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INTERNATIONAL/016: China - Hilfe aus dem Internet bei der Suche nach verschleppten Kindern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. März 2011

China: Hilfe aus dem Internet bei der Suche nach verschleppten Kindern - Menschenhandel nimmt zu

Vom Gordon Ross


Peking, 10. März 2011 (IPS) - Drei Jahre lang dauerte die Suche nach dem entführten Sohn. Im letzten Monat konnte Peng Wenle endlich aus den Fängen von Menschenhändlern befreit werden und zu seinen Eltern zurückkehren. Seine Rettung verdankt er der Beharrlichkeit von Vater Peng Gaofeng und der Web-Community, die sich aktiv an der Suche beteiligt hatte.

Insgesamt 300.000 Internetuser hatten mitgemacht. Ihrem Beispiel will nun auch Peng Gaofeng folgen, um Familien zu helfen, ihre vermissten Kinder aufzuspüren. "Auch wenn mein Sohn wieder da ist - ich werde nie aufhören, den verzweifelten Eltern zu helfen, denen das bisher nicht gelungen ist", versicherte der 34-Jährige aus Shenzhen, einer Stadt in der südchinesischen Provinz Guangdong. "Ich weiß, wie sehr sie leiden. Sie haben ihre Kinder nur einen winzigen Moment aus den Augen verlassen und müssen nun mit dem Verlust leben - möglicherweise für immer."

Den entscheidenden Hinweis über den Verbleib seines Sohnes verdankt Peng einem Internetaktivisten, der den Jungen wiedererkannt hatte, als dieser bettelnd durch die Straßen von Pizhou zog, einer Stadt in der östlichen Provinz Jiangsu mehr als 1.200 [Kilometer] von Shenzhen entfernt.

In der Volksrepublik wurden bereits tausende Kinder als vermisst gemeldet. Viele verschwanden in Shenzhen und anderen boomenden Küstenstädten, in denen ihre Eltern als Wanderarbeiter Arbeit fanden. Die bevorzugte Beute der Menschenhändler sind Jungen, mit denen sich Preise von 10.000 US-Dollar erzielen lassen.


Kinderhandel innerhalb der Landesgrenzen

Vermutet wird, dass die wenigsten Opfer ins Ausland, etwa nach Singapur oder Malaysia, verbracht werden. Die Mehrheit bleibt offenbar in China. Groß ist die Nachfrage nach gestohlenen Kindern vor allem in den ländlichen Gebieten im Süden der Volksrepublik. 'Käufer' sind meist Familien, die kinderlos oder ohne männlichen Erben geblieben sind. In einigen Fällen werden die Heranwachsenden von ihren Entführern zum Betteln losgeschickt.

Nach Angaben der 'All-China Women's Federation', der größten Frauenorganisation im Reich der Mitte, nimmt die Entführung von Frauen und Kinder immer weiter zu. So beschäftigten in den ersten sieben Monaten des vergangenen Jahres mehr als 1.200 Fälle die Gerichte des Landes, gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres ein Anstieg um 45 Prozent.

Chinas Zensoren erlauben den Medien nur selten, über das Verschwinden von Menschen zu berichten. Der Fall von Peng Wenle wurde jedoch zur landesweiten Sensation und selbst von den Staatsmedien in aller Breite abgedeckt.

Die Übergabe des Jungen an seinen Vater fiel zeitgleich mit einer weiteren erfolgreichen Kindersuchkampagne zusammen, die von Yu Jianrong, Wissenschaftler an der Akademie für Sozialwissenschaftler, initiiert wurde. Der Professor reagierte damit auf das Schicksal eines sechsjährigen Jungen aus Quanzhou in der südöstlichen Provinz Fujian, der 2009 verschleppt und von seinen Entführern zum Betteln losgeschickt wurde.


Breite Resonanz

Yu rief Chinas Internetuser auf, Fotos von bettelnden Kindern zu machen und an die Mikroblogs der populären chinesischen Nachrichtenportale QQ und 'Sina' weiterzuleiten. Einmal online konnten die Bilder mit den Fotos der Polizei oder der Eltern vermisster Kinder verglichen werden. Aufgrund des großen Zulaufs, den die Kampagne erfuhr, startete QQ die Webseite 'Kind komm zurück'.

Drei Wochen nach dem Aufruf Yus lagen den Mikroblogs bereits mehr als 1.800 Fotos vor, und vier Kinder konnten mit Hilfe der Bilder gefunden werden, berichtete 'Information Times', ein Ableger der Tageszeitung 'Guangzhou Daily'. Ein Computerexperte entwickelte sogar eine Gratis-Anwendung, die es Menschen erlaubt, ihre Fotos von ihren Handys direkt in die Datenbank einzuspeisen.

Chen Shiqu, Chef der Abteilung für entführte Kinder im Chinesischen Büro für öffentliche Sicherheit, hat der Kampagne auf seinem eigenen Mikroblog seine Unterstützung zugesagt. Auch kündigten Delegierte des derzeit in Peking tagenden Nationalen Volkskongress an, gegen die Entführung von Kindern aktiv zu werden.

Chen wies darauf hin, dass die Zentralregierung im April 2009 eine eigene Kampagne gestartet hatte, um gegen Menschenhändler und Entführer vorzugehen. Nach Angaben der 'China Youth Daily' konnten bereits 6.785 Kinder und 11.839 Frauen befreit werden.

In China steht auf die Entführung von Kindern oder behinderten Menschen drei Jahre Gefängnis. Unter besonderen Umständen können Haftstrafen von bis zu sieben Jahren verhängt werden. Professionelle Menschenhändler müssen mit fünf bis zehn Jahren Gefängnis rechnen. Mitgliedern krimineller Banden, die sich auf den Handel mit Frauen und Kinder verlegt haben, droht die Todesstrafe.

Nach Ansicht von Hu Xingdou, Wirtschaftsprofessor am Pekinger Technologieinstitut, können Mikroblogs nicht die Lösung des Problems sein. Seiner Meinung sollten die Behörden nicht erst auf Vermisstenanzeigen reagieren, sondern schon vorher Maßnahmen ergreifen. So empfiehlt er ein Gesetz, dass das Betteln von Kindern verbietet. (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.women.org.cn/english/index.htm
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=54785

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2011