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MELDUNG/265: Sexualverbrechen an Journalistinnen - Medienverband stellt Sonderbericht vor (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Juni 2011

Medien: Sexualverbrechen an Journalistinnen - Medienverband stellt Sonderbericht vor

Von Kanya D'Almeida


Washington, 9. Juni (IPS) - Am 11. Februar trat Ägyptens Staatspräsident Hosni Mubarak zurück. Am gleichen Tag wurde in einer dunklen Ecke des Kairoer Tahrir-Platzes die CBS-Fernsehkorrespondentin Lara Logan von etwa 200 Männern sexuell attackiert. Den Fall hat das Komitee zu Schutz von Journalisten mit Sitz in New York zum Anlass genommen, um sich in einer neuen Studie mit dem Problem der sexuellen Gewalt gegen Medienvertreterinnen auseinanderzusetzen. Das Fazit: Das Verbrechen bleibt meist im Verborgenen, da es weltweit den meisten Opfern aus Angst vor einer kulturellen und beruflichen Stigmatisierung schwer fällt, die Übergriffe zu kommunizieren geschweige denn anzuzeigen.

"Eine ganze Zeitlang wurde ich mit Händen vergewaltigt", beschrieb Logan im vergangenen Monat in einem Interview mit der 'New York Times' die erlittene Sexualattacke. Nachdem die Menschenmassen sie von ihrem Bodyguard getrennt hatten, wurde sie geschlagen und dann "gnadenlos misshandelt". Allerdings war diese Journalistin nicht bereit, die Bürde allein zu tragen und sich schlecht zu fühlen: "Etwa in der Art, als gehe es um mein kleines schmutziges Geheimnis, über dass ich beschämt sein sollte", sagte Logan.

Auch wenn die US-Amerikanerin nicht die erste Medienberichterstatterin ist, die sexuell genötigt oder missbraucht wurde, so hat sie mit ihrer Offensive den Mantel des Schweigens zerrissen, der in der Regel über solche Verbrechen ausgebreitet wird. Denn kaum hatte die CPJ-Redakteurin Lauren Wolfe in einem Blog den Anschlag auf Logan thematisiert, fühlten sich Dutzende Journalistinnen aus aller Welt ermutigt, über ähnliche Erfahrungen zu berichten. Das Ergebnis ist der Sonderbericht 'The Silencing Crime: Sexual Violence and Journalists' ('Das zum Schweigen gebrachte Verbrechen: Sexuelle Gewalt und Journalisten').


Demütigung und Schuldgefühle

Auf der Grundlage von fast 50 Interviews haben sich 27 US-amerikanische und 25 Journalistinnen aus anderen Ländern von Afrika über Asien bis Nahost und Lateinamerika zu Wort gemeldet, um die Spitze eines Eisbergs freizulegen. Wie Co-Autorin Wolfe in einer Pressemitteilung erklärte, beinhalten die Übergriffe Verbalattacken, sexuelle Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung.

Viele der Frauen, die sich für die Interviews zur Verfügung stellten, hatten aus Angst vor ihrer gesellschaftlichen Ächtung jahrelang den Mund gehalten. Viele tun es auch heute noch, um ihre "berufliche Karriere nicht aufs Spiel zu setzen", wie eine der Interviewpartnerinnen erläuterte.

"Es ist beschämend und du fühlst dich wie ein Idiot, wenn du etwas sagt, besonders wenn du selbst über noch viel schlimmere Verbrechen schreibst", berichtete Jenny Nordberg, eine in New York tätige schwedische Journalistin, die während ihrer Berichterstattung über die Rückkehr von Benazhir Bhutto aus dem Exil nach Pakistan im Oktober 2007 von Männern begrabscht worden war. Ihren Kollegen habe sie nichts erzählt aus Angst, ausgegrenzt oder in der Opferrolle nicht mehr respektiert zu werden.


Schweigen nach Trauma

Neun Jahre sollte es dauern, bis sich die kolumbianische Berichterstatterin Jineth Bedoya dazu durchrang, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie war im Mai 2000 von mehreren Männern verschleppt, gefesselt und mit verbundenen Augen in einem Haus in der zentralen Stadt Villavicencio gruppenvergewaltigt worden.

Der Fall ist den Behörden des südamerikanischen Landes bekannt. Da sie jedoch nichts unternehmen, hat sich Bedoya im letzten Monat an die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten gewandt. Indem sie ihren eigenen Fall sichtbarer mache, hoffe sie, dass sie auch andere Journalistinnen ermutige werde, solche Verbrechen anzuzeigen und Gerechtigkeit einzufordern.

Auch wenn sexuelle Gewalt keine Narben wie viele andere Verbrechen hinterlässt, die Verletzung bleibt, wie Nordberg betonte. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.cpj.org/reports/2011/06/silencing-crime-sexual-violence-journalists.php
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=55972

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2011