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FORSCHUNG/068: Bevor die Nachricht zur Nachricht wird (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 4/2010

Bevor die Nachricht zur Nachricht wird
Wie das Bild des Islam in den Köpfen der Menschen entsteht

Von Heiko Christians


Dass in den Köpfen von Konsumenten westlicher Medien ein ganz bestimmtes Bild des Islam existiert, ist weder Zufall noch das Ergebnis überirdischer Kräfte. Dahinter stecken handfeste mediale Prototypen, die sich erfolgreich auf Sachverhalte unterschiedlichster Art anwenden lassen. Ihr Wirkungsmechanismus ist so einfach wie gnadenlos.


Dass das einheitliche Bild des Islam nur unter bestimmten Voraussetzungen so funktioniert, wie es derzeit wahrgenommen wird, liegt paradoxerweise vor allem am Grad der Ausdifferenziertheit der Medien selbst. Er erstreckt sich von der aus dem 17. Jahrhundert stammenden Zeitung bis zum bald für jedermann erschwinglichen 3D-Camcorder.

Diese Einzelmedien beziehungsweise ihre Produkte sind im Zeitalter digitaler Kommunikation gleichzeitig in ein Stadium der Verschachtelung und Integrierbarkeit getreten, dessen synergetische Effekte vorerst nur schwer zu kalkulieren sind. Wenn man allerdings unter "den Medien" vor allem diejenige Auffassung von Medien versteht, nach der sie uns regelmäßig und schnell mit Informationen zu versorgen haben, tut sich eine zweite Schwierigkeit auf: Diese besteht darin, dass die Erstellung von Nachrichten seit ihren Anfängen einer Ordnung folgt, die sich am besten mit dem Gemeinplatz "Only bad news are good news!" wiedergeben lässt. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum bei dem Wort Islam-Bild zuerst an Sarrazins Thesen oder dänische Mohammed-Karikaturen gedacht wird, und erst in der Reaktion darauf an Özils wunderbare Entscheidung, exklusiv für die Deutsche Fußball-Nationalelf zu zaubern.

Jede Differenzierung kostet auch die Medien Zeit der Recherche und Darlegung. Schon ein ausführlicherer Magazin-Beitrag über eine gemeinsame Feier von Türken und Deutschen anlässlich eines Fußballspiels wird es nicht auf einen vorderen Sendeplatz schaffen. Er wäre nicht nur teurer, sondern auch deshalb insgesamt seltener, weil er streng genommen keinen schnell multiplizierbaren Nachrichten- und Informationswert bietet. Wie aber aus dem Unspektakulär-Normalen eine echte Nachricht wird, zeigte die mediale Mechanik, die schließlich zum Rücktritt von Horst Köhler führte. Nur zur Erinnerung: In einem ausführlichen Interview zur militärischen und politischen Lage im islamischen Afghanistan aus deutscher Sicht gab Köhler zu bedenken, "dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege". Das Interview trat erst in solchen Fragmenten wie diesem seinen Lauf durch die öffentlichkeitswirksameren Medien an und wurde mit etwa einer Woche Verspätung zur Hauptmeldung - der Köhler schließlich nur noch die ebenso wirksame seines Rücktritts hinzufügte.

Das nährt den Verdacht weiter, dass genau dieses Vorgehen erst periodisch einheitlichere und in der Regel negative Ansichten des Islams hervorbringen kann. Erst ein solcher Selektions- und Verstärkungsprozess in den Medien schafft Erregungs- und Mobilisierungsschübe, die dann "für eine Woche" das so genannte "Islambild" prägen. Dass diese "Informationsschübe" zwar archiviert, aber nicht (mehr) zu historischem Wissen formiert werden, ist eine weitere Paradoxie der "Realität der Massenmedien", die der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann beschrieben hat. Wenn wir aber noch einen Moment bei den Bundespräsidenten bleiben, fällt einem das nur scheinbar gegenläufige Beispiel der jüngsten Rede von Bundespräsident Wulff ein. Sein Islambild zeichnete - jedenfalls passagenweise - für die Bundesrepublik dort Integration und Annäherung oder Normalität, wo ein Chor von Kommentatoren eher eine Gefahr der feindlichen Übernahme sehen wollte: Erst mit diesem Chor aber war zumindest der Nachrichtenwert der Rede gesichert.

Im Umkehrschluss bedeutet das alles übrigens, dass es die wissenschaftliche Kommunikation aufgrund ihrer Unaufgeregtheit, ihrer zeitlichen Aufwendungen und ihrer Differenziertheiten selten "in die Medien" schafft. So ist es zumindest ein zweischneidiges Schwert, ihr "öffentliche, das heißt medienwirksame Sichtbarkeit" abzuverlangen, insofern sie sich der zügigen und hochselektiven Logik der Informations- und Unterhaltungsmedien anpassen muss. Andererseits - und auch hier spricht der Medienhistoriker - bedeutet die gesteigerte Integrierbarkeit der Geräte und wachsende Umlaufgeschwindigkeit der Informationen auch eine Neuordnung solcher Unterscheidungen und Wertungen.

Der Verfasser ist Professor für Medienkulturgeschichte an der Universität Potsdam.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 4/2010, S. 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2011