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INTERNATIONAL/062: Kolumbien - Widersprüche über Verschwinden von französischem Reporter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Mai 2012

Kolumbien: Widersprüchliche Informationen über Verschwinden von französischem Reporter

von Constanza Vieira



Bogotá, 2. Mai (IPS) - Die Regierung Kolumbiens hat bestritten, dass der französische Reporter Romeo Langlois von linksgerichteten FARC-Rebellen entführt worden ist. Demnach wird der Journalist "vermisst", während die französische Regierung von einer "Entführung" und "Gefangennahme" durch die Guerilla spricht. Die unabhängige Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte den Mangel an verlässlichen Informationen in dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg.

Der kolumbianische Verteidigungsminister Juan Carlos Pinzón berichtete unterdessen über Einzelheiten eines Gefechts zwischen der Armee und den Rebellen, in dessen Verlauf Langlois am 28. April verschwand. "Romeo wurde durch einen Schuss in den linken Arm verletzt. Als die Lage brenzlig wurde, nahm er seinen Helm ab, zog seine kugelsichere Weste aus und lief auf die Guerillatruppe zu", erklärte Pinzón.

Wie alle Journalisten, die die kolumbianische Armee bei Kampfeinsätzen begleiten, musste auch Langlois Militärkleidung tragen. Erfahrene Kriegsreporter raten ihren Kollegen jedoch, diese Kleidung bei einem Angriff sofort abzulegen, um nicht für Soldaten gehalten zu werden.

Nach Angaben mehrerer Armeeangehöriger, die sich an dem Anti-Drogen-Einsatz beteiligt hatten, ließ Langlois seine Kamera zurück und rief den Rebellen zu, dass er Journalist sei. Er sei dann zu der Stelle hin gerannt, von der aus die Guerilleros das Feuer eröffnet hatten.

Wie die Regierung äußerte indes auch der kolumbianische Journalist Alfredo Molano Zweifel an der Version, wonach Langlois gekidnappt worden sei. "Ich glaube nicht, dass jemals ein Reporter von der Guerilla entführt worden ist", sagte er. "Nach dem, was wir aus offiziellen Quellen erfahren haben, ergab er sich selbst denjenigen, die in dem Moment den Kampf für sich entschieden. Deshalb schwenkte er vor den Rebellen die weiße Fahne."


Lange Erfahrung mit kolumbianischem Bürgerkrieg

Langlois, der für den Fernsehsender 'France 24' und die Zeitung 'Le Figaro' arbeitet, lebt seit zwölf Jahren in dem südamerikanischen Land. Die anderen ausländischen Journalisten sehen ihn als mutigen Kollegen, der den seit Jahrzehnten andauernden bewaffneten Konflikt und die damit verbundenen Wirtschaftsinteressen sehr gut kennt. Gemeinsam mit dem französischen Reporter Pascal Mariano drehte er den Dokumentarfilm 'Pour tout l'or de Colombie' (Für alles Gold in Kolumbien), der zurzeit von Fernsehsendern in aller Welt ausgestrahlt wird.

Der Zwischenfall ereignete sich nahe des Dorfes Buena Vista in der südlichen Region Caquetá, die zu der 42.000 Quadratkilometer großen Zone gehörte, die von der ehemaligen Regierung von Präsident Andres Pastrana (1998-2002) demilitarisiert wurde. Den Abzug des Militärs aus dem Gebiet hatten die FARC-Rebellen als Voraussetzung für Friedensgespräche gefordert, die 2002 allerdings scheiterten.

Kurz vor seinem Verschwinden recherchierte Langlois mit dem italienischen Dokumentarfilmer Simone Bruno für 'France 24' und 'Le Figaro' über den Drogenhandel in Kolumbien. Am 24. April trafen die beiden auf der Militärbasis Larandia in Caquetá ein. Dort war auch ein Reporterteam des 'National Geographic Channel', das den Militäreinsatz filmen wollte.

Nachdem die Operation mehrmals verschoben wurde, reisten Bruno und die Reporter des US-Senders wieder ab. Wie IPS erfuhr, hatten die FARC etwa eine Woche vor dem Gefecht mit der Armee Menschenrechtsaktivisten den Zugang zu der Region verweigert. Dies wurde als Zeichen dafür gesehen, dass die Guerilla dort Kampfeinsätze plante.

Ein gemeinsames Kommando aus Armee und Polizei drang am 28. April schließlich in das Gebiet von Unión Peneya vor, wo sich auch das Dorf Buena Vista befindet. Die offiziellen Darstellungen der Ereignisse und der Zahl der Opfer beim Beschuss eines Armeehubschraubers vom Boden aus widersprechen sich. In unterschiedlichen Quellen ist von vier bis 21‍ ‍Toten die Rede.

Reporter ohne Grenzen teilte am 30. April mit, dass "der Krieg der Worte und Halbwahrheiten ein wesentlicher Teil des kolumbianischen Bürgerkriegs ist". Die Konsequenzen könnten für die Opfer gefährlich werden, warnte die Organisation, die forderte, dass im Fall Langlois weiter nach Fakten gesucht werden müsse. Stellungnahmen, die Langlois weiter in Gefahr bringen könnten, sollten vermieden werden, bis die genaue Sachlage geklärt sei.


Armee beschlagnahmte Langlois Aufnahmen

Bruno, dessen Computer unter rätselhaften Umständen in Bogotá gestohlen wurde, kehrte am 29. April nach Caquetá zurück. Dem kolumbianischen TV-Sender 'Canal Capital' sagte er, dass die Armee ihm Langlois Kamera ohne die Memorysticks aushändigen wollte. Somit habe er keinen Zugriff auf die Aufnahmen von Langlois. Auch Bruno sah keine Anhaltspunkte für eine Entführung des Kollegen und betonte, dass die kolumbianische Regierung ihn als 'vermisst' betrachtete.

Der Jesuitenpater und prominente Menschenrechtler Javier Giraldo wies darauf hin, dass diese Form der Berichterstattung "sehr gefährlich ist und von der anderen Seite missverstanden werden kann".

Journalisten, die das Militär zu Kampfeinsätzen begleiten, verlieren rein theoretisch zwar nicht den Schutz, der ihnen als Zivilpersonen gemäß dem Völkerrecht zusteht. Darin heißt es aber auch, dass sie auf eigenes Risiko handeln.

"Die Organisation 'Kolumbianer für Frieden' kennt Romeo Langlois gut", sagte eines ihrer Mitglieder, Gloria Cuartas. Die Gruppe war daran beteiligt, die Freilassung von 30 von der FARC entführten Zivilisten und Militärangehörigen auszuhandeln. Die Rebellengruppe sagte im Februar zu, keine Zivilisten mehr zu entführen, um Lösegeld zu erpressen.

Langlois habe sich dafür eingesetzt, über den komplexen militärischen und sozialen Konflikt in Kolumbien zu berichten und die Opfer und Gemeinden zu erreichen, die am härtesten davon getroffen wurden, erklärte Cuartas, der die französische Stadt Nantes 2008 einen Preis für ihr Friedensengagement verliehen hatte. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.youtube.com/watch?v=-IrO299QClc&feature=share
http://es.rsf.org/colombia-incertidumbre-sobre-la-suerte-de-30-04-2012,42401.html
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107622

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2012