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INTERVIEW/002: Regisseur Klaus Buhlert zur Hörspielpremiere des "Ulysses" 2012 (SB)


Von der Wichtigkeit individueller Erinnerungen


Er ist, wie Dramaturg Manfred Hess sagt, ein "Unikat". Klaus Buhlerts Bandbreite umfaßt nicht nur Regiearbeiten für den Hörfunk, Musik-Kompositionen für das Theater, für Film und Hörspiel, sondern ebenso eigene Arbeiten als Hörspielautor.

Dabei blickt das Multitalent auf 20 Jahre Projektarbeit zurück, darunter Raoul Schrotts "Ilias", Bernward Vespers "Die Reise", Hermann Brochs "Schlafwandlertrilogie" oder "Serapions Brüder" von E.T.A. Hoffmann, Arno Schmidts Trilogie "Nobodaddy's Kinder", Herman Melvilles "Moby Dick oder Der Wal" und Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" (Deutscher Hörbuchpreis 2005).

Sein jüngstes Projekt war "Ulysses" von James Joyce. In über 170 Produktionstagen und mit gut 24 Stunden Laufzeit hat Buhlert den Jahrhundertroman der Moderne als Hörspiel umgesetzt. Premiere war am 16.06.2012, dem sogenannten "Bloomsday", in Berlin. Natürlich war der Regisseur an diesem Abend ein vielgefragter Mann. Trotzdem nahm er sich die Zeit für ein Gespräch mit dem Schattenblick.

Klaus Buhlert - Foto: © 2012 by Schattenblick

Klaus Buhlert
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick (SB): "Ulysses" von James Joyce wird immer in dem Spannungsverhältnis gesehen, einerseits der Klassiker moderner Literatur überhaupt zu sein, andererseits aber gar nicht lesbar. Was trifft aus Ihrer Sicht zu?

Klaus Buhlert (KB): Beides nicht.

SB: Wieso?

KB: Erst einmal weil ich glaube, daß der Bezug auf die "Odyssee" von Homer eine Folie ist, die man wählen kann, daß es aber grundsätzlich ein Trick von Joyce war, so zu schreiben. Er war so unverschämt und hat sich das genommen, was er wollte, aber eine professorale Bezüglichkeit sehe ich da überhaupt nicht. Der zweite Punkt ist, daß ich finde, der "Ulysses" ist in der Gänze schwer zu verstehen. Schwer zu lesen ist er nicht. Man muß halt erst einmal so, wie man eine Stadt kennenlernt, und nicht im ersten Augenblick, wenn man aus dem Zug steigt, den Stadtplan automatisch im Kopf hat, den Kosmos von Joyce erfahrbar machen, Stück für Stück. Dann macht es Spaß, man kennt sich aus, kann sich bewegen und auch die Querbezüge finden.

SB: Sie haben in einem Begleittext zur heutigen Premiere empfohlen, den "Ulysses" lang und laut zu lesen. Wie kann das dem Verständnis auf die Beine helfen?

KB: Zum Beispiel kann man verstehen, daß Joyce ein sehr musikalischer Autor war, der sehr klanglich gedacht hat, der auch zum Teil mit musikalischer Methodik gearbeitet hat. Um einem solchen Geheimnis des Klanges, dem Rhythmus der Sprache und der Thematisierung von Sprachrhythmus und Melodie zu folgen, lohnt es sich, es laut zu lesen, weil man immer ein bißchen dazu neigt, wenn man einen Text leise liest, daß man der eigenen Stimme vertraut. Man sollte aber in diesem Fall nicht der eigenen Stimme vertrauen, sondern der Stimme, die man über die Ohren kontrolliert, um festzustellen, was die Intention hinter dem Text sein könnte, und nicht innerlich seine Vermutung über diese Intention anzustellen.

SB: Der James-Joyce-Kenner Fritz Senn hat gesagt, den Ulysses könne man nicht transportieren in ein anderes Medium, als Film, als Drama etwa, das ergäbe nur einen blassen Abklatsch. Nun haben Sie ein Hörspiel daraus gemacht. Warum haben Sie sich auf so einen schwierigen und vielgestaltigen Stoff eingelassen?

KB: Ich habe ja bei Fritz Senn auf dem Schoß gesessen und mich mit ihm darüber unterhalten. Und ich habe ihm da ein bißchen Angst nehmen können, weil ich zwar auch glaube, daß kein Film daraus gemacht werden kann oder ein Theaterstück, daß es aber die Chance gibt, akustische Umsetzungen zu machen in einer Form, wo keine Bilder, sondern Klangwelten entstehen. Ich denke auch, daß es schwierig ist, sich den Ulysses einfach einzuverleiben und dann etwas Eigenes damit machen zu wollen.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

Es gibt ja Komponisten, die damit gearbeitet haben, ohne sich das Material wirklich einzuverleiben und es wieder zu verdauen und zu wissen: Was kann ich damit und was kann ich nicht damit? Das trifft auf mich, glaube ich, nicht so sehr zu. Ich habe, was das betrifft, gute zehn Jahre Vorsprung vor den anderen. Ich hab mich mit der "Ilias" beschäftigt, mit Musils "Mann ohne Eigenschaften" mit Brochs "Schlafwandlertrilogie", um nur mal einige zu nennen, die in der literarischen Kette direkt auf den Joyce führen und deshalb glaube ich schon, daß mir die Bedeutung des Joyceschen Textes und der Joyceschen Konstruktion ziemlich bekannt waren.

SB: Haben Sie eigene, vielleicht auch zeitgeistmäßige Akzente gesetzt?

KB: Nein, würde ich nicht sagen. Ich habe natürlich versucht, Themen, die heute eine Rolle spielen, hineinzuarbeiten, also Themen des Geldes, des Todes, der Bespielung des Nichts, um die eigene Todesangst zu verdrängen, all das, was bei Broch der Werteverfall ist. Aber ich habe das spielerisch versucht zu machen, nicht didaktisch, weil ich glaube, der Joyce-Text widersteht didaktischen Versuchen doch sehr,

SB: die es immer wieder gibt,

KB: und ich bin froh, daß sie mißlingen.

Foto: © 2012 by Schattenblick

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SB: James Joyce hat selber gesagt, der Held seines Romans sei die Sprache. Wie verstehen Sie das?

KB: Nun ja, die Helden in dem Roman sind ja keine herkömmlichen Helden. Wenn man einen Vater darstellt, der seinen Sohn sucht, und einen Sohn, der keinen Vater braucht, dann ist im Prinzip alles darüber gesagt, wie wenig Material da für Helden ist. Da stellt sich ganz einfach tatsächlich die Frage: Wie kann man aus diesem wenigen das meiste machen? Man kann es nur, wenn man ein Held der Sprache oder hero of the language ist. Und das ist genau das, was ich bei Joyce gesehen habe und deshalb gefällt er mir auch, deshalb wollte ich ihn machen. Ich wollte keine Abenteuergeschichte erzählen, sondern ich wollte die Geschichte der Sprache erzählen. In Kapitel 14 zum Beispiel, Oxen of the Sun (Die Rinder des Sonnengottes), wollte ich halt gerne wissen: Was ist Sprache, wie kann man sie verwenden, wie kann man Sprechen nicht im herkömmlichen Sinne "Schreib, wie du sprichst!", sondern "Sprich, wie du schreibst!" mit Schauspielern ausprobieren, geht das ...

SB: Es geht offensichtlich.

KB: Ja, man muß aber spezielle Schauspieler haben, um dieses Papier zu Sprache zu verarbeiten.

SB: Nach welchen Kriterien haben Sie die ausgesucht?

KB: Alte Freundschaften, 20 Jahre im Studio ausprobiert ...

SB: Auch Dietmar Bär, den viele als Tatortkommissar Freddy Schenk kennen, als Leopold Bloom, das ist ein ganz neues Hörerlebnis ...

KB: Mit Dietmar Bär hatte ich vorher noch nie gearbeitet, wir kannten uns gar nicht. Aber Dietmar Bär ist natürlich einer derjenigen, die dem Stück eine Kontur geben, die ungeahnt war von mir und die ich natürlich gerne genommen habe, um dieses Stück mit einer Ehrlichkeit zu versehen ...

SB: Das war aber ein Abenteuer, das wußten Sie nicht vorher.

KB: Das war ein Abenteuer.

Foto: © 2012 by Schattenblick

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SB: James Joyce sagt, daß der Homer die menschlichste aller Geschichten ist. Könnte man dasselbe vom "Ulysses" sagen?

KB: Ich glaube, das Problem der Menschlichkeit ergibt sich beim Homer daraus, daß die Geschichten aus der oralen Erzähltechnik sedimentiert sind. Das heißt, sie sind über die Jahrhunderte gewachsen, haben sich verändert und sind dann sedimentiert. Und ab der Niederschrift Homers ist das geendet.

SB: Das heißt, sprachliche Überlieferung hat ihren ganz eigenen Duktus, ihre ganz eigene Melodie, ihre ganz eigene Übertragung und Veränderung und vielleicht auch ihre ganz eigene menschliche Nähe?

MH: So ist es.

SB: Würden Sie so weit gehen zu sagen, in dem Moment, wo Sprache aufgeschrieben wird, stirbt ein Stück von ihr?

KB: Ich würde nicht sagen, daß ein Stück stirbt, aber ein Stück bleibt unerkannt. Ich finde aber, dieses Unerkannte, Sedimentierte kann man, wie der Joyce das gemacht hat, und das ist seine große Leistung, in einer jesuitischen Interrogation, also in einer Nachfragetechnik, wieder für sich bewußt erfahrbar machen über analytische und nicht über emotionale Prozesse. Deshalb hat er einen analytischen Prozess des Aufschreibens konstruiert und da ist natürlich dieses Element wieder drin, was er aus dem Sediment der Menschlichkeit analytisch gewonnen hat und darum sind beide parallel verstehbar.

SB: In diesem Sinne würde sich die Form des Hörspiels, d. h. ein Hören des Textes, ja wunderbar eignen und wäre dem Original sehr gemäß?

KB: Das habe ich Herrn Senn auch gesagt.

SB: Hören ist ja heutzutage eine fast vergessene Fähigkeit, entweder man braucht 's nicht mehr oder man kann 's nicht mehr. Wie hängt für Sie Hören und Sprechen zusammen?

KB: Für mich ist das Hörspiel ein Raum, der so unglaublich viele Fantasien öffnet, er ist für mich wie Stummfilm, nur eben andersherum. Und die Bilder, die ich entwickle beim Hören, sind die schönsten Bilder und ich danke meinem Schöpfer dafür, daß er mir diese Fähigkeit gegeben hat. Ich brauche nicht ins Kino zu gehen, wenn ich einen vernünftigen Text lese, weil die inneren Bilder so stark sind, daß ich keine Bilder mehr brauche, keine Zeitungsbilder, keine Bilder der Gesellschaft. Ich gehe sogar so weit in meinem Ansatz, daß ich sage, meine Augen werden immer schlechter, aber ich bin darüber nicht böse - seitdem ich hören kann.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Was haben Sie als nächstes vor?

KB: Das kann ich Ihnen sagen. Ab Herbst mache ich Elias Canettis "Die Blendung", ein 12-Stunden-Projekt.

SB: Auch nicht wenig, aber Sie haben Erfahrung damit. Gibt es etwas aus den Reaktionen oder aus Kritiken auf Stücke wie den Musil oder die "Ilias", die Sie vor dem "Ulysses" gemacht haben und die Sie haben verwenden oder verwerten können für diese neue Produktion?

KB: Ich habe mein eigenes Empfinden und ich glaube, ich bin mein stärkster Kritiker. Ich fand den Broch eine sehr wichtige Arbeit von mir. Er ist leider ziemlich untergegangen, was das Kommerzielle und was die Rezeptionsebene betrifft. Das war schon eine hoch wichtige und eine spannende Arbeit für mich, aus der ich sehr viel gelernt habe. Die "Ilias" mit der Schauspielerarbeit mit Zapatka und den unterschiedlichen Textsorten, die man aufbereiten und sprachdramatisch sehr fein bearbeiten mußte, das war auch ein Punkt, der mich sehr interessiert hat. Und bei Musil fand ich eben toll, daß da eine Nachlaßbibliothek dieses Umfangs ist, die man dann hinterher noch plündern darf, obwohl man den Autor eigentlich in Gänze abgearbeitet hat. Wo man dann nachher nochmal 20.000 Blatt Papier im Schrank liegen hat und man dann sagt: Okay, wie hätt's denn weitergehen können? Warum ist ein Mensch so unmäßig, daß er sein Leben einem Schreibprozeß opfert, den er nie zuende bringen wird, weil er einfach nicht sterben will? Das ist natürlich eine tolle Möglichkeit, sich selbst am Leben zu erhalten und sich selber auszudrücken und sich einen Freiraum in diesem Wahnsinn hier zu schaffen. Seine Schubladen zu öffnen wie Joyce und wie Bloom die Schubladen ihrer Wohnung öffnen, um zu gucken, wie ist denn meine Geschichte, anhand von Fundstücken, anhand von Erinnerungen. Das ist, glaube ich, sehr menschengemäß und das gefällt mir und da brauche ich nicht die Straßen da draußen - da brauche ich mich und meine Erinnerungen - und die sind sehr individuell. Wenn das jedem Menschen klar wird, daß die individuelle Erinnerung das ist, was am meisten zählt, dann, glaube ich, würde diese Welt auch dementsprechend aussehen.

SB: Herr Buhlert, wir bedanken uns, daß Sie sich die Zeit für unsere Fragen genommen haben.

KB: Danke für dieses spannende Gespräch.

Regisseur Klaus Buhlert im Gespräch mit SB-Redakteurin - Foto: © 2012 by Schattenblick

Regisseur Klaus Buhlert im Gespräch mit SB-Redakteurin
Foto: © 2012 by Schattenblick


Fußnote:

Zur Hörspielpremiere des "Ulysses" 2012 in Berlin sind auch ein Gespräch mit dem Chefdramaturgen Manfred Hess und ein Bericht über das Bühnenprogramm im ARD Hauptstadtstudio erschienen:

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INTERVIEW/001: Chefdramaturg Manfred Hess zur Hörspielpremiere des "Ulysses" 2012 (SB)
www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mrei0001.html

BERICHT/002: Deutsche Hörspielpremiere von James Joyces' "Ulysses" (SB)
www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mrebe002.html

26. Juni 2012