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BERICHT/204: "Ruf einen Experten an" - Wissenschaftler in den Medien (attempto! - Uni Tübingen)


attempto! 31 - Dezember 2011 - Forum der Universität Tübingen

"Ruf einen Experten an" - Wissenschaftler in den Medien

von Tanjev Schultz


Wenn man als Journalist keine Ahnung hat, fragt man jemanden, der etwas von der Sache versteht. Die Universitäten sind gleichsam die Gelben Seiten. "Ruf einen Experten an!" Wenn es doch bloß so einfach wäre.


Die Beziehungen zwischen Wissenschaftlern und Journalisten, Experten und Laienpublikum sind spannungsgeladen, teilweise sogar angstbesetzt. Viele Professoren scheuen die Medien, fühlen sich unwohl, sobald sie ihre Forschergemeinde verlassen. Sie verabscheuen die Vereinfachungen im öffentlichen Gebrauch ihres differenzierten Wissens.

Mitunter trübt allerdings auch ein Übermaß an Selbstbewusstsein und Distanzlosigkeit auf der einen wie der anderen Seite die Beziehung. Da gibt es nassforsche Journalisten, die glauben, für sie müsse jeder Professor springen und tanzen. Und es gibt Professoren, die glauben, eine Redaktion warte auf nichts sehnlicher, als endlich ein Wort der Weisheit aus ihren berufenen Mündern zu empfangen und dafür am besten sofort eine Zeitungsseite freizuräumen.

Solche Missverständnisse haben etwas mit den verschiedenen Funktionslogiken und Eitelkeiten der beiden Systeme zu tun, des wissenschaftlichen und des journalistischen Systems. Sie führen mehr oder weniger zwangsläufig zu diskursverzerrenden Beziehungen. Das beginnt schon bei der Auswahl der Experten, die öffentlich - über die Grenzen der Universität hinaus - Gehör finden. Welche Wissenschaftler sich in den Medien artikulieren, hängt zum Teil von Banalitäten und Zufällen ab. Wer kennt jemanden? Wer ist erreichbar? Redaktionen entscheiden oft nicht sehr planvoll. Eine große Rolle spielt, ob ein Experte bereits als solcher bekannt und eingeführt ist - und zwar nicht unbedingt in der wissenschaftlichen, sondern in der medialen Sphäre. Andererseits entsteht in einer Welt, in der Aufmerksamkeit wie eine Ware gehandelt wird, schnell Überdruss und Übersättigung. Wer als (vermeintlicher) Experte zu viel in den Medien - beziehungsweise zu viel in konkurrierenden Medien - auftaucht, ist womöglich für eine (bestimmte) Redaktion nicht mehr so interessant.

Dazu kommen weitere Kriterien: Wie kompliziert ist ein Experte im Umgang? Ist er in der Lage, verständlich und zugespitzt zu formulieren? Lässt er sich auf die sprachliche Unschärfe journalistischer Berichte ein?


Als Talkshow-Hopper unterwegs

Je politischer das Thema, desto mehr neigen Medien zu "opportunen Zeugen"; so nennen das Medienforscher. Opportune Zeugen: Das sind Akteure, die von einem Journalisten befragt werden, weil sie das sagen, genau jene Meinung äußern, die der Journalist transportieren möchte. Manche Wissenschaftler merken die Absicht und sind verstimmt. Andere merken die Absicht und spielen das Spiel mit. Wer wen instrumentalisiert, ist oft nicht so klar. Findige - mitunter windige - Experten können allerlei Kapital, nicht nur ökonomisches, aus ihrer öffentlichen Präsenz schlagen. Sie laufen dabei jedoch stets in Gefahr, in ihrer Kerndisziplin an Reputation einzubüßen - von Kollegen geschmäht zu werden als Talkshow-Hopper, Feuilleton-Schreiber oder Populär-Professor.

Statt Expertisen liefern Experten in den Medien oft Meinungen. Das ist nicht per se anstößig. Es ist ja auch naiv, an an eine strikte Trennung von Tatsachen und Meinungen, von Fakten und Urteilen zu glauben. Aber natürlich gibt es verschiedene Genres und Mischungsverhältnisse - und das Problem journalistischer Berichte ist manchmal, dass sie eine Neutralität suggerieren, die schon durch die Auswahl der Quellen und Akteure gebrochen wird. Dann zitiert die eine Zeitung den eher linken und die andere den eher neoliberalen Professor. Insgesamt ergibt sich in der Medienlandschaft dadurch zwar einen Vielfalt an Stimmen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich bestimmte Medien und Publika abschotten von Sichtweisen, die ihnen nicht passen, und dass sie sich so auch der Möglichkeit berauben, irritiert zu werden, die Meinung zu ändern oder zu differenzieren.

Einige Experten, die es in die Medien schaffen, treten nicht als unabhängige Forscher auf. Sie sprechen im Namen bestimmter Interessengruppen. Und sie bedienen dann geschickt jene Nachrichtenwerte, auf die Redaktionen anspringen: eine Dramatisierung sozialer Probleme, eine Skandalisierung von Missständen. Sie bedienen das Bedürfnis nach konkreten Zahlen, Daten, Prozentwerten, selbst wenn deren Aussagekraft fragwürdig ist. Darin liegen Gefahren für den öffentlichen Diskurs.

Andererseits: Die journalistische Welt wird auch zum Korrektiv für die Trägheit akademischer Prozesse und Diskurse. Sie zwingt Wissenschaftler dazu, Klartext zu sprechen. Sich nicht einzuschließen in Fremdwörter-Burgen und das Relativieren nicht so weit zu treiben, dass am Ende gar keine richtige Aussage mehr übrigbleibt. Was nun überwiegt - die Chancen oder die Risiken, das haben am Ende auch die einzelnen Akteure in der Hand. Weder Professoren noch Journalisten sind glücklicherweise bloße Marionetten ihrer Systeme.

Die meisten Wissenschaftler betreiben kein eigenes Agenda-Setting. Sie reagieren oder müssen reagieren, wenn Medien an sie herantreten. Da kommt es dann darauf an, dass jemand die Kompetenz der Forscher kennt und einigermaßen einschätzen kann. Fachjournalisten, die in ihren Redaktionen "Experten" für ein bestimmtes Gebiet sind, leisten das mehr oder weniger gut. Leider gibt es in der Publikumspresse und im Rundfunk zu wenige solcher Fachjournalisten. Ihre Arbeit wird bedroht von Kürzungen und den Boulevardisierungstendenzen im Journalismus.

Aber dieses Lamento einmal beiseite: Auch Fachjournalisten können das Expertendilemma natürlich nicht auflösen. Es besteht zum einen darin, dass in den meisten Wissensgebieten die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht eindeutig sind. Von Handlungsempfehlungen ganz zu schweigen. Zum anderen sollen Wissenschaftler oft über Dinge Auskunft geben, die sie selbst noch nicht richtig beurteilen können. Der Biologe soll auf die Schnelle den Ehec-Keim erklären und seine Gefährlichkeit bewerten. Der Ostasien-Experte rasch das Wahlergebnis in Thailand einschätzen. Was Experten in den Medien sagen, ist meist nicht viel mehr als ein "educated guess".

Am anspruchsvollsten ist die Rolle des Intellektuellen, des public philosopher. Diese Rolle füllen nicht nur Wissenschaftler aus, sondern Künstler, Schriftsteller, Publizisten im weitesten Sinne. Um als Intellektueller zu wirken, muss man die Rolle des Experten hinter sich lassen und zu einer moralischen Instanz werden. Das kann nur, wer thematisch über das hinausgeht, was er an wissenschaftlicher Kompetenz in seiner Disziplin aufbieten kann. Doch er oder sie darf sich auch nicht verausgaben mit Stellungnahmen zu allem und jedem. Man muss sich rar machen können. Wer als Talkshow-Bewohner von einer Sendung zu nächsten tingelt, verliert an Autorität.


Mediale Schrumpfversion

Der dauererregte Medienbetrieb erzeugt einen immensen Bedarf an öffentlichen Sprechern. Als "Pundits", einem aus dem Sanskrit abgeleiteten Wort für "Gelehrte", werden in den USA Analysten und Kommentatoren bezeichnet, die in den Magazinen, auf den Op-ed-Seiten (Opposite Editorial) der Zeitungen und in den diversen Nachrichten- und Talkshows ihre Ansichten verbreiten. Der Gebrauch des Begriffs durch Medienkritiker ist überwiegend negativ konnotiert. Es habe sich, eine Pundit class herausgebildet, die den öffentlichen Diskurs mit instant opinions überflute und die Öffentlichkeit in eine Punditocracy verwandle.

Pundits sind die mediale Schrumpfversion des Intellektuellen. Eine Punditocracy sieht auf den ersten Blick vielleicht noch aus wie eine halbwegs intakte Öffentlichkeit. In Wahrheit ist dort die Figur des public philosopher zu einer hoffnungslosen Randexistenz geworden.

Ich bin nicht sicher, ob man unsere Öffentlichkeit in Deutschland schon in so düsteren Farben malen muss. Aber die Rationalität öffentlicher Debatten ist sicher steigerungsfähig. Was wäre dafür, mit Blick auf die Beziehung von Professoren zur Öffentlichkeit, zu wünschen? Vielleicht dies: Journalisten, die das Wissen und Auftreten von Experten, aber auch das eigene Wissen und Auftreten, kritischer reflektieren. Außerdem Experten, die nicht gleich Meinungsmacher sind; dazu die kräftige Stimme von Intellektuellen mit Format. Das müssen nicht unbedingt Professoren sein. Aber es wäre ein Verlust, wenn die Universität sich nur noch als Stätte von Spezialisten und Exzellenzmittel-Einwerbern verstünde.


Tanjev Schultz, Jahrgang 1974 ist Redakteur der Süddeutschen Zeitung mit dem Schwerpunkt Bildungspolitik, Schule und Hochschule. Er promovierte an der Universität Bremen in Politikwissenschaft, zuletzt veröffentlichte er zusammen mit Roland Preuß das Buch "Guttenbergs Fall. Der Skandal und seine Folgen für Politik und Gesellschaft".


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Quelle:
attempto! 31 - Dezember 2011, Seite 16-17
Zeitschrift der Eberhard Karls Universität Tübingen und der
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attempto! erscheint zweimal jährlich zu Semesterbeginn


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2012