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BERICHT/007: Fremde Stimmen im Äther - "Gastarbeiterradio" als demokratischer Problemfall (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 126/Dezember 2009
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Fremde Stimmen im Äther
Wie das "Gastarbeiterradio" zum demokratischen Problemfall wurde

Von Roberto Sala


In der Bundesrepublik der 1960er und 1970er Jahre stammten viele der "Gastarbeiter" aus autoritären Staaten, in denen Medien unter staatlicher Kontrolle standen. Nachdem die ARD Radiosendungen für Arbeitsmigranten einführte, kam es zu erheblichen politischen Kontroversen, weil die Herkunftsländer keinerlei Kritik in den Programmen duldeten und mit diplomatischen Folgen drohten. Die Bundesregierung opferte schließlich die freie Meinungsäußerung von Ausländern, um außenpolitische Interessen zu wahren.


Zensur und Unfreiheit gab es nicht nur im kommunistischen Einflussbereich in Osteuropa, sondern auch in den "befreundeten" Nationen Südeuropas, aus denen seit den 1960er Jahren die große Mehrheit der damaligen "Gastarbeiter" in die Bundesrepublik kam. Für sie wurden Radioprogramme entwickelt, die täglich von der ARD in den jeweiligen Landessprachen ausgestrahlt wurden. Ihretwegen geriet die Bundesrepublik in diplomatische Nöte. In der Folge wurde die redaktionelle Freiheit aus außenpolitischen Gründen teilweise eingeschränkt.

Die "Gastarbeitersendungen", wie sie zunächst hießen, entstanden Anfang der 1960er Jahre mitten im Kalten Krieg, und zumindest teilweise auch seinetwegen. Über Lang- und Kurzwellen strahlten beide Lager Sendungen in der jeweiligen Landessprache in das nahe und ferne Ausland, die die Bevölkerung der "Feindstaaten" politisch beeinflussen sollten - der amerikanische Sender Radio Free Europe oder der Deutschlandfunk aus Köln konkurrierten etwa mit dem sowjetischen Sender Radio Moskau oder dem Deutschlandsender der DDR sowie Radio Berlin International. Auch im Bundesgebiet waren die kommunistischen Sender gut zu hören und lockten viele "Gastarbeiter" mit einem populären Musikprogramm an. Dies löste Ängste bei der Bundesregierung und den Regierungen der Herkunftsländer aus; sie befürchteten angesichts fehlender eigener medialer Angebote die kommunistische Beeinflussung der südeuropäischen Einwanderer. Als Folge forderte die Bundesregierung die ARD auf, fremdsprachige Sendungen in ihr Programm aufzunehmen, um den Einfluss kommunistischer Sender einzudämmen. Erst nach wiederholten Anfragen konnten die deutschen Behörden die Widerstände der Rundfunkanstalten überwinden, die die Versorgung der ausländischen Bevölkerung bislang nicht zu ihren Aufgaben gezählt hatten. 1964 wurden schließlich Radiosendungen für Spanier, Türken, Italiener und Griechen eingeführt.

Bald wurde der gesellschaftliche Nutzen der Sendungen erkannt, denn diese als Gemeinschaftsaufgabe der ARD bundesweit ausgestrahlten Programme entwickelten sich rasch zu einer wichtigen sozialpsychologischen Stütze der Migranten. Zum einen wurde eine "Brücke zur Heimat" geschlagen, die durch die Übermittlung von Musik und Nachrichten aus dem Herkunftsland zustande kam. Zum anderen boten die Sendungen eine Orientierungshilfe für das Leben in Deutschland, das heißt für den Alltag nützliche Informationen - etwa zu medizinischen Problemen, zu Steuerfragen oder zum Mietrecht. Zugleich entwickelten sich die Ausländerprogramme zum diplomatischen Streitobjekt zwischen der Bundesrepublik und den Herkunftsländern der "Gastarbeiter". Die an den Sendungen beteiligten ausländischen Mitarbeiter äußerten sich häufig kritisch zu den autoritären Verhältnissen in ihrer Heimat; das rief wütende Reaktionen des jeweiligen Regimes hervor. In die Kritik geriet vor allem der Bayerische Rundfunk, der sich mit dem WDR die Produktion der täglichen Sendungen für die ARD teilte. Der Bayerische Rundfunk behandelte die zuständigen Redakteure gleichberechtigt, im Unterschied zu den fremdsprachigen Redaktionen im WDR, wo die ausländischen Mitarbeiter bis Mitte der 1970er Jahre streng kontrolliert wurden.

Die kritische Berichterstattung setzte nach dem Militärputsch in Griechenland im Frühjahr 1967 ein. Der Chefredakteur des griechischen Programms im Bayerischen Rundfunk, Pavlos Bakoyannis, nahm alle verfügbaren Nachrichten aus Griechenland ins Programm auf, also auch die vom neuen Regime unerwünschten. Darüber hinaus verfasste er harsche Kommentare, wie beispielsweise: "Der Parlamentarismus in Griechenland ist abgeschafft worden, liebe Hörer, und an seine Stelle ist ein Triumvirat von Offizieren getreten, das über das Schicksal des griechischen Volkes nach seiner Willkür entscheidet." Ermuntert durch das Beispiel der griechischen Kollegen, fingen auch die spanischen Redakteure allmählich an, sich offen gegen das Franco-Regime zu äußern.

Reaktionen der Diktaturen ließen nicht lange auf sich warten. Die griechische und die spanische Presse starteten eine Kampagne gegen den Bayerischen Rundfunk. Dieser sei kommunistisch infiltriert und schlimmer als die Ostblocksender. Darüber hinaus setzten die Regierungen beider Länder die Bundesregierung unter zunehmenden diplomatischen Druck, zunächst über vorsichtige Kontaktaufnahme, dann mit offiziellen Anfragen, die zur Einstellung der kritischen Positionen in den Ausländerprogrammen aufforderten.

Die Bundesregierung geriet dadurch in eine schwierige Lage. Nach dem "Fernsehurteil" des Bundesgerichtshofs 1961 - das den Versuch Adenauers, einen eigenständigen Fernsehsender unter Kontrolle der Bundesregierung zu gründen, als verfassungswidrig erklärte - war jegliche staatliche Einmischung in Rundfunkangelegenheiten ein äußerst heikles Unterfangen. Doch konnte das Auswärtige Amt mit dem Hinweis auf die Unabhängigkeit des deutschen Rundfunks die ausländischen Beschwerdeführer nicht zufrieden stellen. Diese drohten bald mit drakonischen politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen. Spanien warnte etwa vor öffentlichen Erklärungen zugunsten der DDR oder vor dem Scheitern bei der Übernahme des deutschen Farbfernsehsystems.

So befand sich die Bundesregierung in einem "demokratischen Dilemma": Sie musste entscheiden, ob in diesen Fällen die Presse- und Meinungsfreiheit außenpolitischen Überlegungen geopfert werden durfte. Die demokratische Ordnung stieß anscheinend an ihre Grenzen, wenn es um Nichtdeutsche ging, denn die Entscheidung fiel zugunsten außenpolitischer Rücksichtnahme.

Um eine Milderung kritischer Töne in den Ausländerprogrammen zu erreichen, wendete sich das Auswärtige Amt an den Leiter der Ausländerprogramme im Bayerischen Rundfunk, Gerhard Bogner, der allerdings die Linie seiner ausländischen Mitarbeiter bedingungslos verteidigte. Bogner erklärte den besorgten Diplomaten, er habe Verständnis für die internationalen Interessen der Bundesrepublik, aber er fühle sich moralisch dazu verpflichtet, die Ausländer in Deutschland objektiv und im Sinne der Meinungs- und Pressefreiheit über die Lage in ihrer Heimat zu unterrichten. Diese Überzeugung ging nicht zuletzt auf Bogners persönliche Erfahrungen in der Familie zurück: Sein Vater wurde vom NS-Staat aus politischen Gründen verfolgt.

Darüber begann eine langjährige bundesdeutsche Auseinandersetzung. Das Anliegen der Diktaturen wurde dabei von zahlreichen deutschen Freunden unterstützt, insbesondere - unter persönlichem Einsatz von Franz Josef Strauß - von der CSU und von Wirtschaftsgruppen, die in Spanien und Griechenland ihre Interessen gefährdet sahen.

Der Druck der Bundesregierung auf den Bayerischen Rundfunk erreichte 1972 seinen Höhepunkt, gerade in der Zeit des "mehr Demokratie wagen". Zwar teilte Bundeskanzler Willy Brandt die in der SPD vorherrschende Überzeugung, man solle den demokratischen Kräften in Südeuropa helfen - und setzte sich teilweise auch entschlossen dafür ein, die Regimes international zu isolieren. In der Regierungsverantwortung brauchte die Koalition aber außenpolitisch sämtliche Energien für die Ostpolitik und konnte es sich nicht leisten, "befreundete" Länder wie Spanien und Griechenland zu verärgern. Trotz einer rhetorisch scharfen Ablehnung der Diktaturen zeigte zudem der kleinere Koalitionspartner FDP Verständnis für die Beschwerden der Wirtschaft. Gerade die von der FDP besetzten Ressorts engagierten sich besonders gegen die Ausländerprogramme. Als die griechischen Behörden ihre Drohungen wahrmachten und die Auftragsvergabe an deutsche Firmen einstellten, griff das Auswärtige Amt (unter dem FDP-Politiker Walter Scheel) den Bayerischen Rundfunk frontal an. Auch Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, ebenfalls FDP, schaltete sich persönlich ein.

Lange Zeit hatten der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Christian Wallenreiter, und der Hörfunkdirektor Walter von Cube der Politik die Stirn geboten und die behördlichen Beschwerdeschreiben über die Ausländerprogramme zurückgewiesen. Nachdem sich die Interventionen auf Staatssekretär- oder gar Ministerebene 1971 und 1972 stark verdichtet und sich auch die (für rundfunkpolitische Angelegenheiten einflussreiche) Münchener Landesregierung eingeschaltet hatte, gaben Wallenreiter und von Cube schließlich nach und beendeten die Ausstrahlung politischer Kommentare in den Ausländerprogrammen; der politische Druck war so groß geworden, dass sie offenbar Konsequenzen für die gesamte Anstalt fürchteten. Ihre Nachfolger, Reinhold Vöth und Gunthar Lehner, beriefen Gerhard Bogner 1973 als Leiter der Abteilung Ausländerprogramme ab und verlangten vom neuen Leiter, Walther Stelzle, eine viel vorsichtigere Haltung bei politischen Themen. Obwohl es sich nicht um unmittelbare Zensur handelte, hatte die Bundesregierung das Ziel einer erheblichen Verminderung kritischer Sendungen über südeuropäische Regimes erreicht. Die ausländischen Redakteure durften zwar bleiben, mussten sich aber einer strengeren Kontrolle unterziehen und eine gemäßigte Linie verfolgen. Damit hatten die Diktaturen die deutschen Behörden dazu gebracht, die Unabhängigkeit des Rundfunks offen zu verletzen.

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre verlagerten sich die politischen Kontroversen auf die Fremdsprachenprogramme des WDR. Mit dem Argument, man könne sich keine Spannungen mit den Herkunftsländern leisten, hatten die zuständigen deutschen Redakteure lange Jahre eine strenge Kontrolle über die ausländischen Mitarbeiter der WDR-Fremdsprachenprogramme ausgeübt. 1973 setzten sich junge deutsche Journalisten wie Ulrich Wickert und Gerda Hollunder im Redakteurausschuss dafür ein, den ausländischen Kollegen mehr Handlungsfreiheit zu ermöglichen. Vor allem Türken und Italiener nutzten die neuen Spielräume und sendeten kritische Nachrichten über die Heimatregierungen. Türkische und italienische Vereine, die den grundsätzlich konservativen regierenden Parteien in den Herkunftsländern nahestanden, griffen daher die Sendungen als vermeintliches Sprachrohr der Kommunisten heftig an und erhielten dabei massive Unterstützung der Springer-Presse. Hinter diesen Attacken steckten häufig türkische und italienische Behörden und Parteien. Um ihren Ruf als Demokratien zu bewahren, enthielten sich allerdings Italien und in der Regel auch die Türkei direkter diplomatischer Anfragen bei der Bundesregierung, die daher in diesem Fall nicht in die Auseinandersetzungen involviert wurde.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Mediennutzung der Einwanderer infolge technologischen Fortschritts völlig verändert. Die Verbreitung des Satellitenfernsehens in den 1990er Jahren stürzte die speziell für Ausländer angebotenen Radioprogramme der ARD in eine tiefe Krise: Kurze Radiosendungen konnten nur schwer mit rund um die Uhr ausgestrahlten Fernsehprogrammen konkurrieren. Wegen der sinkenden Einschaltquoten und des steigenden Spardrucks siegten schließlich innerhalb der ARD die Gegner der "muttersprachlichen" Radiosendungen, die als gemeinschaftliches Programm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten 2002 aufgegeben wurden. Nach dem Scheitern von Radio Multikulti im vergangenen Jahr wird ein umfassendes Radioangebot in nichtdeutscher Sprache heute nur noch vom WDR-Programm Funkhaus Europa produziert. Migrantinnen und Migranten nutzen meistens Fernsehsendungen aus ihren Herkunftsländern, wenn sie Programme in ihrer Herkunftssprache sehen möchten. Damit sind sie auf Sendungen angewiesen, die mit demokratischen Grundsätzen oft nicht vereinbar sind. Dies betrifft nicht nur Minderheiten aus "fernen Ländern". Italiener oder Aussiedler aus Russland sind beispielsweise Fernsehprogrammen ausgesetzt, die von der jeweiligen Regierung weitgehend kontrolliert werden. Bei bestimmten Themen wie der Kurdenfrage ist bei Sendungen aus der Türkei eine ähnliche Problematik zu erkennen. Auch im zusammenwachsenden Europa ist freie Information noch nicht umfassend gewährleistet.

Das Problembewusstsein für staatlich kontrollierte Medien und die Beschränkung der Meinungsfreiheit in den Herkunftsländern von Einwanderern - und damit für eine Informationspolitik, die nicht demokratischen Standards entspricht - sollte in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit und Politik geschärft werden. Deutschland hat sich in letzter Zeit von der restriktiven Einbürgerungspolitik verabschiedet, die jahrzehntelang Menschen mit Migrationshintergrund vom politischen Leben des Landes ferngehalten hat. Allerdings ist durch die Einführung von Einbürgerungstests eine Hürde geschaffen worden, die der Kontrolle über die Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik dienen soll. Zugleich scheint es aber völlig unproblematisch zu sein, dass Millionen potenzielle oder neugewordene Deutsche fragwürdigen Sendungen ausgesetzt sind, die die Verletzung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit widerspiegeln.


Roberto Sala, Historiker, studierte in Mailand und Bielefeld und promovierte an der Freien Universität Berlin. Derzeit ist er Post-Doc-Kollegiat am Max-Weber-Kolleg in Erfurt. Zwischen Mai 2007 und März 2009 war er Gast in der WZB-Forschungsgruppe "Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa". Er interessiert sich speziell für Migrations- und Wissenschaftsgeschichte.
roberto.sala@uni-erfurt.de


Literatur

Bayerischer Rundfunk/Historische Kommission (Hg.), Die Ausländerprogramme im Bayerischen Rundfunk von 1961 bis 1991. Zusammengestellt von Helge Duda, München: Bayerischer Rundfunk 1992

Roberto Sala, "'Gastarbeitersendungen' und 'Gastarbeiterzeitschriften' (1960-1975). Ein Spiegel internationaler Spannungen", in: Zeithistorische Forschungen, Jg. 2., Heft 3, 2005, S. 366-387

Sonja Weber-Menges, "Die Entwicklung ethnischer Medienkulturen. Ein Vorschlag zur Periodisierung", in: Rainer Geißler, Horst Pöttker (Hg.), Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland. Problemaufriss - Forschungsstand - Bibliographie, Bielefeld: transcript 2005, S. 242-322


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 126, Dezember 2009, Seite 28-31
Herausgeberin:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2010