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INTERVIEW/013: 25 Jahre arte - innovativ, investigativ und engagiert ...    Alexander von Harling im Gespräch (SB)


Alexander von Harling ist seit Dezember 2016 Leiter der Hauptabteilung Wissen bei dem deutsch-französischen Kulturkanal arte. Zuvor war er als Chef des digitalen Kanals EinsPlus maßgeblich an der Entwicklung multimedialer Programminhalte für ARD und ZDF verantwortlich. Nach einer Pressekonferenz anläßlich des 25. Jahrestages der Gründung des Senders, auf der das arte-Programmangebot für das zweite Halbjahr 2017 vorgestellt wurde, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu seinem Ressort.



Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Alexander von Harling
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr von Harling, beleuchtet arte wissenschaftliche Themen eher aus der akademischen Perspektive oder wird versucht, die Themen allgemeinverständlich aufzuarbeiten?

Alexander von Harling (AvH): Ein wichtiger Ansatzpunkt ist Zugänglichkeit, also die Themen für ein breiteres Publikum verständlich zu machen. Es handelt sich also nicht um eine Art Campus-Magazin mit dem Neuesten aus der Wissenschaft, sondern, wenn wir über den Samstagabend reden, wollen wir um 22.00 Uhr ein durchaus breites Publikum erreichen. Insofern ist es immer ein wenig eine Gratwanderung. Wir wollen natürlich schon am Puls der Wissenschaft sein und nicht nur das reine Wissensangebot präsentieren, sondern auch tiefer gehen und wissenschaftlichen Erkenntnissen nahe auf der Spur sein. Die Erforschung des Proteoms zum Beispiel, die ich vorhin angesprochen habe, ist ein gutes Beispiel, wie man den Forschungsprozeß verfolgen oder versuchen kann, das Team zu einem Zeitpunkt zu begleiten, an dem das Projekt abgeschlossen wird.

SB: Das Wissenschaftsmagazin Xenius wird an jedem Werktag ausgestrahlt. Wie kommen die jeweiligen Fragestellungen zustande, die ja häufig sehr aktuelle Themen zum Gegenstand haben?

AvH: Das ist eine relativ komplexe Produktionsstruktur, an der drei verschiedene Produktionsteams und fünf verschiedene Sender aus ARD und ZDF beteiligt sind. Wir haben drei Moderatorenpaare, aber durch die werktägliche Schlagzeile haben wir natürlich auch einen hohen Bedarf an Themen und eine etwas aktuellere Produktionsweise, als wir das für die langen 52-Minüter haben. Insofern leben wir zum Teil von den verschiedenen Wissenschaftsredaktionen der ARD und des ZDF, die natürlich auch manches in Synergie für ihre eigenen Formate produzieren und da natürlich extrem gut in der Universitäts- und Forschungsszene vernetzt sind. Da haben wir auch die Chance, Themen relativ zeitnah umzusetzen.

SB: Immerhin wird jeden Tag eine eigenständige Frage behandelt.

AvH: Genau, das ist immer ein Thema, eine Sendung mit Magazinzuspielern, die, wie gesagt, zugegebenermaßen auch aus Archivbeständen bestückt werden. Aber es findet eben zu jeder Sendung auch ein Neudreh statt. Insofern kann man da die Aktualität einbeziehen, wenn auch nicht die ganz heiße, so doch die warme.

SB: Welchen Stellenwert hat Wissenschaftskritik in den entsprechenden Formaten, werden doch viele Innovationen nicht von allen Menschen begrüßt?

AvH: Der Anspruch ist natürlich, das ganze Bild zu zeigen. Dementsprechend soll auch Kritik zur Sprache kommen. So hatten wir Ende letzten Jahres einen Themenabend über Cholesterin, wo ja die Meinungen stark auseinandergehen. So ein Format funktioniert, weil wir Experten fragen, die die unterschiedlichen Standpunkte vertreten. Ein für mich schönes Beispiel für ein durchaus kritisches Programm war eine Produktion von arte France über die Fleischindustrie und die Kuh, die überhaupt kein Hehl gemacht hat aus den Bedingungen industrieller Fleischproduktion und auch den Absurditäten, die das mit sich bringt, ohne aber demonstrativ zu sagen, das ist böse, das ist schlecht. Das drängt sich an vielen Stellen auf, und der kritische Zuschauer hat das gemerkt, ohne daß es nötig war, mit erhobenem Zeigefinger auf die Probleme hinzuweisen.

Das fand ich eigentlich eine sehr gelungene Form, die auch einem kritischen bewußten Zuschauer gerecht wird. Man hat es nicht unbedingt nötig, daß man ihm seinen Teil der Weisheit aufs Auge drückt, sondern wenn es einem gelingt, das ganze Feld der Diskussionen abzubilden, dann ist er verständig genug, sich seine eigene Meinung zu bilden. Das ist das, finde ich, was arte leisten kann und, wenn es gut läuft, auch leistet.

SB: Wie würde arte seine Aufgabe in einer demokratischen Gesellschaft definieren, wo Wissenschaft ja durchaus ambivalent sein kann?

AvH: Wir freuen uns natürlich, wenn wir als Partner wissenschaftlicher Institutionen agieren können, wie jetzt zum Beispiel zum Jahr der Meere, wo wir einige Sendungen in Abstimmung mit dem größeren Rahmen, in dem sich die Wissenschaft mit dem Thema beschäftigt hat, produziert haben. Den Auftrag von arte für die deutsch-französische und letztlich die europäische Kultur würde ich auch auf die Wissenschaft beziehen. Wir sind sozusagen Beobachter und Berichterstatter und trotzdem wissen wir, daß wir ein Teil davon sind. Wenn es gut läuft, sind wir auch ein Katalysator, der ein Forum schafft, der Diskussionen abbildet oder dazu anregt. Insofern ist es mehr als die rein passive Berichterstattung und Beobachtung.

SB: Sie würden nicht sagen, daß sie wertneutral mit Wissenschaft umgehen oder dem häufig kolportierten journalistischen Anspruch der vollständigen Objektivität entsprechen?

AvH: Aus meinen früheren kommunikationswissenschaftlichen Studien weiß ich, daß der Anspruch der Objektivität ein hoher und selten erfüllbarer ist. Insofern einerseits, ja als Institution, als öffentlich-rechtliche Sendeanstalt sind wir natürlich der Objektivität verpflichtet. Trotzdem wissen wir, daß wir immer eine Auswahl treffen und daß wir irgendwo Teil sind und daher auch Teil von Innovation und Entwicklung sein wollen. Für unser mediales Selbstverständnis gilt zu versuchen, unsere Angebote journalistisch innovativ zu halten, formal innovativ zu halten, auch in der Verbreitung innovative Wege zu gehen, vornean zu sein, was etwa die Entwicklung der Online-Mediatheken betrifft. arte hatte immer schon den Anspruch, wenn es etwa um neue Bildformate geht, technische Innovationen mitzubefördern. Das ist quasi in der DNA des Senders enthalten und wirkt sich über die Technik auch auf das Programm aus.

SB: Wer hat die zur Ausstrahlung für Oktober vorgesehene Dokumentation "Von edlen Wilden und echten Gaffern", die die Vorführung von Menschen als Wilde oder Monster in Zoos oder sogenannten anthropologischen Schauen zum Gegenstand hat, produziert?

AvH: Es ist eine Produktion von arte France, an der auch internationale Partner beteiligt sind. Es gab vor ein paar Jahren eine Berichterstattung darüber, die vor allem aus Bildern bestand und nur auf wenigen Quellen fußte. Jetzt sind noch einmal einige Archive ausgewertet worden, die auch einen filmischen Blick erlauben, mit dem sich die Perspektive der Betroffenen besser darstellen läßt. Auf diesen Programmbeitrag bin ich auch ein wenig stolz.

SB: Herr von Harling, vielen Dank für das Gespräch.


Beiträge zur arte-Pressekonferenz im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → MEDIEN → REPORT:

BERICHT/008: 25 Jahre arte - ein Europaprojekt ... (SB)
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9. Juli 2017


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