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INTERNATIONAL/117: Ägypten - Militärzensur, Medien blenden Proteste von Mursi-Anhängern aus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. August 2013

Ägypten: Militärzensur - Medien blenden Proteste von Mursi-Anhängern aus

von Adam Morrow und Khaled Moussa al-Omrani


Bild: © Hisham Allam/IPS

Straßenkämpfe in Ägypten nach Sturz von Präsident Mursi
Bild: © Hisham Allam/IPS

Kairo, 19. August (IPS) - Während die politische Krise in Ägypten eskaliert, beschuldigen Anhänger des gestürzten Staatspräsidenten Mohamed Mursi die staatlichen und privaten Medien im Land, die Proteste seiner Getreuen auszublenden und massive Menschenrechtsverletzungen zu vertuschen.

"Das ägyptische Fernsehen versucht die Ermordung Hunderter unbewaffneter Kundgebungsteilnehmer auf dem Kairoer Rabaa-Adawiya-Platz zu verschleiern", so Qutb al-Arabi, ein führendes Mitglied der Muslimbruderschaft. "Es wird sogar versucht, die Opfer als 'Terroristen' darzustellen."

Am 14. August hatten Sicherheitskräfte in der Hauptstadt gewaltsam zwei Protestlager von Mursi-Anhängern aufgelöst, die die Wiedereinsetzung des Präsidenten forderten. Am Tag darauf gab das ägyptische Gesundheitsministerium die Zahl der Toten auf dem Rabaa-Adawiya-Platz, wo sich das größte Protestlager befand, mit 288 an. Die Nationale Allianz zur Unterstützung der Legitimität, die auf Seiten Mursis steht, sprach dagegen von mehreren Tausend Opfern. Unabhängige Angaben liegen derzeit nicht vor. Unter den Toten sind auch mindestens vier Journalisten.

Das gewaltsame Vorgehen gegen die Demonstranten hat landesweit Zusammenstöße zwischen Mursi-Getreuen und dem Militär ausgelöst, das oft in Zivil im Einsatz ist. Zahlreiche Polizeiwachen wurden geplündert und in Brand gesteckt.


Mursi-Getreue als 'Terroristen' gebrandmarkt

Die staatliche Presse und die meisten privaten Medien begrüßten die Einsätze der Sicherheitskräfte gegen die "Terroristen", die die "nationale Sicherheit bedroht hatten". Im Fernsehen wurden Waffen gezeigt, die angeblich in den zwei Protestlagern sichergestellt worden waren. Al-Arabi beschuldigte dagegen die Sicherheitskräfte, absichtlich Falschinformationen in Umlauf gebracht zu haben.

Die Demonstrationen der Mursi-Anhänger seit dem Sturz des Staatschefs durch das Militär am 3. Juli verliefen zumeist friedlich. Teilnehmer skandierten häufig das Wort 'salmiya', das 'friedlich' bedeutet.

Ägyptische Medien versuchen zudem, die Zahl der Demonstrationen von Mursis Parteigängern herunterzuspielen. "Eine riesige Zahl von Ägyptern geht derzeit im ganzen Land auf die Straße, um die Wiederherstellung der demokratischen Legitimität einzufordern und die Massaker zu verurteilen", sagt al-Arabi. "Genaue Zahlen sind aber nicht zu ermitteln, weil die Medien nicht über die Pro-Mursi-Demonstrationen, vor allem die außerhalb von Kairo, berichten."

"Das ägyptische Fernsehen lässt unsere Proteste vollständig links liegen, offenbar in der Hoffnung, der Öffentlichkeit weismachen zu können, dass es keinen Widerstand gegen den Militärputsch gibt", sagte der 30-jährige Ingenieur Mahmoud Sallem kurz vor der Räumung des Pro-Mursi-Protestlagers auf dem Rabaa-Adawiya-Platz.

Am 5. August hatten die Behörden der jemenitischen Friedensnobelpreisträgerin Tawakul Kerman, die einen Solidaritätsbesuch auf dem Platz plante, die Einreise nach Ägypten verweigert. Am nächsten Tag erklärte sie: "Nur diejenigen, die den Militärputsch unterstützen, erhalten in den Medien eine Stimme."

Laut al-Arabi, der auch dem für die staatliche Presse verantwortlichen Obersten Rat für Journalismus in Ägypten angehört, ist der Blackout bei Nachrichten über Mursi-Anhänger Teil eines größeren Feldzugs gegen die Islamisten in Ägypten. "Nach dem Coup hörte die Staatspresse sofort damit auf, irgendetwas von Autoren zu veröffentlichen, die zum Islamismus tendieren", sagte er. "Alle staatlichen Fernsehkanäle und die meisten privaten Sender luden keine solchen Gäste mehr ein."


Islamistische TV-Kanäle geschlossen

Nach Mursis Sturz ließen die Behörden unverzüglich alle islamistischen Fernsehsender unter dem Vorwurf schließen, sie würden "zu Gewalt aufstacheln". Die Sicherheitskräfte durchsuchten aus diesem Grund auch die Kairoer Büros des arabischen Senders Al Jazeera. Private Kanäle, die für ihre anti-islamistische Haltung bekannt sind, blieben unbehelligt.

Die meisten dieser Sender, die sich in einem Medienpark am Rand von Kairo befinden, sind im Besitz prominenter Geschäftsleute, denen enge Verbindungen zum Regime des gestürzten Diktators Husni Mubarak nachgesagt werden.

Anfang August wurden Dutzende Mursi-Anhänger festgenommen, als sie sich zu einem Protest vor dem Medienpark einfanden, wo sie eine "Säuberung" der Fernsehsender forderten. Die kleine Zahl der nicht- ägyptischen Kanäle, die über die Demonstrationen berichten wollten, wurde schikaniert.

Am Abend des 13. August berichtete der Sender 'Al-Quds', der seinen Hauptsitz in Gaza-Stadt hat, dass sein Büro in Kairo durchsucht und ein Beschäftigter festgenommen worden sei. Al-Quds, einer der wenigen Kanäle, die über die Pro-Mursi-Proteste berichten, wird von der islamistischen Palästinenserbewegung Hamas betrieben. Auch andere Sender erlebten in den vergangenen Wochen, dass ihr Empfang aus Ägypten gestört wurde.


"Medienkrieg" zwischen 'Al Jazeera' und 'Al-Arabiya'

Hassan Ali, Professor für Medienrecht an der Universität von Kairo, hob hervor, dass der Kampf um Sendefrequenzen inzwischen eine internationale Dimension angenommen hat.

Zwischen Al Jazeera mit Sitz im den Muslimbrüdern freundlich gegenüber stehenden Katar und dem Kanal Al-Arabiya in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die gegen die Muslimbruderschaft eingenommen sind, tobe ein "Medienkrieg", berichtete er. Am 14. August äußerten die VAE ihre volle Unterstützung für die Maßnahmen der ägyptischen Behörden gegen die Mursi-Befürworter. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/08/egyptian-media-silences-protests/

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IPS-Tagesdienst vom 19. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2013