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FESTIVAL/260: Das Filmfestival "Ausnahme-Zustand" (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 11 vom 23. Juni 2009

Kein Unterhaltungsprogramm
Rückblick: Filmfestival »Ausnahme-Zustand«

Von Dagmar Möbius


Ausnahmezustand. Ausgerechnet »Bauer sucht Frau«-Moderatorin Inka Bause wurde zur Filmfestival-Schirmherrin des gleichnamigen Filmfestivals auserkoren. Initiiert vom Leipziger Verein Irrsinnig Menschlich und EYZ Media aus Berlin, gefördert von der AKTION MENSCH und unterstützt von über 150 Organisationen, Einrichtungen und Vereinen sowie zahlreichen Prominenten ist die seit Oktober 2008 laufende Ausnahme-Zustand-Tournee schon jetzt das Filmfestival mit den meisten Spielorten in Deutschland. Dass in der sächsischen Landeshauptstadt Mitte Mai nur zwischen zehn und 100 Leute ins Kino kamen, konnten auch die Filmpaten - Musiker der einheimischen Band Polarkreis 18 - nicht ändern. »Wir unterstützen Ausnahme-Zustand, weil es sich lohnt, verrückt nach Leben zu sein«, begründeten sie zur Festivaleröffnung im Programmkino Ost.

Mit psychischen Krankheiten will noch immer niemand etwas zu tun haben. Jedenfalls nicht offiziell. Als Jugendlicher erst recht nicht. Coolsein ist in. Aber wie sieht es hinter der Fassade aus? Hinsehen, Vorurteile entkräften und insbesondere junge Leute aufklären ist ein Anliegen des Projektes »Ausnahme-Zustand - Verrückt nach Leben«. Gezeigt und diskutiert werden Filme, die Krisen, Ängste, Hoffnungen und Träume jugendlicher Lebenswelten ins Bild setzen. Hautnah. Dokumentarisch. Beispielhaft. Filme, die man so teilweise noch nie im Kino sah. Sie handeln von Einsamkeit, Angst, Schulversagen, Hoffnungslosigkeit, Gewalt, Drogen oder Suizid. Aber auch: von Freundschaft, Respekt und Liebe. Sie gewähren Einblicke in eine Gedanken- und Gefühlswelt, die oft auch Eltern, Lehrern, Sozialarbeitern oder Ärzten verborgen bleibt. Zugegeben: ein Unterhaltungsprogramm ist das nicht. Aber ein Schlüssel, Unverständliches verständlicher zu machen. Das schafft »Nacht vor Augen«. Dem 2008 mit dem First-Steps-Award ausgezeichneten Streifen ist unbedingt ein großes Publikum zu wünschen. Er thematisiert die Folgen von Soldateneinsätzen in internationalen Kriegsregionen. Das zwar fiktive Schicksal des 25-jährigen deutschen Soldaten David, der nach einem Afghanistan-Einsatz verändert nach Hause kommt, beschreibt eindrucksvoll das Phänomen der Sprachlosigkeit der Heimkehrer und ruft Beklemmung beim Betrachter hervor. Auch die Gesellschaft interessiert sich wenig für traumatisierte Soldaten. »Es ist nicht vorauszusagen, ob und warum jemand ein Posttraumatisches Belastungssyndrom entwickelt«, erklärte Oberärztin Julia Schellong, Leiterin der Station für Traumafolgestörungen des Universitätsklinikums Dresden, bei einer Diskussionsrunde im Anschluss an die Filmaufführung. Mit dem Klischee vom tapferen Soldaten mussten sich übrigens 2008 allein 700 im Ausland eingesetzte und wegen posttraumatischen Belastungsstörungen behandelte Soldaten und Soldatinnen auseinandersetzen, so der Bericht des Wehrbeauftragten der Bundesregierung. Die Dunkelziffer sei viermal höher. Die Bereitschaft, sich helfen zu lassen, sei trotz spezialisierter Behandlungszentren nach wie vor gering. Dass viele auslandserfahrene Soldaten sogar darum kämpfen, unbedingt in Krisenregionen zurückzukehren, ist auch für Robert Schultz, Referent für Außen- und Sicherheitspolitik der Bundeswehr in Sachsen, ein Rätsel.

Warum sich junge Menschen selbst verletzen, beleuchtet die Wuppertaler Dokumentation »Lebenszeichen«. Auch dieser Film ist keine leichte Kost. Fünf junge Frauen zwischen 16 und 20 Jahren aus unterschiedlichen sozialen Schichten schildern außergewöhnlich offen und schonungslos den Teufelskreis zwischen Sucht nach Selbstverletzung und Verantwortung für das eigene Leben. Das Besondere: sie produzierten diesen Streifen selbst, standen vor und hinter der Kamera, waren Autorinnen und führten Regie.

Die Dresdner nahmen »Ausnahme-Zustand« nur zögerlich an. Am Engagement der regionalen Organisatoren lag das nicht. Nach jeder Filmaufführung konnte zudem mit Experten diskutiert werden. Auch Ärzte des Universitätsklinikums stellten sich - übrigens ehrenamtlich - den Fragen des Publikums. »Leider haben wir hauptsächlich Betroffene und deren Angehörige erreicht«, resümierte Katrin Schimang, Psychiatriekoordinatorin der Landeshauptstadt Dresden. »Es gibt noch viel zu tun, damit wir auch andere Zielgruppen sensibilisieren.« Hinsehen, zuhören, verstehen. Vielleicht dauert das in Dresden länger. Die Tournee des bundesweiten Filmfestivals durch 60 Städte läuft bis Ende 2009.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 20. Jg., Nr. 11 vom 23.06.2009, S. 12
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2009