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BERICHT/202: Das Ende einer Tradition - zur Zeitschrift "Internationale Politik und Gesellschaft" (IPG)


Internationale Politik und Gesellschaft 4/2011

Das Ende einer Tradition. Zur Geschichte der Zeitschrift »Internationale Politik und Gesellschaft«

Von Winfried Veit


Mit dieser Ausgabe endet eine über 50-jährige Tradition, denn die 1994 neu konzipierte Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft (IPG) ist aus den 1960 begründeten Vierteljahresberichte (VJB) hervorgegangen. Beide Publikationen waren über Jahrzehnte hinweg das publizistische Flaggschiff für die internationale Arbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), in denen sich der Wandel in der Auslandstätigkeit der FES weg von der reinen Entwicklungsländerproblematik hin zu einem breit gefassten außen- und gesellschaftspolitischen Ansatz widerspiegelte. Dies erklärt auch die mehrfache Umbenennung (zumindest im Untertitel) und die periodisch wiederkehrende Diskussion um Konzeption und Programmatik der Zeitschrift. Das hatte natürlich auch mit der Schwierigkeit zu tun, auf dem übersättigten Markt der außenpolitischen Zeitschriften in Deutschland mit einem relativ begrenzten Zielpublikum ein spezifisches Profil zu finden und damit eventuell eine »Marktlücke« zu schließen.


Die VJB als entwicklungspolitische Zeitschrift

Eine solche Lücke deckten die 1960 gegründeten Vierteljahresberichte ab, die zunächst den Untertitel »Der Ostblock und die Entwicklungsländer« trugen. Das verweist auf zwei zur damaligen Zeit immer relevanter werdende Problemfelder: Zum einen die im Zuge der Entkolonialisierung immer mehr an Bedeutung gewinnenden Entwicklungsländer Afrikas, Asiens und Lateinamerikas, zum anderen die damit einhergehende Systemkonkurrenz zwischen Ost und West und deren Ausbreitung auf eben diese Länder. In diese Zeit fallen auch die Anfänge der staatlichen Entwicklungshilfe und die Gründung des »Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit« (BMZ) im Jahre 1961. Die Vierteljahresberichte erfüllten mit diesen beiden Themensträngen ein wachsendes Informationsbedürfnis in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, und sie verfügten mit ihrem Gründungsredakteur Kurt Müller über einen versierten Kenner des Ostblocks und der sowjetischen Politik, die er in seinem Leben gleich mehrfach am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte.

Müller war in den 1920er Jahren hoher Funktionär der »Kommunistischen Partei Deutschlands« (KPD), fiel aber im Zuge der stalinistischen Säuberungen 1932 in Ungnade und musste zwei Jahre in einem sowjetischen Automobilwerk arbeiten. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland war er in der illegalen Arbeit der KPD gegen das Nazi-Regime tätig, wurde aber bald verhaftet und verbrachte elf Jahre im Konzentrationslager, aus dem er im Mai 1945 von sowjetischen Truppen befreit wurde. Nach dem Krieg wurde er stellvertretender KPD-Vorsitzender und 1949 in den Bundestag gewählt. Doch schon 1950 wurde er auf Geheiß des sowjetischen Geheimdienstes nach Ost-Berlin gelockt und verschwand dann in einem sowjetischen Lager, aus dem er erst 1955 aufgrund des Kriegsheimkehrer-Abkommens zwischen Deutschland und der Sowjetunion wieder freikam. Zwei Jahre später trat er der SPD bei, war von 1960 bis 1982 Leiter der Abteilung Außenpolitik- und DDR-Forschung der Friedrich-Ebert-Stiftung und in dieser Eigenschaft auch verantwortlicher Redakteur der VJB.

Stand die Herausgabe der Zeitschrift zunächst im Zeichen der Systemkonkurrenz von Ost und West, so bemühte sich die FES doch, »in der von ihr herausgegebenen Publikation die tatsächliche Situation der Entwicklungsländer, die Stärke und Schwäche der politischen, ideologischen und wirtschaftlichen Einflussnahme des Ostblocks darzustellen, insbesondere aber auch die Selbstständigkeit der Führer der Dritten Welt und die Versuche einer eigenen ideologischen und politischen Orientierung herauszuarbeiten« (so der damalige stellvertretende FES-Geschäftsführer Horst Heidermann in einem Geleitwort zur 100. Ausgabe der VJB im Juni 1985). Diese Tendenz verstärkte sich in den folgenden Jahren, da aufgrund der Entspannungspolitik das Interesse an Ostblock-Aktivitäten in der Dritten Welt nachließ und stattdessen das Entwicklungs-, aber auch das Krisenpotenzial dieser Länder in den Mittelpunkt rückten. Dies kam in dem ab 1970 geführten neuen Untertitel »Probleme der Entwicklungsländer« zum Ausdruck. Verstärkt publizierten in den VJB nunmehr auch Autoren aus der Dritten Welt sowie prominente deutsche Außen- und Entwicklungspolitiker, wie Willy Brandt, Helmut Schmidt, Erhard Eppler und Hans-Jürgen Wischnewski.

Mit den ausländischen Autoren erhöhte sich auch der Anteil englischsprachiger Aufsätze in den VJB. Diese Tendenz verstärkte sich ab 1977 mit der Herausgabe von englischsprachigen »special issues«, die sich zunächst mehrheitlich mit den Entwicklungsproblemen und -potenzialen der Dritte-Welt-Länder befassten (z.B. Industrialisierung, Ecodevelopment, Wasser), in den 1980er Jahren aber verstärkt Krisenländer und -regionen zum Gegenstand hatten (z.B. Indochina, Türkei, Südafrika) oder aber sich allgemein mit Politischer Risikoanalyse im Hinblick auf die gefährdete Stabilität in vielen Ländern des Südens und ihren Auswirkungen auf die Industrieländer beschäftigten. Dieser Kurs wurde unter Kurt Müllers Nachfolger Winfried Veit ab 1983 konsequent weiterverfolgt und kam in dem neuen (englischen) Untertitel »Problems of International Cooperation« zum Ausdruck. Nicht nur die Entwicklungsländer, sondern das gesamte Feld der internationalen Beziehungen waren jetzt Gegenstand des Publikationsinteresses der Zeitschrift geworden. In einem immerhin halbseitigen Besprechungsaufsatz würdigte die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus Anlass des 30-jährigen Bestehens der VJB »eine Zeitschrift (...), die sich seit vielen Jahren auf dem Informationsmarkt für internationale Wirtschaft und Politik behauptet« (FAZ v. 2.10.1989). In diesem Artikel wird aber auch auf ein Problem eingegangen, das die VJB außer in ihrer Anfangsphase immer wieder beschäftigte und das auch die spätere IPG nicht definitiv zu lösen wusste: die Frage des Profils der Zeitschrift und damit der Marktlücke, in der sie für genügend potenzielle Leser interessant sein würde. Die FAZ zitiert den Dietz-Verlag (in dem die Zeitschrift erscheint) mit der Bemerkung, »wer Stellungnahmen zum Weltgeschehen aus sozialdemokratischer Sicht erwarte, sehe sich getäuscht. Die Artikel seien fast durchweg in die Kategorie der Fachliteratur einzuordnen: informierend und belehrend, ohne in aktuellen politischideologischen Auseinandersetzungen offen Partei zu ergreifen«. Und: »Mit der breiten Themenpalette (...) sei fast zwangsläufig ein Hang von Konzeptionslosigkeit verbunden. Aber der Wert eines solchen Journals liege letztlich in seiner Ergiebigkeit als Fundgrube für Informationen und Einsichten«. Die Auflage der VJB lag damals übrigens bei 3000 Exemplaren, wovon 1500 überwiegend als Gratisabonnements an ehemalige FES-Stipendiaten in die Dritten Welt gingen - eine sicherlich sinnvolle Form der Kontaktpflege auch im Interesse der deutschen Außenpolitik, bekleideten doch viele dieser »Altstipendiaten« später hohe Positionen in ihren Ländern.


Von den »Vierteljahresberichten« zur »Internationale Politik und Gesellschaft«

1988 übernahm Alfred Pfaller die Chefredaktion der VJB. Unter seiner Ägide wurde im Zusammenwirken mit den FES-Mitarbeitern Michael Domitra und Albrecht Koschützke 1993 ein neues Konzept für die Zeitschrift erarbeitet. Der neue Titel Internationale Politik und Gesellschaft wurde vom damaligen Geschäftsführer Jürgen Burckhardt kreiert und bringt das Konzept zum Ausdruck, wie es im Editorial der ersten Ausgabe (1/1994) ausführlicher erläutert wird. Dort heißt es: »Der Name soll der Erkenntnis Rechnung tragen, dass Gesellschaft heute zunehmend als globale Gesellschaft gedacht werden muss, auch wenn >souveräne< Staaten auf absehbare Zeit ihr dominierendes politisches Ordnungsprinzip bleiben werden (...) INTERNATIONALE POLITIK UND GESELLSCHAFT will dazu beitragen, den Blick zu schärfen für die Staaten-übergreifenden Zusammenhänge, die heute und morgen die Herausforderungen für nationale und internationale Politik mitprägen.« Die Zeitschrift sei multidisziplinär und nach Möglichkeit interdisziplinär angelegt, ihr Focus sei jedoch ein politischer: »Ihre Artikel liegen an der Schnittstelle von Gesellschaft und Politik«. Die Zeitschrift wende sich an alle, die sich intensiver mit dem internationalen Geschehen befassen, und nicht nur an Fachleute einer bestimmten Disziplin.

Diese Konzeption trug den veränderten politischen Rahmenbedingungen Rechnung, die mit dem Fall der Berliner Mauer 1989, der Auflösung des Ostblocks und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 begonnen hatten. Außen- und sicherheitspolitische Themen bestimmten jetzt die Agenda, verstärkt durch die Terroranschläge in New York und Washington am 11. September 2001 und die Eintrübung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses im Gefolge des Irak-Krieges. Das neue Konzept spiegelte auch einmal mehr die ebenfalls veränderte Struktur der Auslandsarbeit der FES wieder, in der nun neben den weiterhin wichtigen entwicklungspolitischen Themen die Konsequenzen der Globalisierung und eben auch außen- und sicherheitspolitische Fragen in den Vordergrund traten.

Das Editorial der ersten Ausgabe der IPG beschäftigt sich auch mit dem immer wiederkehrenden Problem, wo die Zeitschrift sich politischintellektuell zu verorten hatte. Wie schon 1989 bezieht man eine »neutrale« Plattform. Die IPG sei »ein Forum für eine rationale Diskussion. Das bedeutet, dass die Zeitschrift pluralistisch ist - im intellektuellen wie im politischen Sinne. Sie vermeidet es, Sprachrohr einer bestimmten Denkschule oder politischen Richtung zu sein.« Die Frage ist, ob dies wirklich die richtige strategische Neuaufstellung war, denn im begrenzten Markt der außenpolitischen Zeitschriften sind »neutrale« wissenschaftliche Produkte eher die Regel. Von einer Zeitschrift, die von einer sozialdemokratischen Stiftung herausgegeben wird, erwartet der Leser wahrscheinlich gerade nicht »neutrale« Positionen, sondern »die« sozialdemokratische Haltung zu relevanten internationalen Problemen (was in vielen Fällen ja auch geschah). Abgesehen davon steht eine von einer sozialdemokratischen Institution herausgegebene Zeitschrift immer unter dem »Generalverdacht« der parteipolitischen Orientierung - ob dies nun zutrifft oder nicht. Die ebenfalls von der FES herausgegebene Zeitschrift »Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte« - mit überwiegend innenpolitischem Schwerpunkt - hat diesen Spagat mit Erfolg vermieden und bekennt sich klar zu ihrer politischen Herkunft (ist allerdings auch personell wesentlich besser ausgestattet).

Das Schwanken zwischen wissenschaftlichem Anspruch und politischer Herkunft erklärt vielleicht auch (neben der für alle Zeitschriften dieser Art leidigen Abonnentenfrage) die regelmäßig wiederkehrende Diskussion um eine »Neukonzeption«. Bereits im Dezember 2000 legte Alfred Pfaller den »Entwurf einer Neukonzeption« für die IPG vor. Dort heißt es, die Zeitschrift stelle in erster Linie ein Forum zur »Förderung einer rationalen gesellschaftlichen Debatte zu politischen Fragen« dar und diene dabei auch »als ein gewisses Aushängeschild« (für die FES). Allerdings: »Sie hat aber Schwierigkeiten, die anvisierte Öffentlichkeit zu erreichen«. Diese Schwierigkeiten blieben auch in den folgenden Jahren bestehen, selbst wenn 2002 mit der Umstellung auf ein Taschenbuchformat versucht wurde, die zeitgestresste Klientel politischer Entscheidungsträger zum Blättern wenigstens in Bahn und Flugzeug zu bewegen.

Dabei war es der IPG durchaus gelungen, gute und auch prominente Autoren zu gewinnen (den späteren britischen Außenminister David Miliband, den früheren griechischen Ministerpräsident Kostas Simitis, die SPD-Außenpolitiker Christoph Zöpel und Rolf Mützenich oder international bekannte Experten wie Christoph Bertram, James Rosenau, Adam Krzeminski und Amitai Etzioni, um nur einige zu nennen). Das zeigt, wie prestigeträchtig das Publizieren in der IPG angesehen wurde. Die Zeitschrift griff wichtige Problemfelder der internationalen Politik und Gesellschaft auf, zunehmend auch in Schwerpunktheften, zuletzt etwa zu den Themen »Östliche Partnerschaft«, »Gewerkschaften und Globalisierung«, »Zukunft der Sozialdemokratie« und »Lateinamerika«. Sie hatte sicherlich ein gewisses Renommee in der wissenschaftlich-außenpolitischen »Community« und wurde in einschlägigen Publikationen zitiert.

Doch blieb das Problem einer überwiegenden Verbreitung im Ausland (zuletzt 3000 von 4600 Exemplaren) verbunden mit dem Ziel, deutsche außenpolitische Entscheidungsträger zu erreichen. Hinzu kam die Tatsache, dass der »deutsche Markt« in den letzten Jahren durch neue Publikationen der beiden internationalen FES-Abteilungen zielgerichteter bedient wurde, als dies eine breit aufgestellte Vierteljahres-Zeitschrift leisten konnte, wobei gerade diese »breite« Aufstellung über Jahrzehnte hinweg den »Flaggschiffcharakter« von IPG und VJB ausgemacht hatte. In den Jahren 2009 und 2010 häuften sich aus diesem Grunde die diversen »Vorschläge«, »Überlegungen« und »Memoranden« zur Zukunft der Zeitschrift. Dies hatte auch damit zu tun, dass der seit 2005 amtierende verantwortliche Redakteur Dietmar Dirmoser im Jahr 2010 einen Auslandsposten für die FES antrat - äußerer Anlass für ein erneutes Überdenken.

Zu diesem Überdenken gehört auch ein »Entscheidungsmemorandum: Zukunft der IPG« vom 25. März 2010 von Professor Sebastian Harnisch und Magdalena Kirchner von der Universität Heidelberg. Dort heißt es unter anderem: »Insgesamt leidet die Zeitschrift unter einem historisch gewachsenen, weitgefächerten und (über)ambitionierten Aufgabenprofil. Es ist plausibel anzunehmen, dass die bestehenden Finanzierungsund Distributionsmechanismen und die autorenzentrierte Rekrutierung von Beiträgen eine zielgerichtete Mobilisierung und Bindung von spezifischen Adressatengruppen erschweren. Hinzu kommt, dass die Zeitschrift bislang in keine der sich stiftungsintern entwickelnden Publikationsstrategien eingebunden worden ist. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die IPG im Sinne der synergetischen Arbeitsteilung und Ressourcenschonung durch ihr derzeitiges Profil andere Formate oder Kommunikationsstrategien ergänzen oder ersetzen kann.«

Auf der Grundlage dieser Kritik und unter Einbeziehung weiterer Vorschläge erarbeiteten die beiden FES-Mitarbeiter Gero Maaß und Winfried Veit im Sommer 2010 einen letzten Entwurf für eine »Neukonzeption«, der im Wesentlichen für die IPG die Rolle eines internationalen (englischsprachigen) Dialogforums der deutschen und europäischen Sozialdemokratie mit den progressiven Kräften des Südens vorsah. Dieser Vorschlag kam allerdings nicht mehr zum Tragen. So bleibt zu konstatieren, dass die IPG/VJB dank des Engagements der verantwortlichen Redakteure, der erweiterten Redaktion und der vielen Autoren aus Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Gewerkschaften über Jahrzehnte hinweg ein wesentliches »Markenzeichen« für die internationale Ausstrahlung der Friedrich-Ebert-Stiftung darstellte. Dieses »Markenzeichen« wird trotz aller beschriebenen Defizite in Zukunft fehlen.

Copyright 2011 Friedrich-Ebert-Stiftung


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Quelle:
Zeitschrift "Internationale Politik und Gesellschaft" /
journal "International Politics and Society",
Ausgabe 4/2011, S. 162 - 168
Herausgeber: Friedrich-Ebert-Stiftung
Redaktion: Internationale Politik und Gesellschaft,
Friedrich-Ebert-Stiftung
Hiroshimastr. 17, 10874 Berlin
Telefon: 030/269 35-7708, Fax: 030/269 35-92 48
E-Mail: ipg@fes.de
Internet: www.fes.de/ipg

Erscheinungsweise: vierteljährlich
Preise (frei Haus): Einzelheft: 11,00 Euro
Abonnement: 37,00 Euro jährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2011