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INTERNATIONAL/082: Argentinien - Neues Gesetz, neue Stimmen, Bezahlfernsehen muss Sendeplätze räumen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. November 2012

Argentinien: Neues Gesetz, neue Stimmen - Bezahlfernsehen muss Sendeplätze räumen

von Marcela Valente



Buenos Aires, 6. November (IPS) - "Jetzt brauchen wir niemanden mehr, der für uns spricht. Wir haben unsere eigene Stimme", freut sich Armando Kispe, ein ethnischer Kolla aus Queta, einem Dorf der nordwestargentinischen Hochlandprovinz Jujuy. Er betreibt 'Radio Pachakuti', den ersten indigenen Sender, der von einem Gesetz profitiert, das die Vergabe der Hörfunk- und Fernsehlizenzen regelt. Im nächsten Monat soll die Reform für mehr mediale Vielfalt und Demokratie vollständig umgesetzt sein.

Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, Frank La Rue, bezeichnete das Gesetz für den Betrieb audiovisueller Kommunikation bei einem jüngsten Besuch in Buenos Aires "als ein Modell für den Kontinent und andere Weltregionen". Doch in dem südamerikanischen Land selbst stößt es auf Widerstand - vor allem bei dem einflussreichen Medienunternehmen 'Clarín', das sich genötigt sieht, einen Großteil seiner Sendeplätze zu verkaufen.

Die Neuregelung ersetzt ein Dekret aus Zeiten der Militärdiktatur (1976-1983), das ausschließlich Unternehmen den Erwerb und Besitz von Fernseh- und Rundfunklizenzen gestattete. Sie sieht die Aufteilung der Lizenzen in drei gleiche Teile für staatliche, private und gemeinnützige Organisationen vor. Profitieren werden vor allem Regierungseinrichtungen sowie 'neue Akteure' wie Indigene, Universitäten und zivilgesellschaftliche Gruppen. Ihnen allen wird der Zugang zu Sendeplätzen erleichtert. Sie müssen nur noch einen Antrag für eine gewisse Frequenz stellen.

Kispe hatte 2011 an einem Schulungskurs der Rundfunkbildungsanstalt ISER in Abra Pampa im Puna-Hochland teilgenommen. Er ist einer von insgesamt zwölf Betreibern und Ansagern von Radio Pachakuti. "Wir sind 16 Stunden auf Sendung. Wir bringen Nachrichten aus den Gemeinden, berichten über Bildungsbelange und über die Geschichte der indigenen Völker", sagt er. An Musik werde gebracht, was gefalle - vor allem aber Musik aus den Anden.


Unabhängiges Sprachrohr

"Ein eigenes Medium zu haben bedeutet, dass wir niemanden mehr brauchen, der für uns eintritt. In anderen Medien wurden wir zensiert. Heute haben wir unsere eigene Stimme", betont Kispe. "Wir können nun auch medial für unsere Territorien und den Schutz unserer Umwelt eintreten."

Wie die ISER-Dozentin Cecilia Aguilar berichtet, hat das Einführungsseminar für Rundfunkkommunikation in Abra Pampa und in anderen indigenen Dörfern gezeigt, wie wichtig indigene Medien für die Identität, Sprache und Kultur der jeweiligen Völker sei.

Koordiniert werden die Schulungskurse von Buenos Aires aus von Sebastián Peiretti, Chef der ISER-Bildungsabteilung. Bei den Schulungsprogrammen gehe es darum, den Zielgruppen dabei zu helfen, ihre eigenen Rundfunkprojekte auf die Beine zu stellen und ihnen das Equipment zur Verfügung zu stellen, das sie benötigten, um ihre eigenen Programme und Inhalte entwickeln und ausstrahlen zu können. Die dreijährige Existenz des Gesetzes habe man genutzt, um all jene Interessierten zu schulen, die bisher nicht an Sendefrequenzen herangekommen seien.

Seit Inkrafttreten der neuen Bestimmungen sind 365 neue Rundfunksender an den Start gegangen. Hinzu kamen 40 kleine und mittelständische Content-Produzenten. "Um das Recht auf Informationen und Meinungsfreiheit garantieren zu können, müssen die monopolistischen Tendenzen und die Medienkonzentration verringert werden", so Martín Sabbatella, Vorsitzender der Linkspartei 'Nuevo Encuentro'. Das Gesetz sei dazu das richtige Werkzeug und werde von den mächtigen Mediengruppen entsprechend angefeindet.


Oberster Gerichtshof beendet gerichtliche Manöver

Ingesamt wurden etwa 5.000 Radio-, Fernsehen- und Kabel-TV-Lizenzen ausgegeben, 4.500 befinden sich in der Hand von 2.500 Organisationen. Die übrigen 500 verteilen sich auf gerade einmal zwei Dutzend Unternehmensgruppen. Der größte Monopolist ist Clarín, der mit gerichtlichen Eingaben die vollständige Umsetzung des Mediengesetzes herauszögern konnte. Die Neuregelung zwingt Clarín dazu, einen großen Teil seiner mehr als 240 Radio-, Fernseh- und Kabelfernsehlizenzen abzustoßen.

Tatsächlich sieht das von zivilgesellschaftlichen Organisationen seit langem geforderte und vom Parlament verabschiedete Gesetz vor, dass Unternehmen und Privatpersonen höchstens zehn Radio- und Fernseh- und 24 Kabel-TV-Lizenzen besitzen dürfen. Inzwischen hat auch Argentiniens Oberster Gerichtshof beschlossen, dass die privaten Unternehmen bis zum 7. Dezember ihre überschüssigen Lizenzen verkaufen müssen. In dem Urteil heißt es ferner, dass das Gesetz an keiner Stelle gegen die Meinungsfreiheit verstoße, wie von Clarín, der Opposition und anderen Gegner im In- und Ausland angeprangert.

"Clarín ist die einzige Mediengruppe, die keine Bereitschaft erkennen lässt, sich an die Frist des Gerichts zu halten", meint Martín Sabbatella. "Sollte die Gruppe, die auch den nationalen Zeitungsmarkt beherrscht, sich nicht an das Urteil des Obersten Gerichtshofs halten, werden die überschüssigen Lizenzen zum Verkauf ausgeschrieben." (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.afsca.gob.ar/ley-de-servicios-de-comunicacion-audiovisual-26-522/
http://www.ipsnews.net/news/regional-categories/latin-america-and-caribbean/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101816

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2012