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INNERE/1427: Moderne Therapie des Bauchaortenaneurysmas - Hautschnitt ist überholt, jetzt wird punktiert (DGIM)


Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin - 3. Juni 2020

Moderne Therapie des Bauchaortenaneurysmas

- Hautschnitt ist überholt, jetzt wird punktiert
- Schlüsselloch-Technik in örtlicher Betäubung bringt schnellere Genesung


Berlin - Krankhafte Erweiterungen der Bauchhauptschlagader, sogenannte Bauchaortenaneurysmen, sind ab einer bestimmten Größe tickende Zeitbomben, die das Leben bedrohen. Um sie auszuschalten, stehen minimalinvasive Eingriffstechniken zur Verfügung. Dabei schieben Gefäßchirurgen ein individuell angepasstes, beschichtetes Drahtgeflecht über einen Zugang in der Leiste bis in die Hauptschlagader - entweder über einen kleinen Hautschnitt oder über eine nur millimetergroße Einstichstelle. Die Punktionstechnik kann in örtlicher Betäubung erfolgen. Warum dieser Schlüsselloch-Eingriff bevorzugt werden sollte, erläutern Experten der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG).

Bauchaortenaneurysmen (BAA) sind Ausweitungen der Hauptschlagader, die besonders häufig bei Männern im höheren Alter auftreten. Ab einem Durchmesser von 5,5 Zentimetern erreichen sie bei Männern eine lebensbedrohliche Größe, bei Frauen schon ab 4,5 Zentimeter. "Reißt das Aneurysma ein, führt das zu schweren inneren Blutungen, die trotz sofortiger Operation nur in etwa 60 Prozent der Fälle überlebt werden, sofern die Patienten das Krankenhaus lebend erreichen", erläutert DGG-Experte Professor Dr. med. Jörg Heckenkamp. Um dies zu verhindern und BAAs frühzeitig zu entdecken, steht seit 2017 allen Männern ab 65 Jahren einmalig eine kostenlose Ultraschalluntersuchung zu. "Liegt ein BAA vor, muss entschieden werden, ob und wie es ausgeschaltet wird", fügt der Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie am Marienhospital Osnabrück hinzu.

Hautschnitt ist überholt - jetzt wird punktiert

Lange Zeit wurden BAAs ausschließlich über einen großen Bauchschnitt offen operiert, bis Ende des vergangenen Jahrhunderts minimalinvasive Techniken Einzug hielten. "Bei diesen endovaskulären Verfahren platzieren Gefäßchirurgen über die Leistenarterien einen Stent-Graft in die Hauptschlagader, der das Aneurysma von innen überdeckt", erläutert Heckenkamp. Für die endovaskuläre Aneurysma-Ausschaltung - EVAR genannt - war zunächst ein chirurgischer Schnitt von etwa vier Zentimetern in der Leiste üblich, um über die freigelegten Zugangsarterien Katheter mit Operationsbesteck und Stent einzubringen. Nun hat sich in den vergangenen Jahren eine noch schonendere Methode bewährt: die perkutane endovaskuläre Aneurysma-Ausschaltung (PEVAR). Dabei führen Chirurgen den Katheter direkt über ein kleines Loch in der Haut in die Leistenarterie ein.

Weniger Wundkomplikationen, schnellere Genesung

Damit kommt PEVAR praktisch ohne chirurgische Schnitte aus. "Es entsteht beim Eingriff nur ein kleines Zugangsloch von wenigen Millimetern", erklärt Heckenkamp. Das bringt PEVAR Vorteile gegenüber EVAR, wie Studien inzwischen belegen. "PEVAR ist nicht nur genauso sicher wie EVAR", berichtet der DGG-Experte. "Die Wundheilung ist auch nachweislich besser, es gibt seltener Komplikationen." Zudem spüren die Patienten weniger Schmerzen, sie genesen insgesamt schneller. "Die Patienten können meist wenige Stunden nach dem Eingriff wieder aufstehen und laufen", so der Gefäßchirurg. Zum Verschließen des Lochs, das bei der PEVAR-Punktion entsteht, greifen die Chirurgen auf verschiedene Systeme zurück - auf Knoten, aber auch Pfropfen, Plomben oder Clips. "Welchen Verschluss wir wählen, ist abhängig von der Größe des Stent-Grafts, den wir einführen", erläutert Heckenkamp. Der Operateur sollte in dieser Technik gut trainiert sein und über viel OP-Erfahrung verfügen, rät der DGG-Experte.

Eingriff erfolgt in der Regel in örtlicher Betäubung

Ein PEVAR-Eingriff erfolgt in der Regel in örtlicher Betäubung oder rückenmarksnaher Regionalanästhesie, auf Wunsch aber auch in Allgemeinnarkose. "Das hängt von dem Zustand der Gefäße und der Einstellung des Patienten ab", so Heckenkamp. "Bei großer Nervosität ist eine Vollnarkose vorzuziehen, weil der Patient sich sonst aus einer Unruhe heraus während der Platzierung des Stent-Grafts bewegen könnte." Ausschlusskriterien für PEVAR sind eine starke Verkalkung der Beckenarterien oder extremes Übergewicht. Wie alle minimalinvasiven BAA-Eingriffe zieht auch PEVAR eine lebenslange Nachsorge in Form von regelmäßigen Computertomografie- und Ultraschallkontrollen nach sich.

Insgesamt werden heute 70 bis 80 Prozent aller BAAs minimalinvasiv operiert. Der Rest der Eingriffe erfordert nach wie vor eine offene Bauchoperation. Gefäßchirurgen in zertifizierten Gefäßzentren bieten alle Methoden an und können entsprechend beraten.


Zertifizierte Gefäßzentren an Kliniken:
https://www.gefaesschirurgie.de/patienten/zertifizierte-gefaesszentren/

Informationen zum BAA-Screening:
https://www.g-ba.de/downloads/17-98-4330/2017_08_17_G-BA_Merkblatt_Versicherteninformation-Bauchaortenaneurysmen_bf.pdf
https://www.aerzteblatt.de/archiv/197960/Bauchaortenaneurysma-Lieber-aktiv-als-passiv-screenen
http://www.baa-screening.de/

Literaturhinweise:
Dwivedi K. et al.
Long-Term Evaluation of Percutaneous Groin Access for EVAR.
Cardiovasc Intervent Radiol. 2019 Jan;42(1):28-33.
doi: 10.1007/s00270-018-2072-3. Epub 2018 Oct 4.

Dunn K. et al.
Safety and Effectiveness of Single ProGlide Vascular Access in Patients Undergoing Endovascular Aneurysm Repair.
J Vasc Surg. 2020 Apr 7. pii: S0741-5214(20)30482-1.
doi: 10.1016/j.jvs.2020.03.028. [Epub ahead of print]

Uhlmann ME. et al.
Successful percutaneous access for endovascular aneurysm repair is significantly cheaper than femoral cutdown in a prospective randomized trial.
J Vasc Surg 2018; 68: 384-339

S3-Leitlinie zu Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Bauchaortenaneurysmas
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/004-014l__S3_Bauchaortenaneurysma_2018-08.pdf

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Quelle:
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
Pressemitteilung vom 3. Juni 2020
Irenenstraße 1, 65189 Wiesbaden
Postfach 2170
65011 Wiesbaden
Telefon: 0611 / 205 80 40-0, Fax: 0611 / 205 80 40-46
E-Mail: info@dgim.de
Internet: www.dgim.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2020

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