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BERICHT/004: Borgia im ZDF - Renaissance verpaßt (SB)


Der Mythos vom neuen Menschen

Das ZDF präsentiert die 2. Staffel der TV-Historienserie Borgia

Vergib ihnen!



Es war eine der bislang aufwendigsten und teuersten europäischen TV-Serienproduktionen überhaupt, "ein Highlight im Fernsehen zur Primetime", sagt Reinhold Elschot, stellvertretender Programmdirektor des ZDF, rückblickend zum Start der ersten Staffel im Jahre 2011. Mit Kosten von 25 Millionen Euro, Schauspielern aus 19 Nationen, Drehorten in Deutschland, der Slowakei, Frankreich und Italien setzte das ZDF in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Fernsehen ORF, Atlantique Productions, dem französischen Bezahlsender Canal +, EOS Entertainment und Etic Films den historischen Sechsteiler mit je 100 Minuten Spielzeit über eine der berüchtigsten und umstrittensten Familien-Dynastien aus der Zeit der italienischen Renaissance in Szene: Die Borgias.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Hauptakteure vor und hinter der Kamera: Mark Ryder (Cesare Borgia), John Doman (Rodrigo Borgia), Isolda Dychauk (Lucrezia Borgia), Regisseur Christoph Schrewe, Autor und Mitproduzent Tom Fontana (v. lks.)
Foto: © 2013 by Schattenblick

Rodrigo Borgia als Alexander VI. gilt vielen als Inbegriff eines korrupten und verweltlichten Papsttums. Seinen Sohn Cesare Borgia feierte Machiavelli als einen skrupellosen Machtpolitiker, und seine Tochter Lucrezia Borgia ist als Ehebrecherin und giftmischende Femme fatale in Erinnerung geblieben. Dabei haben die Borgias anderen Quellen zufolge auch Universitäten und Krankenhäuser gegründet, Brücken gebaut, sich, wenngleich mit grausamen Mitteln, um die Einigung Italiens bemüht. Rodrigo Borgia war danach nicht nur ein skrupelloser Despot, sondern galt auch als tief religiös und liebender Familienvater. Cesare gibt das Bild des modernen, zielorientierten Regenten, Lucrezia wird als fürsorgende Fürstin noch heute in Ferrara verehrt. Beide seien außergewöhnliche Führungspersönlichkeiten gewesen.

Nicht zum ersten Mal hat dieser Stoff Drehbuchschreiber, Filmemacher und Produzenten fasziniert. Bereits 1980 wurde die Geschichte der Borgias von der BBC als 10teilige Fernsehserie mit Adolfo Celi in der Hauptrolle verfilmt. Die spanisch-italienische Koproduktion Die Borgias kam 2006 in die Kinos. Im Jahre 2010, fast zeitgleich zur europäischen Produktion, entstand die US-amerikanische Fernsehserie The Borgias mit Jeremy Irons in der Hauptrolle, die jetzt, nach Ablauf der dritten Staffel, eingestellt werden soll. "Zu teuer", so der US-Sender und Produzent Showtimes.

Auch für die europäische Produktion war nicht von Anfang an klar, ob es überhaupt eine Fortsetzung geben würde, obwohl der Stoff auf drei Staffeln ausgelegt ist. Denn es gibt viel zu erzählen, schwärmt Tom Fontana, preisgekrönter Autor so bahnbrechender amerikanischer TV-Serien wie Oz oder Homicide, den sich die Produzenten als 'Showrunner' ins Boot geholt hatten.

Am 30. Juli wurde jetzt die zweite Staffel vom ZDF unter Beteiligung von Reinhold Elschot, dem Verantwortlichen für Serien Wolfgang Feindt, dem Autoren und Mitproduzenten Tom Fontana, den Produzenten Jan Mojto und Klaus Zimmermann, Regisseur Christoph Schrewe sowie den Hauptdarstellern John Doman (Rodrigo Borgia alias Alexander VI.), Isolda Dychauk (Lucrezia Borgia) und Mark Ryder (Cesare Borgia) in Hamburg der Presse vorgestellt. Mit 30 Millionen Euro Produktionskosten sei sie "noch teurer, noch besser, noch opulenter, noch intrigenreicher, noch saftiger - und noch inhaltsstärker", so der stellvertretende Programmdirektor des ZDF. Die Entscheidung sei diesmal leichter gefallen, "weil Reaktionen da waren" - und Erfolg. 5 Millionen Zuschauer haben die Erstausstrahlung in Deutschland gesehen, die Serie sei inzwischen in 85 Länder verkauft. Damit hat das Projekt die Erwartungen der Macher und Finanziers erfüllt.

Das Hotel Le Royal Meridien an der Hamburger Außenalster - Foto: © 2013 by Schattenblick

Pressetermin in präsentabler Kulisse
Foto: © 2013 by Schattenblick


Was macht den Stoff so attraktiv?

Sex, Gewalt und Korruption - eine alte und immer wieder neue Mischung, die auch andere Serien zum Erfolg geführt hat, bis hin zu Dallas, Denver-Clan oder Game of Thrones. Wenngleich sich die Serie um eine differenziertere Darstellung der Borgias bemüht, sind es die Attribute von Skandal, Tabubruch, Ausschweifung, Verbrechen und Blut, womit sie beworben wird.

Dann die Attraktion eines Kostümfilms vor atemberaubender Kulisse. Detailgenau wurden die historischen Kostüme von Hand genäht, 12 Kilometer Stoff wurden verarbeitet, 150 Tonnen Holz, 43 Tonnen Farbe und 300 Quadratmeter Glas für Kulissen verbraucht. Herausgekommen ist ein Film wie ein Gemälde, schwärmt Christoph Schrewe.

Vor allem aber sei es die Zeit, in der die Geschichte spielt, "eine der wichtigsten und aufregendsten in Europa", so der Regisseur: die Renaissance mit dem Nimbus vom Aufbruch aus der Finsternis des Mittelalters, von der Geburt neuer Ideen, der Entdeckung bislang unbekannter Welten, aber auch vom Wegfall beengender gesellschaftlicher und religiöser Korsetts, von Regeln und Moral. Nicht, daß Unkeuschheit auch vordem unter den Vertretern Gottes auf dem Stuhl Petri ungewöhnlich gewesen wäre, ungewöhnlich ist der offene Umgang damit. Alexander VI. bekennt sich ausdrücklich und ohne Probleme zu seinen unehelichen Kindern, holt sie zu sich nach Rom und nutzt sie zum Ausbau seines Imperiums. Da wird sein Sohn 18jährig zum Kardinal, Cousins werden aus Spanien herangeschafft, um die Hausmacht im Vatikan zu stärken, die eigene Tochter wird dreimal verheiratet, um der Borgias Machtfülle zu festigen. Der Clanchef schreckt auch vor Mord nicht zurück, wie überhaupt seine Wahl zum Papst als Emporkömmling aus Spanien nur unter Einsatz von Bestechung möglich war.

Ein Sittengemälde also? Durchaus. Aber die Gewalt, sagt John Doman, einfühlsamer Darsteller von Alexander VI. mit großer Bandbreite, war nicht ausgeprägter als in den Zeiten zuvor. Und danach, möchte man hinzufügen. Die Kirche sei aus ihren Bahnen geraten, Gewalt ein "way of life" gewesen, Rom ein gefährlicher Ort. "Die Zeit ist unserer nicht unähnlich", ergänzt Produzent Jan Mojto, "aber es war mehr möglich. Die Regeln waren fest, konnten aber auch leichter gebrochen werden."

Foto: © 2013 by Schattenblick

ZDF-Moderator im Gespräch mit Serien-Redakteur Wolfgang Feindt (lks.) und Programmvize Jürgen Elschot (re.)
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So ging es Autor und Regisseur vor allem um den sogenannten neuen Menschen, den nach verbreiteter Lesart die Zeit um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert hervorgebracht hat, den Menschen der Renaissance. Während die erste Staffel sich mehr der Familiengeschichte widmete, tritt jetzt die Zeit des großen Aufbruchs stärker in den Focus. Die zweite Staffel führt aus dem Mittelalter hinaus, so der Regisseur im Pressegespräch, das werde schon durch den Wechsel der Drehorte deutlich. Habe man Staffel eins vorwiegend in den Kulissen der Prager Barrandov-Studios in Tschechien gedreht, so öffne sich in der zweiten, an Originalschauplätzen verfilmten, mit den Fenstern auch die Perspektive auf eine atemberaubende Landschaft Italiens. "Renaissance heißt auch, Licht in das Dunkel zu bringen." Die Serie erhalte eine zusätzliche historische Dimension, fügt Jan Mojto hinzu, ohne schulbuchmäßig belehrend zu sein. Machiavelli taucht auf, Michelangelo und Leonardo da Vinci. Und es gibt mehr Dialoge zwischen den Protagonisten um Themen und Konflikte, die mit dem Aufbruch in die neue Zeit assoziiert werden: die Selbstbestimmung des Menschen und seine Eigenverantwortlichkeit, die Frage nach dem Primat der Machbarkeit, sprich Macht.

Der Filmstoff habe sich, so Tom Fontana, eng an die historischen Quellen gehalten. Was nicht einfach war, war doch der Borgia-Clan bereits zu Lebzeiten scharfer Kritik durch seine Zeitgenossen ausgesetzt. So mischen sich bereits in den Aufzeichnungen des Zeremonienmeisters Johannes Burckard, dessen Liber notarum eine wesentliche Quelle für das Leben am Hof der Päpste zwischen 1483 bis 1506 bildet, Tatsachen mit bewußter Denunziation, nimmt die Legendenbildung ihren Anfang.

Was also ist Erfindung, was Wahrheit? Er habe sehr viel gelesen, sagt Autor Fontana, jahrelang recherchiert, aber es bleibe immer - auch in der sprachlichen Umsetzung des Stoffes in Dialoge - ein Abwägen zwischen der Nähe zur Zeit, der Transformierbarkeit ins Heute und der Unmöglichkeit herauszufinden, was wirklich war. Die Nähe zur Historie sei gewollt, aber nicht unbedingt zielführend. Eher, so Fontana, bestand die Schwierigkeit darin, die historischen Fakten in Einklang zu bringen mit der Entwicklung, die er für die Charaktere im Kopf hatte. Natürlich habe man auch einiges der Dramaturgie folgend geändert, Ereignisse zeitlich verschoben, Beziehungen geringfügig abgewandelt, aber Historiker hätten sich bei ihm noch nicht beschwerend zu Wort gemeldet.

Attraktiv dürfte die zweiten Staffel vor allem auch deshalb sein, weil die Charaktere eine interessante Entwicklung durchmachen. Cesare, der in der ersten Staffel nach Angaben seines Darstellers Marc Ryder noch etwas "boyish" daherkam, verwirrt, frustriert und ungestüm, emanzipiert sich von der ihm vom Vater vorgezeichneten Kirchenkarriere und findet, nicht ohne innere Konflikte, seinen Weg als Feldherr und Eroberer, Lukretia bleibt kein bloßes Werkzeug in den Händen ihres Vaters, sondern wird zur starken Frau, die ganz nach Borgia-Manier ihre eigenen Ziele verfolgt, und Rodrigo erlebt nach dem Tod seines ältesten Sohnes Juan, als Depressionen ihn quälen, Drogen gefährden und Widersacher ihn zu schwächen suchen, eine wahre Achterbahnfahrt. "Wir sehen, wie heutiges Denken und Handeln entstanden ist", sagt Regisseur Schrewe. Für Schauspielerin Isolda Dychauk liegt die Aktualität des Stoffes in der Natur des Menschen, die sich nicht ändere. "Grenzen verschieben sich, aber Menschen bleiben Menschen. Insofern ist die Show sehr modern."

Foto: © 2013 by Schattenblick

Produzent Jan Mojto
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die reibungslose Zusammenarbeit der verschiedenen Nationen am Set mit all den sprachlichen Barrieren sei auch, so Produzent Jan Mojto, ein Stück gelebtes Europa - und der Beweis, "daß Europa eigenständiges, besonderes Fernsehen machen kann", das internationale Standards schafft. Natürlich begleitete die Konkurrenz mit der amerikanischen Borgia-Ausgabe die Arbeit von vornherein. Aber selbst in den USA hatte dort, wo beide Serien parallel liefen, die europäische die Nase vorn, so Mojto mit sichtlichem Stolz.

"Als bloße Folie für den Exhibitionismus des modernen TV-Movies" sei, bemängelte Spiegel-Autor Nikolaus von Festenberg 2011 anläßlich der Ausstrahlung der 1. Staffel, "die Epoche der Renaissancezeit eigentlich zu bedeutend. Was hätte sich für all den Aufwand für ein wunderbares Zeitporträt zelebrieren lassen, ein Stück über den Aufbruch in eine neue Zeit, in die Wiedergeburt des Menschen, zur mentalen Stärkung mitten in der heutigen Depression." [1]

Vergessen wird bei solcherlei Kritik, die Alternativen vorschützt, aber nicht anbietet, leicht, daß die Renaissance selbst ein Mythos ist - und einen solchen geschaffen hat: eben die Finsternis des Mittelalters. Was als radikaler Um- und Aufbruch kolportiert wird, hat sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt.

Wieweit die Renaissance im Fortgang der Serie als bloßes publikumheischendes Label fungiert oder bei allem Zugeständnis an die Unterhaltung doch Stoff geboten wird zu einer Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen oder auch dem nur vermeintlichen Aufbruchpotential dieser Zeit, die an die Stelle der Religion mit der Wissenschaft eine neue, qualifiziertere Ideologie setzte, bleibt abzuwarten. [2] Überdies ist die Renaissance ein europäisches Phänomen, geeignet, dem abendländischen Überlegenheitsstreben, zu dessen Erben sich auch die weißen Amerikaner zählen dürfen, und der Skrupellosigkeit weltweiter Eroberungszüge ein ideengeschichtliches Fundament zu verpassen. Was wir von der Geschichte wissen, ist niemals das, was sich tatsächlich zugetragen hat, sondern das, was wir von ihr wissen wollen (oder sollen). Auch die Historie ist eine Hure, gefällig, am Stärkeren orientiert und für Geld zu haben. Das Cover des Pressematerials zur zweiten Staffel trägt sicherlich nicht von ungefähr das Motto: "Und vergib ihnen ihre Schuld."

Borgia II. beginnt am Montag, dem 30. September 2013, um 20:15 Uhr - im ZDF.

Anmerkungen

[1] http://www.spiegel.de/kultur/tv/zdf-historienserie-borgia-der-papst-das-ferkel-a-792158.html

[2] siehe dazu auch den Exkurs "Von der Ambivalenz historischer Deutungsmacht auf der Höhe der Zeit" unter

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BERICHT/005: Borgia im ZDF - Opulenz und Dekadenz (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/medien/report/mreb0005.html

8. August 2013