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PRESSE/142: Ein Lehrstück - Die "geistige Abrüstung" bei der Basler Zeitung (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 4/2012

Ein Lehrstück: Die "geistige Abrüstung" bei der Basler Zeitung

Von Rudolf Walther



Der Niedergang der Qualitätszeitungen ist ein Dauerthema in allen Medien. Ein paradigmatischer Fall in mehrfacher Hinsicht ist die "Basler Zeitung". Der Fall trägt typisch schweizerische Züge, weist aber weit über die Schweiz hinaus auf Verhältnisse in anderen Ländern, für die der Fall ein Menetekel sein könnte.


Betrachtet man die Entwicklung der Basler Zeitung in den letzten zehn Jahren, kann man diese als Drama in fünf Akten beschreiben. Zu einer Tragödie fehlt dem Stück nur eines - Untergang der Hauptfigur, denn die Zeitung existiert noch. Es fragt sich nur, wie lange.

Erster Akt: Im Jahr 2003 war die Basler Zeitung noch in Familienbesitz. Verluste im Anzeigengeschäft zwangen die Besitzer zu Sparprogrammen. Zunächst sollten 13 bis 17 Redaktionsstellen ebenso gestrichen werden wie die Pauschalisten und die meisten freien Mitarbeiter. Ersatzlos gestrichen wurde auch die Wochenendbeilage Basler Magazin - ein überregional geschätztes, intellektuell anspruchsvolles Magazin. Mit dem Chefredakteur Hans-Peter Platz war diese "Reform", die nur auf Kosten der Qualität durchzuführen war, nicht zu machen. Er wurde deshalb ausgetauscht durch Ivo Bachmann, der von einer Konsumentenzeitschrift kam. Er wollte die Tageszeitung, die bisher überregional beachtet wurde, zum Regional- und Lokalblatt umbauen, das sich programmatisch auf "extreme Lesernähe" festlegte und primär die Alltagssorgen des Publikums ansprechen sollte. Bachmann bekannte sich in seinem ersten Artikel etwas bieder "zu einer Zeitung mit menschlichem Antlitz" und berief sich auf amerikanische Lokalblätter als Vorbild. Was er damit meinte, drückte er so aus: "Was beschäftigt die Menschen hier in der Region? Was sind die drängendsten Probleme im Beruf, in den Schulen, in den Quartieren und Gemeinden?" Seine "redaktionellen Wertmaßstäbe" kleidete Bachmann in eine rhetorische Frage: "Ist nun die Roadmap im Nahen Osten wichtiger als die Verkehrsplanung in der nahen Region? Weltpolitisch gewiss. Auf den Alltag und die Lebensqualität der Baslerinnen und Basler aber wird die Roadmap einen sehr bescheidenen, die Verkehrsplanung hingegen einen ganz direkten Einfluss haben." Damit waren die Weichen gestellt Richtung Provinzialisierung und Boulevardisierung des Blattes.

Zweiter Akt: Nach wenigen Monaten unterbot das Ergebnis die ohnehin geringen Erwartungen und übertraf die Befürchtungen. In einer beliebigen Ausgabe enthielt die erste Seite des Blattes sieben Artikel, von denen sich sechs direkt auf Basel bezogen. Der siebte drehte sich um die Meinung von Abgeordneten des nationalen Parlaments zu Christoph Blocher. Auch dafür befragte man nur Basler Abgeordnete.

Basel und insbesondere der Basler Sport dominieren die Frontpage der gelifteten Zeitung in einem Ausmaß, dass man von einem Lokalblatt sprechen kann. Eine entgleiste Straßenbahn in der Stadt wurde ebenso Aufmacher wie ein Sieg des FC Basel. "Lesernähe" demonstrierte das Blatt, als es nach Tötungsdelikten, an denen Ausländer beteiligt waren, an prominenter Stelle über "Probleme mit Ausländern" (29.6.2004) debattierte. Die Auslandsberichterstattung wurde dafür ausgedünnt.

"Die 'Basler Zeitung' ist wie Basel. Sie bewahrt das Bewährte und ist doch innovativ", schrieb der Chefredakteur in einem Editorial, das wie in jeder Boulevardzeitung im Wesentlichen mit Hauptsätzen auskommt. In der Tat: Die neue Basler Zeitung redet so volksnah-selbstgerecht und selbstzufrieden wie viele Basler Spießbürger. Das drückt sich auch in den Blattanteilen aus. Der Regionalteil ist etwa gleich stark wie der nationale und der internationale Politikteil zusammen. Dritter Akt: Nägel mit Köpfen machte man im Feuilleton und trieb die intellektuelle Verbiesterung des Blattes voran. "Kultur" umfasste nun alles zwischen Garten-, Unternehmens- und Jugendkultur, Reise-, Essens- und Wohnkultur, Lifestyle, Mode und Wellness - ein Kessel Buntes aus Abfall und Durchfall. Basler Kulturschaffende protestierten gegen diesen Kahlschlag mit einer Anzeige und sprachen vom Klima "geistiger Abrüstung", in dem "intellektuelle Kompetenz und Sachverstand" in Kunst, Literatur und Wissenschaft nur noch als "Störfaktoren wahrgenommen werden."

Vierter Akt: Die Auflage sank mit dem Niveau der Zeitung (2008: 93.324 Exemplare, 2011: 77.619 Exemplare), die Schulden stiegen. Am Schluss blieb der Besitzerfamilie nur noch der Verkauf. Im Februar 2010 verkaufte die Verlegerfamilie Hagemann die Basler Zeitung an den Finanzmakler Tito Tettamanti. Dieser erwarb 75%, sein Partner Martin Wagner 25% der Anteile. Wagner fungierte auch als Verleger; Tettamanti hielt sich völlig aus dem operativen Geschäft heraus und wollte nur schwarze Zahlen sehen.

Als Chefredakteur installierten die neuen Besitzer Markus Somm. Der war bis dahin Stellvertreter von Roger Köppel gewesen, dem Chefredakteur, Verleger und Besitzer der politisch weit nach rechts und intellektuell böse abgerutschten Wochenzeitung Weltwoche. Diese hatte der Finanzjongleur Tettamanti 2002 gekauft und 2006 an Köppel weiterverkauft oder verschenkt - die genauen Umstände des Deals sind nicht bekannt. Sicher ist nur, dass das Blatt seither einen strammen politischen Kurs fährt und so etwas wie der Lautsprecher der "Schweizerischen Volkspartei" des Milliardärs und Populisten Christoph Blocher geworden ist.

Fünfter Akt: Neun Monate später - im November 2010 - wurde bekannt, dass die Robinvest AG als Beraterin der Basler Zeitung fungierte. Diese Finanzierungsgesellschaft gehört Christoph Blocher und seiner Tochter Rahel. Außer zu Protesten kam es nun zu massiven Abonnementskündigungen. Tettamanti und Wagner reagierten schnell und verkauften die Zeitung an den Basler Unternehmer Moritz Suter. Das Beratungsmandat mit Blochers Robinvest AG wurde gekündigt, aber Somm blieb Chefredakteur. Die wirklichen Besitzverhältnisse blieben unklar.

Ein Jahr später verkaufte Suter seine Aktien an Rahel Blocher und stieg aus. Vater Blocher räumt öffentlich ein, dass Suter nur sein Strohmann war und er selbst die Zeitung aus dem Hintergrund steuerte. Nominell fungierte nun seine Tochter als Besitzerin.

Allerdings nicht lange. Sie kaufte zwar die Aktien von ihrem Strohmann Moritz Suter zurück, behielt sie aber nicht, sondern verkaufte sie gleich weiter an die Medien Vielfalt Holding AG, die der Investor Tito Tettamanti beherrscht - also der vorletzte Besitzer des Blattes.

So beginnt das Spiel mit der Basler Zeitung von vorn, denn Tettamanti will erklärtermaßen keine Zeitung führen, sondern Geld verdienen. Die neue Figur in diesem Spiel ist der rechtsliberale Politiker Filippo Leutenegger, den Tettamanti zum Präsidenten der Medien Vielfalt Holding mit Sitz in der Steuerbetrugsoase Zug machte, zu der jetzt die Basler Zeitung gehört.

Leutenegger begann seine politische Karriere als Linksradikaler. Er gehörte 1979/80 zu den Mitbegründern der linken Zürcher Wochenzeitung. Von 1981 an arbeitete er für das Schweizer Fernsehen als Italien-Korrespondent und Moderator. Nebenberuflich baute er eine Immobilienfirma auf. Das verbindet ihn mit dem Investor Tettamanti, der sein Geld auch im Immobilienhandel verdiente (angeblich mit dubiosen Fluchtgeldern aus Italien, die in der Schweiz eine sichere Anlage suchten). 1998 wurde Leutenegger Chefredakteur des Schweizer Fernsehens. 2002 wurde er Geschäftsführer des Zeitungsverlags Frey AG, den er sanierte und an die Springer AG verkaufte. Zur Frey AG gehörte damals auch noch die Weltwoche, die Tettamanti herauslöste und an Roger Köppel weiterreichte.

Gleichzeitig stieg Leutenegger in die Politik ein und errang 2003 für die schweizerische FDP ein Parlamentsmandat mit der Parole "Weniger Staat, mehr Schweiz". Sein Kampf gegen den Sozialstaat, für weniger Staatsausgaben und geringere Steuern führte ihn politisch in die Nähe von Blochers SVP-Nationalismus und Tettamantis Investoren-Liberalismus. Der Coup mit der Basler Zeitung richtet sich laut Blocher gegen die "Diktatur des Mainstreams" und die "nordkoreanischen Verhältnisse" im helvetischen Pressewesen. Das Trio Blocher-Tettamanti-Leutenegger bündelt finanzielle, politische und mediale Macht zu einem Rechtskartell, das - auf die Dauer - die Schweizer Medienlandschaft "berlusconisieren" könnte.

Das Zusammenspiel von rigiden Sparprogrammen bei Qualitätszeitungen und deren Provinzialisierung und Boulevardisierung ist keine schweizerische Besonderheit, sondern mittlerweile in vielen westeuropäischen Ländern eine Tatsache. Genau das ist es ja auch, was für die Pressefreiheit und den Rechtsstaat überall als Menetekel gesehen werden sollte. Und dieses hat einen Namen: Postdemokratie.


Rudolf Walther (* 1944) ist Historiker und freier Publizist. Er arbeitet für Schweizer und deutsche Zeitungen und lebt in Frankfurt/M. Im Oktober Verlag erschien zuletzt die Essaysammlung: Aufgreifen, begreifen, angreifen als erster von drei Bänden.
(rudolf.walther@t-online.de)

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 3/2012, S. 51-53
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und
Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2012