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INTERNATIONAL/011: Pakistan - Mullah gegen Model, immer weniger Spielraum für Liberale (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Februar 2011

Pakistan: Mullah gegen Model - Immer weniger Spielraum für Liberale

Von Zofeen Ebrahim

Veena Malik - Bild: © Women's Own/IPS

Veena Malik
Bild: © Women's Own/IPS
Karatschi, 11. Februar (IPS) - Wegen ihres Auftritts in einer populären indischen Fernsehshow ist ein pakistanisches Model von einem islamischen Geistlichen scharf attackiert worden. Der Streit zeigt, wie tief in dem südasiatischen Land die Gräben zwischen Tradition und Moderne verlaufen.

Veena Malik, die inzwischen auch als Schauspielerin arbeitet, flog kürzlich aus der vierten Staffel von 'Big Boss', einer Variante von 'Big Brother'. 14 Prominente wohnen für drei Monate in einem von der Außenwelt abgeschirmten Haus und werden dort permanent gefilmt. Wie bei Big Brother werden die Hausbewohner nach und nach 'abgewählt', bis schließlich ein Sieger übrig bleibt.

Sie habe eine ganze Menge Geld verdient, gestand die 27-Jährige. "Fernsehen ist eine viel größere Sache als Bollywood", meinte sie in Anspielung auf die indische Filmindustrie. Seit ihrer Rückkehr nach Pakistan steht Malik massiv unter Beschuss - und dies nicht nur, weil sie im Land des Erzfeindes Indien gearbeitet hat. Geistliche und Medien werfen ihr einen allzu freizügigen Umgang mit ihren männlichen Kollegen am Set und anstößige Kleidung vor.

"Ich bin eine Schauspielerin und Entertainerin", verteidigte sich Malik. "Ich war nicht als Vertreterin einer islamischen Gruppe unterwegs." Diejenigen, die sich durch ihren Auftritt provoziert fühlten, hätten einfach einen anderen Kanal einschalten sollen.

Die Regie habe ihr vieles vorgeschrieben, erklärte sie. Allerdings habe sie auch zeigen wollen, dass es in Pakistan Frauen gebe, die "gebildet, liberal und unabhängig" seien. Die Welt habe genügend Bilder von Pakistanerinnen gesehen, die öffentlich gezüchtigt würden.


Shorts hindern nicht am Beten

Natürlich habe sie westliche Kleidung getragen, auch Shorts, sagte Malik. Dies tue sie aber auch in Pakistan, ohne ihre Identität als Muslimin zu verraten. Schließlich sei sie doch eine gläubige Frau, die bete und auch vor Hausarbeit nicht zurückscheue.

Die heftigen Proteste gegen ihren Fernsehauftritt zeigen jedoch, dass die Freiräume für Andersdenkende in Pakistan schrumpfen und islamistische Tendenzen weiter auf dem Vormarsch sind. Im Januar wurde der liberale Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, ermordet, Taseer hatte eine Christin verteidigt, die wegen Blasphemie zum Tode verurteilt worden war. Auch die Parlamentarierin und ehemalige Informationsministerin Sherry Rehman wurde bedroht, als sie eine Reform des Blasphemie-Gesetzes forderte.

Angesichts drohender Gefahren für Leib und Leben wurde Malik inzwischen zu Personenschutz geraten. Als sie in der pakistanischen Fernsehsendung 'Frontline' auftrat, geißelte der Mufti Abdul Kawi ihren Auftritt in Big Boss als "unmoralisch" und warf ihr vor, Schande über ihr Land und den Islam gebracht zu haben.

Die übrigen Reaktionen in Pakistan waren gemischt. Bürgerrechtler lobten in sozialen Netzwerken im Internet Maliks unerschrockenes Verhalten. Von vielen Seiten kam der Schauspielerin jedoch unverhohlene Feindseligkeit entgegen.

"Ich bin vor allem deshalb zur Zielscheibe geworden, weil ich eine Frau bin", beschwerte sich Malik. "Ein Mann wäre an meiner Stelle als Held gefeiert worden." Bei der Beurteilung des öffentlichen Auftretens von Frauen und Männern werde offensichtlich zweierlei Maß angelegt.

Dem widersprach der Geistliche Muhammed Naeem, der die islamische Universität Jamia Binoria in der Hafenstadt Karatschi leitet. Weder Frauen noch Männer dürften sich nach dem Islam so verhalten, wie Malik es getan habe, betonte er. Allerdings hielt er es auch für überzogen, dass ein anderer Mufti das TV-Sternchen im Fernsehen angegriffen habe. "Das habe nicht von gutem Geschmack gezeugt", kritisierte er.


Brutalität gegen freiheitsliebende Frauen

Malik sagte, sie sei im pakistanischen Fernsehen erschienen, um die von den Medien provozierten "Missverständnisse" aus der Welt zu schaffen. Stattdessen sei sie von dem Geistlichen und dem Talkmaster beschimpft worden.

Nach Überzeugung der Menschenrechtlerin Feryal Gohar nimmt die pakistanische Gesellschaft vor allem Frauen zunehmend die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen. Frauen, die dieses Recht in Anspruch nähmen, würden vergewaltigt, erschlagen, erstochen, lebendig begraben, mit Säure verätzt oder durch Stromstöße getötet, erklärte sie. Diejenigen, die diese Frauen bedrohten, sähen ihre eigenen Werte bedroht. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.youtube.com/watch?v=g4i1MgqTeic
http://www.youtube.com/watch?v=4201VCeq_Q0
http://www.youtube.com/watch?v=0rOoCJi26gE
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=54410

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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2011