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BERICHT/144: 80 Jahre Klassenkampf - Zur Geschichte der SPW nach 1928 (spw)


spw - Ausgabe 7/2008 - Heft 167
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

80 Jahre Klassenkampf. Zur Geschichte der SPW nach 1928

Von Thilo Scholle


Die Geschichte der Sozialdemokratie und der politischen Linken in der Weimarer Republik insgesamt spiegelt sich auch in unzähligen Publikations- und Zeitschriftenprojekten. Neben der parteioffiziellen Presse, meist mit nur kleinen Auflagen verkauft, übten sie doch Einfluss auf die politische Diskussion der Zeit aus. Auch heute noch bieten sie einen faszinierenden Einblick in die damaligen politischen Debatten sowie in die intellektuelle und programmatische Entwicklung der politischen Linken zwischen den beiden Weltkriegen. Zugleich wird das Wirken der radikalen politischen Linken und ihrer Zeitschriften auch im Kontext der Suche nach den Gründen für das Scheitern der Weimarer Republik betrachtet. Innerhalb des Kontextes der Sozialdemokratie spielte sich die Kritik am Status Quo der Republik sowohl am linken wie auch am rechten Rand der Partei ab.


"Von links gegen Weimar?"

Einen äußerst lesenswerten Überblick über die zeitgenössische linke Parlamentarismuskritik gibt Riccardo Bavaj in seinem Buch "Von links gegen Weimar". Ausführlich werden hier die Positionen nahezu sämtlicher Gruppen der radikalen Linken in ihrer Entwicklung vorgestellt: Die KPD samt Abspaltungen wie der KPO; Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten wie die KAP und die FAU; sowie auch die Gruppe um Paul Levi sowie um Max Adler und die Zeitschrift "Der Klassenkampf". Ein zweiter Teil behandelt das Weimarer Kulturleben. Nahezu alles, was an linken Kulturschaffenden Rang und Namen hat, wird hier mit den wichtigsten Werken und Positionen vorgestellt. Dabei versucht der Autor die einzelnen Personen und Gruppen mittels ausführlicher Zitate selbst zu Wort kommen zu lassen.

Der Autor unterscheidet klar zwischen "rechter" und "linker" Parlamentarismuskritik. Allerdings geht er auf den Kristallisationspunkt des Denkens der radikalen Linken kaum ein. Diese begründeten ihre Kritik an der Weimarer Republik meist damit, dass die Republik nur eine "formale" Demokratie sei, in der wirtschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse nach wie vor die demokratischen Prozesse überlagerten.


Bei aller Vorsicht in Bezug auf die durchaus problematischen Vorstellungen von der Ausgestaltung einer "Diktatur des Proletariats" vor allem im Umfeld der KPD wäre eine Auseinandersetzung mit diesem bis heute wichtigen Gesichtspunkt demokratietheoretischer Debatten doch notwendig gewesen. Insgesamt bietet das Buch trotzdem einen sehr fundierten Überblick über die intellektuellen und organisatorischen Eckpunkte der Debatten der radikalen Linken in der Weimarer Republik.


"Nationaler Sozialismus und Soziale Demokratie"

Interessant ist auch, was sich am rechten Rand der Sozialdemokratie tat. Unter dem durchaus provozierenden Titel "Nationaler Sozialismus und Soziale Demokratie" zeichnet Stefan Vogt die Entwicklung der sozialdemokratischen "Jungen Rechten" in der Weimarer Republik nach. Ihre organisatorischen Anfänge machte diese Gruppe vor allem als "Hofgeismarer Kreis" bei den Jungsozialisten, ehe sie dort 1926 aus den meisten Gremien verdrängt wurde und sich auflöste. Innerhalb der SPD nahm sie vor allem über ihre Zeitschrift "Neue Blätter für den Sozialismus" Einfluss auf die innerparteilichen Debatten.

Der Autor skizziert umfassend sowohl die grundsätzlichen politisch-theoretischen Ansichten der Protagonisten der "Jungen Rechten" wie auch deren tagespolitische Ausformulierung. Eines der zentralen Elemente war demnach ein nahezu organischer Begriff von Staat und vor allem der Nation. Die Nation wurde hier als der Ort der Verwirklichung des Sozialismus gesehen. Marxistisch-materialistische Positionen, insbesondere zur Nation als gesellschaftlichem Konstrukt, wurden abgelehnt.


Auch die "Junge Rechte" war mit dem Zustand der Weimarer Republik nicht zufrieden. Ihr Ziel war jedoch nicht, den Nationalstaat zu überwinden, sondern im Gegenteil einen starken und auf der Idee einer Nation basierenden Staat aufzubauen. Damit ergaben sich politisch-theoretische Schnittmengen und auch tatsächliche Diskussionen bis hinein in Teile des konservativen und des nationalsozialistischen politischen Spektrums. Ausführlich stellt der Autor allerdings auch dar, wie viele Angehörige der "Jungen Rechten" im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv wurden.


Die Fusion von "SPW" und "Der Klassenkampf"

Die von Paul Levi 1923 gegründete Zeitschrift "Sozialistische Politik und Wirtschaft" (SPW) nahm innerhalb der sozialdemokratischen Linken eine führende Stellung ein (siehe dazu Scholle, Thilo, spw 164 sowie ausführlich Ludewig, Hans-Ulrich, IWK1/1981). Im Jahr 1928 fusionierte die "SPW" mit der ein Jahr zuvor gegründeten Zeitschrift "Der Klassenkampf", und erschien fortan unter diesem Namen noch bis 1932. "Sozialistische Politik und Wirtschaft" wurde weiterhin als Untertitel der Zeitschrift geführt.

"Der Klassenkampf" wurde seit 1927 von den SPD-Linken Max Adler, Kurt Rosenfeld, Max Seydewitz und Heinrich Ströbel herausgegeben. Anders als in der "SPW" wurden hier auch längere Artikel veröffentlicht. Nach der Fusion mit der "SPW" trat Paul Levi ebenfalls als Herausgeber auf. Anders als zuvor in der "SPW" schrieb er selbst jedoch nur noch wenige Beiträge für die Zeitschrift.


Die Fusion wurde dabei im Umfeld der "SPW" durchaus kritisch gesehen. Besonders Levis enge Mitarbeiterin Mathilde Jacob wandte sich gegen ein Zusammengehen, da sie die "SPW" damit ihrer Funktion als Diskussions- und Schulungsorgan für linke SozialdemokratInnen beraubt sah. Sie hielt den Machern von "Der Klassenkampf" vor, in erster Linie Levi als dem führenden Parteilinken den Rang ablaufen zu wollen, und weniger am Aufbau eines wirkungsvollen Theorieorgans interessiert zu sein (vgl. Ludewig, Hans-Ulrich, a.a.o.).

Nach dem Ausschluss der Gruppe um Seydewitz und Rosenfeld aus der SPD im Jahr 1932 wurde "Der Klassenkampf" Organ der neugegründeten "Sozialistischen Arbeiterpartei" (SAP). Die Jahrgänge 1927-1932 sind mittlerweile als Reprint erhältlich (Topos Verlag, Liechtenstein 1982).


"Der Klassenkampf"

Das im "Klassenkampf" abgehandelte Themenspektrum war sehr breit. Als feste Rubriken gab es vermischte Meldungen unter der Rubrik "Die Tribüne", "Glossen" sowie die "Wirtschaftsumschau" am Ende jedes Hefts. Im allgemeinen Teil fanden sich Artikel u.a. zu Kultur und Kino sowie politische Beiträge für die sexuelle Emanzipation von Frauen und die gesellschaftliche Gleichstellung von Homosexualität. Max Adler selbst veröffentlichte u.a. längere staatstheoretische Abhandlungen.

Den größten Raum nahmen allerdings Beiträge zu den aktuellen koalitionspolitischen und strategischen Debatten in der Sozialdemokratie ein. Ähnlich der "SPW" vertrat der "Klassenkampf" einen Kurs, der Koalitionen mit den bürgerlichen Parteien sehr kritisch gegenüber stand, und vor allem auf eine aktive Agitation der Arbeiterschaft setzte.


Deutlich wird dies beispielsweise in dem Artikel, mit dem Max Seydewitz in das Jahr der Reichstagswahl 1928 einführt: "(...) Der von der oppositionellen Sozialdemokratie geführte Reichstagswahlkampf darf nicht geführt werden nur um die Anerkennung der Regierungsfähigkeit, sondern um die Durchsetzung bestimmter proletarischer Forderungen. (...) Ob innerhalb oder außerhalb der Regierung ist nicht so wichtig wie die Frage, dass wir durch diesen Wahlkampf eine erhebliche Machtsteigerung erreichen und diese gesteigerte Macht für die rücksichtslose Vertretung der proletarischen Interessen in die Wagschale werfen (...)" (01.01.1928,5.3).

Zugleich wurde jedoch - bei allen Vorbehalten vor allem in Bezug auf die ausgebliebene soziale Umwälzung - der Fortschritt, den die Weimarer Verfassung für den Kampf der Arbeiterbewegung bot, grundsätzlich anerkannt. "(...) Die Machthaber in der deutschen Republik werden, wenn ihnen in der Republik die politische Demokratie zu unbequem wird, gegen die Demokratie den Fascismus mobilisieren. Der einzig wirksame Schutz gegen den Fascismus ist die soziale Befreiung der Massen. Die formale Demokratie, die Republik, deren 10. Geburtstag am 11. August gefeiert wird, ist nicht das Ziel des klassenbewussten Proletariats, sondern nur eine Etappe auf dem Weg zu Sozialismus, eine bessere Grundlage zur Führung des proletarischen Befreiungskampfes. (...)" (Max Seydewitz, 01.08.1929,S. 453f).

Mit der Niederlage der Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Faschismus 1933 und durch die Verheerungen der Nazi-Diktatur ging die alte Arbeiterbewegung mitsamt ihrer Debatten unter. Es lohnt sich durchaus, nicht nur aus historischem Interesse nachzulesen, sondern auch zu schauen, wo sich Impulse für aktuelle theoretische Debatten gewinnen lassen.

Thilo Scholle, Lünen, ist Mitglied der spw-Redaktion.

Literatur

• Bavaj, Riccardo, Von links gegen Weimar. Linkes antiparlamentarisches Denken in der Weimarer Republik. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn 2005, 535 Seiten, 38,00 Euro

• Vogt, Stefan, Nationaler Sozialismus und Soziale Demokratie. Die sozialdemokratische Junge Rechte 1918-1945. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn 2006, 502 Seiten, 48,00 Euro


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 7/2008, Heft 167, Seite 48-50
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2008