergometer, welches von Prof. Dr. E.A. Müller vom Dortmunder Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie konstruiert worden war.

Fahrradergometer nach E.A. MÜLLER

Abb. 3:
Fahrradergometer nach E.A. MÜLLER.


Fahrradergometer waren zu der Zeit auch international weitestgehend unbekannt; nach Angabe von Müller existierten in Deutschland 12 solcher Geräte, von denen 8 im Dortmunder Institut standen. Als erstes sollte das international unbekannte Blutdruckverhalten während dosierter Ergometerarbeit gemessen werden. Die üblichen Apparaturen erwiesen sich als ungeeignet, da sich bei Tretkurbelarbeit das Kettengeräusch des Fahrradergometers stärker bei der Blutdruckmessung auswirkte als das arterielle Geräusch. Deshalb konstruierten wir - gemeinsam mit dem Diplom-Ingenieur Sander - die erste halbautomatische Blutdruckmessapparatur der Welt, die während körperlicher Arbeit mittels eines Mikrophons den Blutdruck anzeigte. Die spätere, von der Kölner Firma Elag vorgenommene fabrikmäßige Herrichtung war bei der Weltausstellung für Medizinische Elektronik in New York 1960 das einzige seiner Art.

Erstes fabrikmäßig hergestelltes Blutdruckmessgerät für Blutdruckerfassung während Ergometerarbeit (FA. ELAG, Köln)

Abb. 4:
Erstes fabrikmäßig hergestelltes Blutdruckmessgerät für Blutdruckerfassung während Ergometerarbeit
(FA. ELAG, Köln).


Nun konnten wir Gefäßkatheterungen, Herzkatheterungen, Isotopenuntersuchungen und später Muskelbiopsien in Verbindung mit der spiroergometrischen Untersuchung vornehmen. Die Weiterentwicklung des Fahrradergometers führte uns 1974 zu dem ersten voll elektronisierten, computerisierten Fahrradergometer der Welt, genannt "Dynavit". Es sollte zur "Mutter" aller späteren Ergometergenerationen werden.

1954 war der Leibarzt des amerikanischen Präsidenten Eisenhower, Paul D. White, Gastarzt in der Medizinischen Universitätsklinik Köln. Er erlebte unsere Experimente spiroergometrischer Art mit und führte nach seiner Rückkehr in die USA das dort unbekannte Fahrradergometer ein. Dennoch dauerte es Jahrzehnte, bis ein nennenswerter Prozentsatz der kardiologischen Einrichtungen der USA über ein Fahrradergometer verfügte. Bis dahin bevorzugte man den "Master-Stufentest" anstelle eines Ergometers.

Mittels der Arbeits-Blutdruckmessungen stellten wir fest, dass grundsätzlich bei gesunden Personen mit der Arbeitsintensität auch der systolische Blutdruck ansteigt. Das war in den 1950er Jahren neu; so schrieb Knipping mit seinen Mitarbeitern noch 1955 im damaligen Standard-Lehrbuch der Kardiologie "Untersuchung und Beurteilung des Herzkranken", jede Erhöhung des Blutdrucks bei körperlicher Arbeit sei pathologischer Natur. Erstmals konnten wir auf diese Weise die Existenz von "Arbeits-Hypertonikern" feststellen, Personen, die in Körperruhe über normale Blutdruckwerte verfügten. Der "Goldstandard" der menschlichen Leistungsmessung war die Bestimmung der maximalen Sauerstoffaufnahme/min. Sie erfordert die maximale Belastung des Patienten - je nach Diagnose nicht ohne Gefahren - und ist darüber hinaus von der Motivation des Betreffenden abhängig. Darum führten wir mit experimentellen Untersuchungen, die 1955 begannen, 1959 das Prinzip der Bestimmung des aerob-anaeroben Übergangs ein. Hierzu wurden bei ansteigender vorgegebener Arbeitsgröße u.a. das arterielle Laktatverhalten und das Atemminutenvolumen bestimmt. Beide Methoden mit ihren vielfältigen, später entwickelten Varianten setzten sich international nicht nur in der klinischen Medizin, sondern Dank der Weiterentwicklung durch unseren Mitarbeiter Mader auch im Training des Hochleistungssportlers durch.

Erste graphische Darstellung des aerob-anaeroben Übergangs

Abb. 5a:
Erste graphische Darstellung des aerob-anaeroben Übergangs (heutige Bezeichnung "Schwelle") bei simultaner Bestimmung des Atemminutenvolumens (ventilatorische Schwelle) und des arteriellen Laktatspiegels (Laktatschwelle) (nach HOLLMANN, 1959).

4-mmol-Laktatschwelle nach Mader bei den jeweiligen deutschen Meisterinnen auf der 100/200-m, 400-m, 800-m, 1500-m- und Marathondistanz (nach FÖHRENBACH ET AL., 1983)

Abb. 5b:
4-mmol-Laktatschwelle nach Mader bei den jeweiligen deutschen Meisterinnen auf der 100/200-m, 400-m, 800-m, 1500-m- und Marathondistanz (nach FÖHRENBACH ET AL., 1983).


In den 1960er Jahren folgten die internationalen Erstbeschreibungen des Hypoxietrainings und des Hyperoxietrainings im Labor.

Neben den Untersuchungen über die gesundheitsbezogene Bedeutung von längerer Bettlägerichkeit entwickelten wir Minimal-Trainingsprogramme zur Prävention von Herz-Kreislaufkrankheiten. Die Summe dieser Befunde gab in Verbindung mit skandinavischen, russischen und tschechischen Untersuchungen die Grundlage ab für eine Resolution, die wir 1966 im Rahmen des Weltkongresses für Sportmedizin an die WHO richteten. Es wurde die Bitte geäußert, überprüfen zu wollen, inwieweit die international übliche 4- bis 6-wöchige absolute Bettruhe des Herzinfarktpatienten angesichts der neuen experimentellen Befunde noch begründbar sei; stattdessen wurde Frühmobilisation, Bewegungstherapie und Rehabilitation mittels Training vorgeschlagen. Die WHO reagierte zwar schnell mit mehreren einschlägigen Symposien, jedoch dauerte es bis 1977, als die endgültige Festschreibung der neuen Behandlungsmethode des Herzinfarktpatienten anlässlich eines WHO-Symposions in Luxemburg erfolgte.

Man kann die Umgestaltung der Herzinfarkttherapie von der wochenlangen Bettruhe auf die körperliche Bewegung als die größte, therapiebezogene Revolution in der Kardiologie des 20. Jahrhunderts betrachten.

Ferner ermittelten wir in den 1960er und 1970er Jahren Normalwerte für das Leistungsverhalten von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel im Kindes- und Jugendalter. Die früher übliche negative Betrachtungsweise der Akzeleration konnte korrigiert werden. Ferner beobachteten wir strukturelle Trainingsadaptationen schon im vorpuberalen Alter wie z.B. die frühe Entwicklung eines Sportherzens bei entsprechendem Ausdauertraining (ROST ET AL.).

Bereits in den 1950er Jahren stellten wir überdurchschnittliche Werte der maximalen Sauerstoffaufnahme bei Sporttreibenden älteren und alten Personen fest. Es schlossen sich systematische diesbezügliche Untersuchungen an. Es konnte festgestellt werden, dass selbst im hohen Alter noch eine qualitativ unveränderte Trainierbarkeit im Sinne struktureller Adaptationen besteht. Das gilt sowohl für die Hämodynamik als auch für den Metabolismus.

Abb. 6:
Die maximale Sauerstoffaufnahme (ml/kg • min-1) bei untrainiert gewesenen 55- bis 70-jährigen Männern vor (----) und nach (- - -) einem 8-wöchigen Fahrradergometertraining. Die durchschnittliche Leistungsfähigkeit von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel ist analog den Durchschnittswerten von 20 Jahre jüngeren Personen angewachsen (nach HOLLMANN, LIESEN ET AL., 1975).


Auf Initiative der Oberärzte Rost und Liesen wurde in Verbindung mit Lagerström und später Bjarnason-Wehrens eine neue Form ambulanter kardiologischer Rehabilitation entwickelt, ein Verfahren, welches vom nordrhein-westfälischen Kultusminister Girgensohn die offizielle Bezeichnung "Kölner Modell" erhielt und 1977 offiziell für alle Städte und Gemeinden empfohlen wurde. Es konnte später mehrfach modifiziert und auf eine Fülle von anderen Krankheiten übertragen werden.

Stoffwechselforschungen der 1970er und 1980er Jahre führten zu neuen praktischen Anwendungen in der Trainingsbetreuung sowohl des Hochleistungssportlers als auch des Gesundheitssportlers. Diese Methoden gehen vor allem auf Mader und Heck zurück. Weitere Stoffwechseluntersuchungen, inauguriert von Dufaux und Liesen, ergaben verschiedene Erstpublikationen über Gesichtspunkte des Immunsystems, des C-reaktiven Proteins, der Serumenzymkinetik bei Ausdauerbelastungen, der Plasmaproteine und der akute Phasen Reaktoren.

Abb. 7:
Einfluss von Ausdauertraining auf die Serumkonzentration der Proteinase-Inhibitoren α2 Makroglobulin (α2-M), α1-Antitrypsin (α1-A) und C1-Inhibitor (C1-Inh.) und das Immunglobulin M (Ig M). Die schraffierte Säule gibt die Werte nach dem Training an. A = Infarktpatienten, die eine signifikante Zunahme der Leistungsfähigkeit erfuhren. B = gesunde Personen des 6. und 7. Lebensjahrzehnts, die ein intensives 3-monatiges Ausdauertraining durchführten. C = Sportstudenten des 3. Lebensjahrzehnts, die 9 Wochen lang 4-mal wöchentlich einen 10.000-m-Lauf durchführten (nach LIESEN ET AL., 1978).


Diese Richtung erfuhr in den 1990er Jahren und im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts eine Vertiefung durch Endothelforschungen von Predel sowie durch zellmolekulare Untersuchungen von Bloch und Brixius. Letztere Untersuchungen erbrachten einige grundsätzliche neue Erkenntnisse über Trainingseffekt im biomolekularen Bereich.

Das in unserem Institut zunächst relativ wenig beachtete Gebiet der Einflüsse von Sport und Training auf die Frau wurde in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre sowie in den folgenden zwei Jahrzehnten vor allem durch Platen ausgebaut. Auch hier konnten grundsätzlich neue Erkenntnisse gewonnen werden z.B. im Rahmen der Osteoporoseforschung und der Anorexiewirkungen.

Die weiterentwickelten spiroergometrischen Untersuchungsverfahren eigneten sich auch hervorragend für die Diagnostik der im Anfangsstadium beginnenden Arbeitsinsuffizienzen des Herzens. In Verbindung hiermit sowie durch die simultan vorgenommenen Laboruntersuchungen waren wir bereits Anfang der 1960er Jahre in der Lage, präventive kardiologische Empfehlungen geben zu können. Das große Medieninteresse, welches unserem Institut gewidmet war, veranlasste eine Vielzahl von prominenten Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft, sich Untersuchungen im Institut zu unterziehen. Spitzenpersönlichkeiten des internationalen Adels, Ministerpräsidenten und weltbekannte Orchesterdirigenten befanden sich unter ihnen.

1985 bildeten wir eine neue Forschungsgruppe in Verbindung mit dem Max-Planck-Institut für Hirnforschung (Direktor: Prof. Dr. Heiss) und der Kernforschungsanlage in Jülich (Direktor der medizinischen Abteilung: Prof. Dr. Feinendegen), um Gehirnforschung zu betreiben. Bis dahin war das Gehirn das einzige menschliche Organ, welches sich allen experimentellen Untersuchungen zur Frage der Beeinflussung durch akute Arbeit und chronisches Training entzog. Es galt sogar in manchen Lehrbüchern der Satz, keine körperliche Aktivität könnte hämodynamische oder metabolische Reaktionen im Gehirn erzeugen.

1987 erschien unsere auch weltweit erste Beschreibung der regionalen Gehirndurchblutung bei unterschiedlich dosierter Fahrradergometerarbeit. Grundsätzlich zeigte sich in allen untersuchten Gehirnabschnitten eine signifikante Durchblutungsvermehrung. 1991 schloss sich eine Publikation über den regionalen Glukosestoffwechsel im Gehirn in Verbindung mit Beanspruchungen auf allgemeine aerobe Ausdauer an. Es konnte festgestellt werden, dass es nicht nur die Glukose ist, die vor allem bei körperlicher Arbeit metabolisiert wird, sondern wir vermuteten damals u.a. Ketonkörper des Fettstoffwechsels. Diese Aussagen sollten sich bestätigen, verbunden mit der später gewonnenen Erkenntnis anderer Arbeitskreise, dass sogar Milchsäure vom Gehirn als Stoffwechselprodukt verwertet wird, ähnlich der Verhaltensweise des Skelettmuskels.

In anderen Untersuchungen wiesen wir den Zusammenhang zwischen der vermehrten Produktion endogener opioider Peptide bei körperlicher Arbeit und dem Zusammenhang mit verbessertem Wohlbefinden bis hin zum Runner's High nach (ARENTZ ET AL.). Zahlreiche weitere Untersuchungen schlossen sich an über den Einfluss von akuter Arbeit und chronischem Training auf Neurotransmitter und deren Rezeptoren (STRÜDER ET AL., ROJAS ET AL.). Schließlich konnten die schon in den 1980er Jahren erhobenen Befunde von DE MEIRLEIR ET AL. bestätigt werden, wonach bestimmten Gehirnabschnitten, vornehmlich dem präfrontalen Kortex, eine leistungsbegrenzende Rolle sowohl für Kraft- als auch für maximale Ausdauerbeanspruchungen zukommt (DE MEIRLEIR ET AL., HOLLMANN, STRÜDER ET AL.).

Belastungsdauer bis zur Erschöpfung unter Einfluss von Paroxetin, verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAA) und Tyrosin. Signifikante Verkürzung der maximalen Arbeitszeit unter Paroxetin (nach STRÜDER ET AL., 1995)

Abb. 8:
Belastungsdauer bis zur Erschöpfung unter Einfluss von Paroxetin, verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAA) und Tyrosin. Signifikante Verkürzung der maximalen Arbeitszeit unter Paroxetin (nach STRÜDER ET AL., 1995).


Wegen der Interdisziplinparität der Gehirnforschung prägten wir 1997 die Bezeichnung "Bewegung-Neurowissenschaft" (Exercise Neuroscience), 2008 "Cerebrologie". Heute dürfte das Gebiet der Gehirnforschung in Verbindung mit körperlicher Arbeit das wichtigste Zukunftsgebiet medizinischer Forschung schlechthin sein.

Habilitationen und Professuren aus dem Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin:

Habilitationen

1961 Hollmann
1965 Hartung
1977 Rost
1978 Liesen
1984 Dufaux
1984 Mader
1985 Weber
1986 Zimmermann
1987 Heck
1990 Völker
1997 Platen
1998 Predel
1999 Bjarnason-Wehrens
1999 Strüder
2006 Graf
2008 Schmidt

Professuren

1965 Hollmann (Lehrstuhl für Kardiologie und Sportmedizin)
1969 Hartung (Lehrstuhl für Höhenmedizin der Universität Merida/Venezuela)
1973 Schmücker (C3-Professur für Sportmedizin an der Universität Oldenburg)
1981 Rost (Lehrstuhl für Sportmedizin der Universität Dortmund)
1985 Mader (C3-Professur für Sportmedizin)
1985 Weber (C3-Professur für Sportmedizin)
1987 Liesen (Lehrstuhl für Sportmedizin der Universität Paderborn)
1987 Zimmermann (Lehrstuhl für Sportmedizin der Universität Bielefeld)
1990 Rost (Lehrstuhl für Kardiologie und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln)
1990 Heck (Lehrstuhl für Sportmedizin der Ruhr-Universität Bochum)
1994 Völker (Lehrstuhl für Sportmedizin der Universität Münster)
2000 Hartmann (Lehrstuhl für Theorie und Praxis der Sportarten der Technischen Universität München)
2001 Strüder (C3-Professur für Sportmedizin/Sportbiologie der Technischen Universität Chemnitz)
2001 Predel (Lehrstuhl für präventive und rehabilitative Sport- und Leistungsmedizin im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin)
2002 Strüder (Lehrstuhl für Trainings- und Bewegungslehre der Individualsportarten der Deutschen Sporthochschule Köln)
2004 Bloch (Lehrstuhl für molekulare und zelluläre Sportmedizin im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin)
2004 Lampe (C3-Professur für Sportmedizin der Universität Bremen)
2005 Platen (Lehrstuhl für Sportmedizin und Sporternährung der Ruhr-Universität Bochum)
2008 Bjarnason-Wehrens (APL-Professorin Deutsche Sporthochschule Köln)

Die Forschungstätigkeiten des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin wurden mit insgesamt 42 Forschungsauszeichnungen bedacht.

Mitarbeiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin waren in vielen nationalen und internationalen Spitzenämtern tätig (u.a. Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin, Präsident des Weltverbandes für Sportmedizin, Präsident des Sportärztebundes Nordrhein, Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft, Rektor und Prorektor der Deutschen Sporthochschule Köln).


Zusammenfassung

Es wird die Entwicklung des Instituts aus dem zerstörten Nachkriegs-Deutschland heraus bis zum heutigen Tage dargestellt. Die Anfänge beruhen auf der Spiroergometrie und ihrer Weiterentwicklung. Sie ermöglichte exakte Aussagen über die Leistungsfähigkeit und die Beeinflussungsmöglichkeiten von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel. Die wesentlichen Forschungsrichtungen und -ergebnisse erfahren ebenso eine kurze Beschreibung wie Forschungsergebnisse vom Kindes- bis zum Seniorenalter, beim gesunden und kranken Menschen. Die Darstellung schließt mit einer Auflistung der für das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin vollzogenen Habilitationen und ausgesprochenen Professuren.


Literatur beim Autor.


Univ.-Prof. mult. Dr. med. Dr. h. c. mult. Wildor Hollmann, geboren 1925 in Menden/Sauerland, gründete 1958 das Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln. 1965 übernahm er den neu gegründeten Lehrstuhl für Kardiologie und Sportmedizin. Als Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln gelang ihm die Anerkennung der Hochschule als eine wissenschaftliche Einrichtung des Landes NRW mit eigenem Promotions- und Habilitationsrecht. 1990 emeritierte er, blieb aber weiterhin speziell in der Gehirnforschung tätig. 1997 prägte er den Begriff "Bewegungs-Neurowissenschaft", 2008 als Summenbezeichnung für die multidisziplinäre Gehirnforschung die Bezeichnung "Cerebrologie".
E-Mail: hollmann@dshs-koeln.de


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Quelle:
F.I.T.-Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln
Nr. 2/2008 (13. Jahrgang), Seite 6 - 12
Herausgeber: Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski
Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln
Deutsche Sporthochschule Köln
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F.I.T. Wissenschaftsmagazin erscheint zweimal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2009