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REZENSION/019: Burma VJ - Reporting From a Closed Country (WDR/ARTE) (SB)


Burma VJ - Reporting From a Closed Country

Kritische Würdigung des in der Kategorie "Documentary Feature" für den Oscar 2010 nominierten Films des dänischen Regisseurs Anders Østergaard


"Ich filme einfach drauflos" - "Ich will für die Demokratie kämpfen" - "Unsere Geschichten sind stumm" - "Ich glaube, die Welt hat uns vergessen" - "Die Angst sitzt uns allen in den Knochen" - "Wir können das Regime nicht allein stürzen" - "Wir setzen die Proteste fort" - "Alle, die keine Angst haben zu sterben, nach vorn" - "Ich werde sterben" ...

Diese willkürlich ausgewählten Sätze stammen aus dem Tonmaterial des 85minütigen Films "Burma VJ" des dänischen Regisseurs Anders Østergaard, der am 23. Februar 2010 im Rahmen des Themenabends "Widerstand in Birma" bei WDR/ARTE zu sehen sein wird. Kaum ein Zuschauer wird sich der Wirkung dieses als Dokumentarfilm ausgewiesenen und in diesem Genre bereits mehrfach preisgekrönten Films entziehen wollen, wird ihm doch glauben gemacht, Ohren- und Augenzeuge der brutalen Unterdrückung der Demokratiebewegung sowie der Terrorisierung eines ganzen Volkes durch die Militärführung Myanmars zu sein. Die eindringlichen Toneinspielungen, die nach der gesamten Machart des Films zu urteilen ihre Adressaten zu der Annahme verleiten (sollen), eine Intervention internationaler Streitkräfte nach Myanmar zu dem Zweck, die dortige Staatsführung zu stürzen, nicht nur gutzuheißen, sondern im Zweifelsfall auch einzufordern, werden in ihrer Wirkung durch ein nicht minder professionell erstelltes Bildmaterial ergänzt.

Dieser inzwischen sogar für den diesjährigen Oscar in der Sparte "Documentary Feature" nominierte Film geht sehr gezielt und sparsam mit Informationen über sein vermeintliches Sujet, die von buddhistischen Mönchen im Herbst 2007 angeführten Proteste in Myanmar, um. Er trägt keineswegs zu einer umfassenden und kritischen Berichterstattung über das südostasiatische Land und die Probleme seiner Bevölkerung bei, sondern erweist sich bei näherem Nachfassen als propagandistisches Werkzeug einer in westlichen Staaten zu vermutenden Interessengruppierung, die sich den Regimesturz in Myanmar aus keineswegs altruistischen, sondern höchst eigennützigen und primär geostrategisch zu begründenden Motiven auf die Fahnen geschrieben hat. Widersprüche und Ungereimtheiten lassen sich bei "Burma VJ" nicht nur in bezug auf den Film selbst, sondern auch hinsichtlich seiner Entstehungsgeschichte, seiner Förderer und mutmaßlichen Finanziers aufgreifen, um von den aktuellen wie historischen Bezügen zu Geschichte und Gegenwart Myanmars, aber auch der dem Land womöglich drohenden Zukunft, an dieser Stelle ganz zu schweigen.

Einer Pressemitteilung des WDR zufolge "dokumentiert" der Film "den Aufstand buddhistischer Mönche in Burma 2007, die gegen die Missstände in ihrem von einer jahrzehntelangen Militärdiktatur beherrschten Land protestierten" und denen sich zehntausende Menschen anschlossen. Darin heißt es [1]:

Das Regime schlug die Demonstrationen mit brutaler Gewalt nieder. Der Film schildert die erschütternden Ereignisse aus der Perspektive von burmesischen Videojournalisten, die mit Handycams unter Lebensgefahr filmen. Mit ihren persönlichen Eindrücken und Kommentaren sowie intensiven, bewegenden Bildern macht "Burma VJ" den Zuschauer nicht nur zum hautnahen Zeugen des Widerstands und der kriegsähnlichen Zustände. Der Film gibt auch Hoffnung, dass der Mut und das entschlossene Handeln der Menschen in Burma irgendwann Erfolg haben werden.

Und in der Tat zeichnet der Film, basierend auf dem von einheimischen Bürgerjournalisten (wie Myanmaren, die sich unter den geschilderten Bedingungen journalistisch betätigt haben, in diesem Zusammenhang genannt werden) erstellten Material das düstere Bild eines Landes, dessen Bewohner unter der allgegenwärtigen Angst vor einem repressiven Militärregime zu leben gezwungen sind. Dieser Kontext geht zu einem nicht unerheblichen Teil aus den begleitenden Texten hervor, und so wird sich schon nach kurzer Zeit niemand mehr fragen, ob heimlich gemachte Videoaufzeichnungen von Menschen, die mit stummen und finsteren Gesichtern früh morgens in der U-Bahn einer deutschen Großstadt ihrem Arbeitstag entgegenfahren, beim Zuschauer nicht ähnliche Reaktionen hervorrufen könnten, zumal wenn ihnen entsprechende Vorgaben gemacht werden wie "Die Menschen haben Angst." Regisseur Østergaard war sich der Macht der Worte sehr wohl bewußt, erklärte er doch in einem im Januar 2009 veröffentlichten Interview [2]:

Meine Herangehensweise an den Film war so, daß er auf dem aufgenommenen Bildmaterial basieren sollte, jedoch dazu mit einer Tonspur versehen, die einen größeren Einblick verschaffen würde. Das hat sich bis in den endgültigen Film gehalten, für den wir diese rekonstruierten Gespräche und Telefonate ausgearbeitet haben. Wenn man es genauer betrachtet, ist das das Rückgrat des Films: die Klarstellung dramatischer Entwicklungen. [3]

Die Authentizität des Bildmaterials, das die Zuschauer das repressive Vorgehen des Militärs gegen demonstrierende Menschen miterleben läßt, muß keineswegs in Zweifel gezogen werden, um die Frage aufzuwerfen, ob sich vergleichbare Videofilme, wenn nicht gar noch weitaus drastischere Aufnahmen, nicht aus vielen anderen Staaten der Welt erstellen und zu einem aufwühlenden Dokumentationsfeature verarbeiten ließen und ob die Problematik, daß repressive Regime eine offene Berichterstattung unterbinden und ausländische Journalisten am Betreten bestimmter Krisengebiete hindern, nicht auf weitaus mehr Länder zutrifft, ohne daß dies zu "Burma VJ" vergleichbaren internationalen Filmprojekten geführt hätte. Regisseur Østergaard machte in dem Interview gleichsam deutlich, auf wie wackeligen Füßen der dokumentarische Anspruch des Films eigentlich steht, sprach er doch im Zusammenhang mit der Frage, ob "Burma VJ" nun ein Filmprodukt oder Journalismus wäre, eher von einem Kinoerlebnis:

Zuerst einmal würde ich sagen, daß es sich dabei ["Burma VJ"] nicht um Journalismus handelt, weil wir uns nicht an Objektivitätskriterien halten. Ich könnte diese Rekonstruktionen nicht machen, wenn ich eine journalistische Übereinkunft mit dem Publikum hätte. Für mich gibt es den kreativen Dokumentarfilm, um über die Nachrichten hinaus noch eine andere Art der Einsicht zu bieten. Das liegt irgendwo zwischen Filmdrama und Journalismus. Ich bin ausgebildeter Journalist und habe eine journalistische Ausrichtung, aber eigentlich... Ich versuche, mir soviel Freiheit wie möglich zu nehmen und benutze das dokumentarische Material aus der realen Welt, aus der Art Filmmaterial, das Sie gesehen haben, um zu rekonstruieren, wie es zu jener Zeit als Reporter gewesen ist, nehme mir die Freiheiten, die ich brauche, um Ihnen diese Einblicke zu eröffnen. In dieser Hinsicht entferne ich mich ziemlich weit vom Journalismus, wegen dieser Freiheiten, die ich mir nehmen muß, um Ihnen ein Kinoerlebnis zu vermitteln. [4]

Die Hauptrolle in diesem Film hat fraglos der 27jährige myanmarische Undercover-Journalist mit dem Decknamen "Joshua", der die Begleittexte zu dem gesamten Film so spricht, als würde es sich um einen persönlichen Erlebnisbericht handeln. Wenn er von "wir" und "uns" spricht, erweckt er ganz den Eindruck, im Namen der myanmarischen Demokratiebewegung zu sprechen. Er gehört einer Organisation, der Democratic Voice of Burma (DVB), an, die maßgeblich am Zustandekommen des Films beteiligt ist wie auch in dessen inhaltlicher Schilderung einen breiten Raum einnimmt. Die naheliegende Schlußfolgerung, hier würde eine Organisation mittels eines solchen Filmprojekts Werbung in eigener Sache machen, liegt somit nahe und läßt sich anhand der spärlichen Informationen, die der Film selbst zu den Ereignissen in Myanmar im Herbst 2007 und danach liefert, allerdings weder widerlegen noch bestätigen.

Die Filmschilderung setzt am 15. August 2007 ein, dem Tag, an dem die myanmarische Staatsführung die vorherige Subventionierung der Treibstoffpreise aufgeben mußte. Schlagartig verdoppelten sich die Benzinpreise, es kam zu einer allgemeinen Teuerung und Protesten der Bevölkerung zur Zeit der von Asien ausgehenden Weltwirtschaftskrise. Joshua und weitere Undercover-Journalisten filmten die Proteste und die Maßnahmen der Regierung. Das Bildmaterial wurde zu einem norwegischen Sender gebracht und schließlich von CNN und BBC gesendet. Die Internetjournalisten seien, so die Darstellung des Films, "Augen und Ohren der Welt". Dies geschah nicht unbedingt immer mit Wissen und Wollen der gefilmten Demonstranten. Als am 18. September 2007 tausende Mönche sich den Protesten anschlossen und auf die Straßen gingen, wollten sie nicht gefilmt werden. "Wir sind vom DVB" wurde ihnen, so erzählt es "Burma VJ", entgegengehalten. Gefilmt wurde trotzdem, ohne im weiteren Verlauf die Frage zu stellen, ob die späteren Verhaftungen der Mönche auf etwaige Veröffentlichungen des DVB zurückgeführt werden könnten.

Am 27. September 2007 kamen bei den Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften nach Angaben von Regierungssprecher Ye Htut mindestens neun Menschen ums Leben, unter ihnen ein japanischer Journalist. Regierungsangaben zufolge hätten die Demonstranten Ziegelsteine, Stöcke und Messer auf die Polizisten geworfen. In "Burma VJ" werden Bilder einer im Wasser schwimmenden Leiche eines allem Anschein nach gewaltsam getöteten Mönchs gezeigt. Zu diesem Zeitpunkt, Ende September 2007, sei es in Rangun wie im Krieg gewesen, berichtet der Film. "Joshua", der das Hauptquartier des DVB nach Thailand verlegt hatte und von dort aus das weitere Geschehen zu verfolgen und die Aktivitäten der im Land gebliebenen Video-Journalisten (VJ) zu koordinieren suchte, hatte Myanmar schon im August verlassen (müssen). Auf seine telefonische (und womöglich rekonstruierte) Frage an einen der VJs, ob sie gefilmt hätten, wie jemand erschossen wurde, bekam er zu Antwort: "Ich sah die Gewalt."

Die Proteste ebbten ab. Da der Film "Burma VJ" keinerlei journalistische Ansprüche erhebt und auch die Regierungsangaben selbstverständlich kritisch zu hinterfragen sind, stellt sich auch im nachhinein die tatsächliche Situation im Land als weitestgehend ungeklärt dar. Zu den Informationen, die der Film nicht liefert, gehört die Tatsache, daß der DVB bereits seit 1992 aus Oslo sendet und für seine Tätigkeit tatkräftige Unterstützung durch die US-Stiftung "National Endowment for Democracy" (NED) bekommt. Diese Organisation stellt sich selbst als "private, nonprofit foundation dedicated to the growth and strengthening of democratic institutions around the world" (private, nichtkommerzielle Stiftung, die sich weltweit Wachstum und Stärkung demokratischer Einrichtungen widmet) [6] dar und unterstützt mit Geldern des US-Kongresses nach eigenen Angaben über eintausend Nichtregierungsorganisationen in mehr als 90 Ländern. Aus ihrer Unterstützung für den DVB macht diese Organisation keinen Hehl, ist doch auf ihrer Web-Site nachzulesen: "NED has been a consistent supporter of DVB over the past decade" (NED war das vergangene Jahrzehnt hindurch ein stetiger Unterstützer des DVB). [7]

"Joshua" hingegen hält sich wesentlich bedeckter und läßt offen, wer 2005 seine erste professionelle Ausbildung als Kameramann in Bangkok finanziert hat und wer eigentlich die Produzenten von "Burma VJ" waren, die er zu einem Zeitpunkt weit vor den Ereignissen von 2007, die der Film beschreibt, bereits getroffen hat, wie der folgenden Interviewpassage zu entnehmen ist, in der "Joshua" erzählt, wie er mit dem DVB in Kontakt kam:

Ich habe erstmals 2003 mit dem DVB zusammengearbeitet und wurde einer der ersten Kameramänner am Ort. Meine erste professionelle Ausbildung als Kameramann habe ich jedoch in Bangkok erhalten, 2005, und traf mich zum ersten Mal mit [den Filmemachern von "Burma VJ"]. Zu der Zeit wußte ich nicht, wie umfassend dieses Projekt war und was meine Aufgabe dort sein sollte. [Es war] einfach ein Auftrag meines Colleges. Sie haben mich diesen Leuten eben vorgestellt, und ich habe mit ihnen geredet. Das war alles, was ich zu jener Zeit davon wußte. [8]

Die finanzielle Unterstützung einer regierungsnahen US-Stiftung für die Demokratiebewegung Myanmars, so diese denn tatsächlich durch den DVB repräsentiert wird, wirft natürlich Fragen auf nach der politischen Instrumentalisierung, um nicht zu sagen möglichen Inszenierung der Ereignisse und Auseinandersetzungen in Myanmar durch ausländische Kräfte, zumal eine große Ähnlichkeit zu dem Konzept der "bunten Revolutionen", wie die USA die von ihnen unterstützten und womöglich auch angezettelten zivilen Protest- und Umsturzbewegungen nennen, die in manchen europäischen Staaten bzw. früheren Sowjetrepubliken (Ukraine, Georgien) bereits zu Regierungsstürzen geführt haben, kaum zu übersehen ist. Schon im März 2007 hatte der damalige US-Präsident George W. Bush die "safran gelbe Revolution" in Myanmar mit starken Worten zu unterstützen gesucht und vor der UN-Vollversammlung die Verschärfung der US-Sanktionen gegen das Land verkündet.

Die Militärregierung Myanmars, seit 1962 an der Macht, hat sich lange Zeit der stillen oder auch offenen Unterstützung jener Staaten erfreuen können, die jetzt so vehement auf einen Regimesturz hinarbeiten und die Regierung mit allen Mitteln der Kunst zu diskreditieren suchen. Auch nach dem Militärputsch von 1962 erhielt das Land Waffenlieferungen aus dem Westen, so auch aus der Bundesrepublik Deutschland. Der myanmarische General Ne Win hatte noch im Mai 1988 in Deutschland den Waffenproduzenten Fritz Werner AG besuchen können. Die langjährige deutsch-myanmarische Militärkooperation diente in erster Linie dem Ziel, einem tatsächlichen politischen Umsturz mit allen Mitteln zu verhindern, hatte es doch seit den 1970er Jahren eine von China unterstützte Kommunistische Partei in Myanmar gegeben. Seit 1988 jedoch verfolgte China unter dem Einfluß der "Reformer" um Deng Xiaoping einen Annäherungskurs an die Militärregierung Myanmars, die zu einer bis heute andauernden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit der so ungleichen Nachbarstaaten geführt hat.

Diese Kooperation "verzieh" der Westen den myanmarischen Generälen nicht. Inzwischen werden dem Land sogar, nachdem weder die Mönchsproteste vom Herbst 2007 noch die humanitäre Katastrophe infolge des tropischen Zyklons Nargis im Frühsommer 2008 zu dem erwünschten Umsturz geführt werden konnten, von Washington aus "offene oder verdeckte Militärangriffe" auf die "Infrastruktur des Regimes" angedroht [9], wie ein als einflußreich geltender Neokonservativer erklärt haben soll. Nachdem "Nargis" am 2. und 3. Mai 2008 das Land verwüstet und 130.000 Menschen in den Tod gerissen hatte, suchten die westlichen Staaten die Gewährung der von ihnen versprochenen Hilfen an die Bedingung zu knüpfen, ungehinderten Zugang in das Land zu bekommen. Eine solche Forderung wäre von keiner Regierung der Welt akzeptiert worden; die USA selbst ließen beim Hurrikan "Katrina" in New Orleans kubanische und venezolanische Helfer überhaupt nicht ins Land.

Die Regierung Myanmars nahm Hilfsangebote aus anderen asiatischen Ländern, die nicht an Forderungen, die eine Preisgabe staatlicher Souveränität bedeutet hätten, geknüpft waren, an. Die westlichen Staaten hingegen wollten im Zuge der "Nargis"-Katastrophe das von ihnen schon 2000 geplante und bei den Vereinten Nationen zur Diskussion gestellte humanitär begründete Interventionsrecht durchsetzen und anwenden. Das Konzept "Responsibility to Protect" (R2P) geht von der Verpflichtung jedes Staates, seine Bevölkerung zu schützen, aus und überträgt diese Verpflichtung, so ein Staat ihr nicht nachkommen will oder kann, dann an die militärisch stärksten Staaten der sogenannten internationalen Gemeinschaft. Zu den Befürwortern dieses Konzept gehören die westliche Politikberatungsorganisation "International Crisis Group" (ICG), die einem Bericht des Guardian vom 12.5.2008 zufolge den Standpunkt vertritt, daß die Weigerung Myanmars, die Bedingungen der westlichen Hilfsangebote zu akzeptieren, als "crime against humanity" (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) einzustufen wäre, was wiederum militärische Angriffe legitimieren würde.

Da zur "International Crisis Group" einflußreichste US-Geostrategen gehören wie der Vater der bunten Revolutionen, der US-Milliardär George Soros, oder auch der Altmeister geostrategischer Intrigen, Zbigniew Brzezinski, liegt die Schlußfolgerung auf der Hand, daß die Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen der sogenannten Demokratiebewegung Myanmars und der Militärregierung des Landes nicht angemessen beschrieben und gewürdigt werden können, ohne die von westlicher Hand gezogenen Fäden miteinzubeziehen und die Frage aufzuwerfen, inwieweit die Demokratiedefizite des Landes und seine repressiven Verhältnisse nicht Ergebnisse der Stellvertreterrolle sind, die der Westen dem aus seiner Sicht in geostrategisch höchst wertvoller Lage liegenden Land aufgezwungen hat. Die Frage, warum die Niederschlagung der Mönchsproteste von 2007 zum thematischen Gegenstand eines Films gemacht wurde, der in den USA im Mai 2009 in die Kinos kam, läßt sich wohl noch am ehesten mit der zunehmenden Eskalation in der US-amerikanischen China-Politik erklären.

Im Zuge der Nargis-Katastrophe wurden US-amerikanische und französische Kriegsschiffe in das Seegebiet vor Myanmar entsandt, was unter den fadenscheinigsten humanitären Vorwänden nicht zuletzt auch eine militärische Eindämmung Chinas einleiten soll. Da China derzeit zwei Drittel seiner Erdöleinfuhren durch die Straße von Malakka leitet, die jedoch unter zunehmender Kontrolle westlicher Staaten steht, kommt der Seeanbindung zum Golf von Bengalen über das benachbarte Myanmar für China eine hohe strategische Bedeutung zu, was im Umkehrschluß erklärt, warum die westlichen Staaten ihrerseits dieses Land unter ihre Kontrolle bringen und das Militärregime, mit dem sie mindestens bis 1988 noch "gute Geschäfte" gemacht haben und das ihnen als antikommunistischer Prellbock gerade recht war, durch eine ihnen willfährige Regierung ersetzen wollen.

Die Destabilisierungsbemühungen gehen so weit, daß die Mangelversorgung, unter der die Bevölkerung zu leiden hat und die der Regierung angelastet wird, durch die vom Westen verhängten Sanktionen verschärft, wenn nicht sogar ausgelöst wurde. Als die Regierung im Oktober 2007 die nach den Unruhen verhängte vierwöchige Ausgangssperre wieder aufgehoben hatte, forderte sie die unter Hausarrest gestellte Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi abermals auf, ihre Unterstützung für die gegen das Land verhängten und von den USA zu diesem Zeitpunkt noch verschärften Sanktionen aufzugeben. Die EU verschärfte ihre Sanktionen gegen Myanmar im Oktober 2007 ebenfalls und verhängte ein Embargo über Edelhölzer, Edelmetalle und Edelsteine, somit die wichtigsten Exportartikel des Landes, mit der Absicht, das Regime durch die Devisenausfälle unter Druck zu setzen. Die Weltbank verweigerte dem Land bei der Nargis-Katastrophe dringend benötigte zinsgünstige Kredite mit der Begründung, die Regierung sei bei der Schuldenbedienung in Rückstand geraten.

Aung San Suu Kyi, die in "Burma VJ" als große Hoffnungsträgerin und demokratische Vorkämpferin präsentiert wird, würde die Garantie geben können, eine den westlichen Staaten genehme Politik zu betreiben, käme sie an die Regierung. Der Regisseur des Films "Burma VJ", Anders Østergaard, scheint ihre tatsächliche politische Bedeutung jedoch als weitaus geringer einzuschätzen, als es der Film selbst glauben machen will. In dem bereits erwähnten Interview [2] erklärte er, daß die "Nationale Liga für Demokratie" (NLD), also die Partei der Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin, keine nennenswerte politische Rolle spielt ("they were out of the game for a good while and have really not many ways to make progress"). Verwunderlich wäre dies nicht, hat doch Aung San stets Sanktionen gegen das Land, zu dessen Wohlergehen sie angeblich beitragen wolle, verlangt und eingefordert. Eine ihrer eigenen ehemaligen Mitarbeiterinnen hat deshalb schon im Jahre 1998 der Far Eastern Review zufolge folgende Frage gestellt [10]:

Zwei Vertreter des Westens (...) erklärten mir, wenn Sanktionen und Boykott die Wirtschaft unterminieren, hätten die Menschen weniger zu verlieren und wären bereit, eine Revolution zu beginnen. (...) Wollen Sie uns wirklich vorsätzlich in die Armut treiben, um uns zu einer Revolution zu zwingen?

Diese Frage könnte als Schlußwort zum Stichwort "gelbe Revolution" in Myanmar an dieser Stelle stehenbleiben. Gegenüber 1998 hat sich die Situation inzwischen noch drastisch verschärft, da, sollte von dem erzwungenen Umsturz aus dem Land selbst nichts werden, mit einer militärischen "Befreiung" von außen gerechnet werden muß. Die Folgen einer solchen Intervention können in den Ländern, die von den Führungsstaaten der westlichen Welt bereits mit derartigen Befreiungskriegen überzogen wurden - Irak, Afghanistan - tagtäglich studiert werden. Der WDR wäre gut beraten gewesen, sich vorab ausführlicher und vor allem auch unter Verwendung kritischer Quellen mit der Situation in Myanmar zu befassen. Mit der TV-Erstausstrahlung des Propagandafilms "Burma VJ" läuft er Gefahr, da nicht überall "Demokratisierung" drin steckt, wo "Demokratisierung" drauf steht, eine auf einen Umsturz in Myanmar abzielende Kampagne zu unterstützen, durch die die myanmarische Bevölkerung nicht nur vom Regen in die Traufe geraten, sondern endgültig zum Spielball ausländischer Kräfte, für die die Freiheit und das Wohlergehen der Myanmaren nicht den geringsten Stellenwert aufweist, werden würde.


Anmerkungen

[1] Oscar-Nominierung für WDR-ARTE Dokumentarfilm "Burma VJ", Pressemeldung vom Westdeutschen Rundfunk Köln vom 2. Februar 2010

[2] Anders Østergaard and "Joshua" of "Burma VJ", Interview von Alison Willmore, 22.01.2009, The Independent Film Channel (IFC.com), voices of independent culture, New York, USA,
http://www.ifc.com/news/2009/01/interview-1.php?page=2, Zugriff am 5.2.2010, daraus die folgenden Zitate ([3], [4] und [8]) in einer Übersetzung des MA-Verlags

[3] My approach was that the film should be based on the footage, but with an audio soundtrack that would give more insight. That survived into the ultimate film, as we developed these reconstructed conversations, telephone conversations. That's really the spinal cord of the film when you look at it, the understanding of dramatic developments.

[4] The first thing I would say is ["Burma VJ"] is not journalism because we're not serving those criteria of objectivity. I couldn't do the reconstruction thing if I was on a journalistic contract with the audience. To me, creative documentary is there to offer a different kind of insight on top of the news. It's somewhere in between dramatic film and journalism. I'm a trained journalist myself and I have a journalistic drive, but I really... I try to get as much freedom as I can to take documentary material from the real world from the sort of footage, the kind you saw, to reconstruct how it was to be a reporter at the time, taking the liberties I need in order to offer you that insight. So I'm quite far away from journalism in that respect, because of those liberties I need to take in order to offer you a cinematic experience.

[5] China warnt Militär, Mönche und Medien, Myanmar: Regierung bestätigt mindestens neun Tote. Peking ruft "alle Seiten" zur Zurückhaltung auf, junge Welt, 28.09.2007, S. 1

[6] http://www.ned.org

[7] Burma reporters risk all to broadcast independent news, National Endowment for Democracy, Washington DC, USA,
http://www.ned.org/democracy-stories/revolutionary-media-in-burma

[8] I first worked with the DVB during 2003, and I became one of the first cameramen on the ground. But I got my first professional training as a cameraman in Bangkok, in 2005, I first met with [the "Burma VJ" filmmakers]. I didn't really know at the time how big this project was, and what I had to do at the time. [It was] just an assignment from my college. They just introduced me to these people, and I talked with them. That's all I knew about, at the time.

[9] Talk Is Cheap. Couldn't the U.S. Do More to Pressure Burma's Junta? von William Kristol, The Washington Post, 07.10.2007

[10] Katastrophengewinnler. Nach dem Wirbelsturm "Nargis": EU und USA drohen mit einer militärischen Intervention in Myanmar. Dabei verfolgen sie weniger humanitäre als geostrategische Ziele, von Fred Schmid, junge Welt, 4.6.2008, S. 10


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Burma VJ
Dokumentarfilm von Anders Østergaard
Deutschland 2008, WDR, 85 Min
TV-Erstausstrahlung am 23. Februar 2010, 20.15 Uhr
WDR/ARTE - Themenabend "Widerstand in Birma"

9. Februar 2010