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HNO/249: Tinnitus - Alles eine Sache der Gewöhnung? Training kann gegensteuern (idw)


Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie - 11.09.2013

Tinnitus - alles eine Sache der Gewöhnung?

Fähigkeit des Gehirns, sich an Geräusche zu gewöhnen, ist bei Tinnituspatienten offensichtlich gestört. Training kann gegensteuern.



Ohrgeräusche sind ganz normal und tauchen bei fast allen Menschen gelegentlich auf. Sind sie dauerhaft vorhanden, spricht man von einem Tinnitus. Tinnituspatienten sind häufig durch die dauerhaften Geräusche sehr beeinträchtigt. Eine Arbeitsgruppe aus Rostock ist nun dem Phänomen weiter auf den Grund gegangen und hat festgestellt, dass Tinnituspatienten, statt sich an immer wieder kehrende Geräusche zu gewöhnen, diesen sogar wachsende Aufmerksamkeit zukommen lassen. Es ist bekannt, dass bei Tinnitus-Patienten die kortikale Aufmerksamkeit oft verändert ist. Man geht bei diesen Menschen davon aus, dass der Tinnitus durch eine Fehlfunktion der neuronalen Verarbeitung verursacht wird, durch die Ohrgeräusche anstatt abgeschwächt zu werden eher verstärkt wahrgenommen werden. Der Kopf wendet die Aufmerksamkeit demnach stärker auf das Ohrgeräusch hin anstatt das Geräusch durch Abnahme der Aufmerksamkeit abzuschwächen. Den Vorhang der Abschwächung eines Signals oder Geräusches nennt man auch Habituation; man kann diese daran erkennen, dass ein tickender Wecker in der Nacht irgendwann nicht mehr stört. Die fehlende Aufmerksamkeit auf das Geräusch hin blendet das Ticken aus. Ganz im Gegensatz dazu kann fehlende Habituation zu einer Zunahme der Intensität des nächtlichen Wecker-Tickens führen, was dann als sehr störend empfunden werden kann.

Habituationseffekte lassen sich auch bei der Messung des Elektro-Enzephalogramms (EEG) feststellen. Dabei werden Töne präsentiert, wobei auf einen bestimmten Ton schnell mit Tastendruck reagiert werden muss. Normalerweise kann im Verlauf von 32 derartigen Durchgängen eine Habituation, also eine Abnahme der EEG-Kurven beobachtet werden. Die Arbeitsgruppe um den Medizinpsychologen Professor Peter Kropp aus Rostock konnte nun bei Menschen mit einer länger andauernden Tinnitus-Erkrankung zeigen, dass die EEG-Kurven sogar zunahmen. Und zwar umso stärker, je länger die Patienten bereits unter dem Tinnitus litten. Dies deutet darauf hin, dass mit zunehmender Erkrankungsdauer Ohrgeräuschen eine immer größere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Damit wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt, durch den sich die Ohrgeräusche hartnäckig halten können. "Die Erkenntnisse der Studie weisen deutlich darauf hin, dass beispielsweise die Tinnitus-Retraining-Methode, ein sehr erfolgreiches psychotherapeutisches Habituationstraining zur Behandlung des Tinnitus, das Übel offensichtlich an der Wurzel anpacken kann", sagt Prof. Kropp, der Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie. "Möglicherweise wird man in Zukunft die EEG-Kurven sogar nutzenkönnen, um den Patienten ihren Trainingserfolg direkt zurückzumelden und damit das Training noch effizienter zu gestalten."


Literaturverweis:
Kropp P, Hartmann M, Barchmann D, Meyer W, Darabaneanu S, Ambrosch P, Meyer B, Schröder D, Gerber WD (2012).
Cortical habituation deficit in tinnitus sufferers: contingent negative variation as an indicator of duration of the disease.
Appl Psychophysiol Biofeedback. 37(3):187-193.
doi: 10.1007/s10484-012-9193-2.


Die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP) ist eine interdisziplinäre Fachgesellschaft und befasst sich seit Jahrzehnten mit Forschung an der Schnittstelle von Psychologie und Medizin
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Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie
www.dgmp-online.de:
Prof. Dr. Peter Kropp, Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, Universitätsmedizin, Gehlsheimer Straße 20, 18147 Rostock
www.imp.med.uni-rostock.de

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Medizinische Psychologie, Prof. Dr. Peter Kropp, 11.09.2013
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2013