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FORSCHUNG/085: Zensur - Der Streit um drinnen und draußen (uni'leben - Uni Freiburg)


uni'leben - 06/2012
Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Der Streit um drinnen und draußen
Stephan Packard erforscht Formen medialer Kontrolle und erklärt, warum Zensur manchmal sogar Gedankengut hervorbringen kann, statt es auszulöschen

Von Rimma Gerenstein



Und sie bewegt sich doch", soll er gemurmelt haben, nachdem ihn die Kardinäle in der römischen Basilika Santa Maria sopra Minerva schuldig gesprochen hatten. Als Ketzer verurteilt, bleibt Galileo Galilei seinen astronomischen Beobachtungen und mathematischen Berechnungen treu: Die Erde dreht sich um die Sonne und nicht umgekehrt, behauptet der Gelehrte - und geht als mutiger Wissenschaftler, der sich einer rückwärtsgewandten Autorität widersetzt, in die Geschichte ein. Doch diese Geschichte stammt aus dem 19. Jahrhundert. Sie entstand 300 Jahre nach der historischen Verhandlung. "Galileo war kein reiner Widerstandskämpfer - und seine Richter längst nicht so beschränkt, wie die Legende es darstellt", sagt Stephan Packard. Der Freiburger Juniorprofessor für Medienkulturwissenschaft hat den Fall untersucht: Wie kommunizierten die Beteiligten miteinander? Worüber stritten sie? Und wer wollte eigentlich wem was verbieten?

Ob Gesetzestexte, wissenschaftliche Abhandlungen, Prozessakten oder Zeitungsartikel: Der Forscher analysiert Diskurse über Kontrolle in unterschiedlichen Medien. Als berüchtigtste Variante der Kontrolle gilt die Zensur. "Doch was sie bedeutet, ist nach Kultur, Epoche und sozialer Zugehörigkeit unterschiedlich. Für uns ist Zensur meist ein Kampfbegriff: Was wir Zensur nennen, lehnen wir damit ab." Trotzdem findet mediale Kontrolle statt - etwa, wenn die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien festlegt, welche Computerspiele Gewalt verherrlichen. Auch wenn solche Entscheidungen immer von Gegnern und Befürwortern kommentiert werden: "Niemand ist gegen jede Art medialer Kontrolle", erklärt Packard. Oft werde sie positiv bewertet, beispielsweise, wenn der Arbeitgeber eine Jobanwärterin nicht nach ihrer Familienplanung fragen oder eine Krankenversicherung die Daten ihrer Kunden nicht veröffentlichen dürfe. Durch Zensur werde in manchen Fällen sogar Gedankengut weitergegeben: Wenn Kleriker in Schriften darlegten, warum Galileo falsch lag, wiederholten sie seine Thesen - und vermittelten den Inhalt, der die Zeitgenossen interessierte.


Unsichtbare Kontrolle, sichtbare Zensurinstanz

Packard hat bei seiner Diskursanalyse zweierlei festgestellt: Zum einen gebe es die Tendenz, mediale Kontrolle unsichtbar zu machen, indem sie für selbstverständlich erklärt werde. Eine Zeitungsredaktion etwa greife nicht nur in die Rechtschreibung ein, sondern könne auch über die Diktion der Artikel entscheiden. Bezeichnete ein Journalist Ostdeutschland vor der Wiedervereinigung als "DDR", brachte er damit eine andere politische Gesinnung zum Ausdruck als ein Journalist, der von "Zone" sprach. "Sobald aber dieselbe Person einen Text auf Schreibfehler überprüft und Formulierungen festlegt, verschmelzen zwei unterschiedliche Arten von medialer Kontrolle in derselben Instanz. Die Kontrolle wird unsichtbar, weil der Redakteur Teil der zensierten Kommunikation ist." Andererseits gebe es die Tendenz, die mediale Kontrolle einer Instanz zuzuordnen, die die Zensur von außen auferlege: Fällt die Entscheidung über Artikel im Ministerium statt in der Redaktion, wird die Kontrolle erkennbar politisch. "Je mehr man eine Zensur konkretisiert, sie zum Beispiel einem Amtsträger zuschreibt, desto mehr neigt man dazu, sie im Gegensatz zu einem schon vorher ablaufenden Diskurs zu definieren", sagt Packard.

Der Fall Galileo sei deshalb besonders aufschlussreich. Der Gelehrte stand zunächst nicht vor Gericht, weil er für das kopernikanische Weltbild plädierte. Dass sich die Erde um die Sonne drehe, behaupteten auch Geistliche. Die Kleriker warfen Galileo vor, dass er die Grenzen verschiedener Diskurse neu definieren wolle: Die Ankläger bezogen sich auf einen Brief, den er an seinen Schüler Benedetto Castelli geschrieben hatte. Darin hatte er dargelegt, wie widersprüchlich die biblischen Interpretationen zur Bewegung der Himmelskörper waren - und deswegen vorgeschlagen, Theologen zu verbieten, sich zu naturwissenschaftlichen Phänomenen zu äußern. "Er machte damit selbst einen Vorschlag zur medialen Kontrolle, der die Theologen ausschloss", sagt der Forscher. Die Kleriker jedoch wollten die Deutungshoheit behalten. Alles, was in der Bibel stehe, sei "in jeder Hinsicht" wahr, entgegneten sie. Solche Differenzen sind laut Packard das eigentlich Spannende: "Wer ist in einem Diskurs drinnen, und wer ist draußen? Wer darf welches Wissen verwalten und deswegen über ein Weltbild entscheiden? Das sind die brisanten Fragen, die Galileo mit seinem scheinbar rein naturwissenschaftlichen Vorschlag zur Diskussion gestellt hat."


Zum Weiterlesen

In der Online-Zeitschrift "Mediale Kontrolle unter Beobachtung", die Stephan Packard herausgibt, informieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Beiträgen über aktuelle Entwicklungen:
www.medialekontrolle.de

In dem Portal "Freiburger Kontrollanalysen" sind studentische Projekte nachzulesen:
www.freiburgerkontrollanalysen.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- "Galileo Galilei vor dem Heiligen Officium im Vatikan": So stellt der französische Maler Joseph-Nicolas Robert-Fleury im 19. Jahrhundert den Prozess gegen den Gelehrten dar.
Quelle: Lessing Photo Archive

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Quelle:
uni'leben - 06/2012, Seite 6
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (Redaktionsleitung),
Rimma Gerenstein, Nicolas Scherger
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uni'leben erscheint sechsmal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2013