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BERICHT/127: Auch jungen Internetnutzern ist Datenschutz wichtig (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 120/Juni 2008
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Kein Ende der Privatheit
Auch jungen Internetnutzern ist Datenschutz wichtig

Von Andreas Busch


Alte Klassenkameraden wiederfinden, Freunden Urlaubsfotos schicken, die nächste Party planen - Internetplattformen wie Facebook, MySpace, Bebo oder StudiVZ machen all das möglich. Deshalb sind sie so beliebt, vor allem bei jungen Nutzern. Stündlich stoßen neue Mitglieder dazu.

Facebook ist das größte dieser "social networks" und steht für den rasanten Aufstieg der neuen Kommunikationstechnologie. Gegründet 2004 vom 19-jährigen Harvard-Studenten Mark Zuckerberg, war die Mitgliedschaft zunächst auf Studierende der Ivy-League-Universitäten beschränkt. 2005 wurde sie auf Schulen und Unternehmensnetzwerke in den USA ausgeweitet; seit 2006 steht sie jedermann offen. Die Mitgliederzahl wächst in rasantem Tempo: Im Oktober 2007 waren es 46 Millionen, im Januar 2008 schon 58 Millionen, und Ende März 2008 gab es 67 Millionen aktive Nutzer. Man schätzt, dass die Zahl der Nutzer pro Woche um etwa drei Prozent steigt.

Pro Tag laden diese Nutzer 14 Millionen Fotos auf die Website, auf der bereits 2,7 Milliarden Fotos gespeichert sind. An ihnen erlangt Facebook eine Lizenz, die der Firma dauerhaft das Recht gibt, die Bilder zu nutzen und weiterzugeben sowie Sub-Lizenzen zu erteilen. Diese Rechte bleiben selbst dann bestehen, wenn der Benutzer seine Mitgliedschaft bei Facebook beendet.

Angesichts der Nutzerzahlen - Facebook ist mittlerweile die Nummer sechs unter den meistbesuchten Websites der Welt - und dank sprudelnder Werbeeinnahmen wird dieses "social network" vom Markt hoch bewertet: Auf einen Wert von ca. 15 Milliarden Dollar wird Facebook geschätzt, nachdem Microsoft im Oktober 2007 für einen Anteil von 1,6 Prozent am Unternehmen 240 Millionen Dollar zahlte. Von der ökonomischen Bewertung unberührt bleibt jedoch die Frage, warum so viele Benutzer Privates scheinbar unbekümmert veröffentlichen.

Oft wird unterstellt, dass die meist jüngeren Nutzer von "social networks" sich um Fragen des Datenschutzes nicht kümmern. So schrieb etwa "Der Spiegel" unter der Überschrift "Zeitgeist: Ende der Privatheit": "Die Ängste vor dem totalitären Staat sind, besonders bei den Jüngeren, verblasst. Die Debatten um Online-Durchsuchungen und staatliche Übergriffe lassen sie ziemlich kalt. Zwischen ihnen und den Älteren tut sich gerade ein riesiger Generationsgraben auf: weil den einen Privatfernsehen und Internet und ihr Exhibitionismus suspekt sind und den anderen nicht. Weil die einen Kameras als feindliche Machtinstrumente verachten, während die anderen sie als nützliche Werkzeuge sehen, mit denen man kommunizieren, sich selbst darstellen und innerhalb von drei Stunden Verbrecheridentitäten feststellen kann. Die einen wollen in den toten Winkel verschwinden. Die anderen wollen möglichst gut rüberkommen."

Ähnliche Argumente lieferte die "Zeit" im November 2007: "Eine neue Generation findet nichts dabei, ihr Privatleben im Netz vermarkten zu lassen. (...) Die 'Generation Volkszählung' ging auf die Straße, um dem Staat und der Industrie einen möglichst großen geschützten Raum abzutrotzen, während eine junge Generation jetzt ihre Tür weit aufmacht. Sie scheint zu rufen: 'Ist uns doch egal. Kommt alle rein!'"

Die Erklärungsfigur eines Generationenkonflikts über den Datenschutz - hier die besorgte Elterngeneration, dort die unbekümmerte Jugend - hat auch jenseits des Journalismus an Popularität gewonnen. So argumentierte der bekannte IT-Sicherheitsexperte Bruce Schneier auf der 17th Conference on Computers, Freedom, and Privacy im Mai 2007 in Montreal, dass für die jüngere Generation, die mit Fernsehsendungen wie Big Brother aufgewachsen sei, die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem sowie zwischen der realen und der virtuellen Welt anscheinend verschwömmen. Dem Voyeurismus der Fernsehsendungen entspreche ein exhibitionistisches Verhalten im Netz, das aus einem Drang zur Selbstdarstellung entstehe. Doch solle man dies nicht zu rasch und von oben herab kritisieren; schließlich müsse jede Generation ihre eigenen Maßstäbe beim Umgang mit dem Problem finden.

Egal ob man diese Überlegungen für kausal plausibel hält oder nicht - die empirische Basis der getroffenen Aussagen muss jedenfalls bedenklich stimmen, kommen sie doch über empirielose Verallgemeinerungen oder Einzelfallbeschreibungen nicht hinaus. Aus sozialwissenschaftlicher Sicht stellt sich daher die Frage, ob über das Verhältnis der Generationen zum Datenschutz nicht Genaueres gesagt werden kann.

Umfragen über Einstellungen zum Datenschutz sind rar, doch liefert das Eurobarometer Material. Zwischen 1996 und 2003 wurden entsprechende Daten erhoben. Die Ergebnisse dieser Umfrage in allen EU-Ländern lassen sich nach Altersgruppen aufgliedern:


Ich sorge mich um den Datenschutz ...

   sehr
 ziemlich
   kaum
 gar nicht
 weiß nicht

1996  2003
1996  2003
1996  2003
1996  2003
1996  2003
Geschlecht





Männer
24    26
35    35
26    25
12    13
2     2
Frauen
24    25
34    35
26    25
13    13
4     2
Alter





15-24    
21    19
34    35
27    28
15    16
3     2
25-39    
23    25
38    37
27    27
11    10
2     2
40-54    
28    27
33    36
25    25
10    10
2     2
55+      
24    27
33    32
25    23
14    15
4     2

Die Zahlen widerlegen die oben angeführte "Generationenhypothese". So zeigt die Tabelle lediglich leichte Unterschiede zwischen der ältesten (über 55 Jahre) und der jüngsten (15 bis 24 Jahre) Altersgruppe sowohl bei denen, die sich "sehr" um den Datenschutz sorgen (8 Prozent), also auch bei denen, die sich "kaum" um ihn kümmern (5 Prozent). Bei denjenigen, die sich "gar nicht" um den Datenschutz sorgen, liegen beide Gruppen praktisch gleichauf. Fasst man die Antworten "sehr" und "ziemlich" sowie "kaum" und "gar nicht" zusammen, so sind 54 Prozent der 14- bis 24-Jährigen besorgt über das Thema Datenschutz; nur 44 Prozent sind dies nicht. In der Altergruppe der über 55-Jährigen liegen die entsprechenden Zahlen bei 59 bzw. 38 Prozent. Der Unterschied zwischen den Generationen kann somit als sehr gering bezeichnet werden, und auch in der jüngeren Altersgruppe sind deutlich mehr Befragte besorgt als nicht besorgt. Die Daten aus der repräsentativen Umfrage stützen also mitnichten den angeblich so ausgeprägten Unterschied zwischen den Generationen bei der Bewertung von Datenschutz.

Und auch die Erfahrungen, die die verschiedenen "social networks" in letzter Zeit mit ihrer Kundschaft hinsichtlich des Schutzes privater Daten gemacht haben, sprechen gegen die Hypothese von einem drastischen Wandel der Einstellungen zum Datenschutz. Denn eine Reihe von Versuchen, den Datenschatz der Nutzer einer kommerziellen Verwertung zuzuführen, mussten nach massiven Protesten geändert oder teilweise zurückgenommen werden.

Im November 2007 versuchte StudiVZ, die auf der Website sichtbare Werbung besser auf die Interessen der vier Millionen Nutzer zuzuschneiden und damit für werbende Firmen attraktiver zu werden. Da zu diesem Zweck ein Zugriff auf die persönlichen Daten der Benutzer notwendig war, sollten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen geändert werden - allerdings recht brachial, denn wer der Änderung nicht zustimmen wollte, sollte keinen Zugriff mehr auf sein Profil erhalten und so faktisch von der Nutzung ausgeschlossen werden. Massive Nutzerproteste waren die Folge: Tausende traten StudiVZ-internen Protestgruppen bei, änderten ihre Benutzernamen, Fotos und Profile und drohten mit Massenaustritten, wenn die Änderung nicht gestoppt oder modifiziert werde. Selbst Politiker nahmen sich des Themas an und kritisierten die geplanten Änderungen. Nach mehreren Wochen kam es dann tatsächlich zu einer Überarbeitung der neuen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in denen eine Nichtweitergabe von Nutzerdaten (mit Ausnahme in Fällen von Strafverfolgung) und eine dauerhafte Löschung von Daten bei Austritt aus StudiVZ verankert wurden.

Zu einem ähnlichen Vorfall kam es, auch im Herbst 2007, bei Facebook - und ebenfalls anlässlich der Einführung von stärker zielgerichteter Werbung. Das neue, "Beacon" genannte System übertrug Informationen über die Aktivitäten der damals 50 Millionen Nutzer auf über 40 Partner-Websites (zum Beispiel eBay, Travelocity, Blockbuster, Sony) an Facebook. Wenn also ein Facebook-Mitglied beispielsweise ein Video bei einem Partner von Facebook auslieh, wurde dies in den Newsfeeds der Freunde bekanntgegeben und mit Werbung für den genutzten Videoverleih gekoppelt. Von solchen "Social Ads" versprachen sich Facebook und Partner besondere Wirkung. Obwohl Facebook auf Proteste hin entgegnete, Nutzer könnten Funktionen von Beacon durch Eintrag in eine Ausschlussliste abschalten, war dies tatsächlich nicht möglich.

Eine von Bürgerrechtlern von MoveOn.org verfasste Petition gegen das neue System fand binnen zehn Tagen 50.000 Unterzeichner. Anfang Dezember 2007 vollzog Facebook schließlich eine Kehrtwende - Gründer Zuckerberg entschuldigte sich in einem nur Nutzern zugänglichen Blog und bemühte sich, den entstandenen Vertrauensschaden wieder gutzumachen. Die Funktionen von Beacon wurden von der expliziten Einwilligung der Benutzer abhängig gemacht.

Beide hier geschilderten Fälle deuten auf eine große Sensibilität gerade der jüngeren Benutzergeneration für Fragen von Privatheitsschutz und (in der Sprache des deutschen Bundesverfassungsgerichts) "informationellem Selbstbestimmungsrecht" hin. Auch sie widerlegen damit die oben geschilderte Generationenhypothese.

Zudem entwickeln die Teilnehmer an "social network"-Websites offenbar sehr differenzierte Normen darüber, welche Art von Nachrichten welchen elektronischen Übertragungskanal erfordern - in einer Detailliertheit, die außenstehenden Beobachtern verborgen bleibt. Eine Oxforder Studentin schildert diese Normen wie folgt: "Ein freundliches Hallo oder eine Verabredung zum Kaffeetrinken schreibt man auf das Schwarze Brett des anderen, wo es für jedermann sichtbar ist. Eine Einladung zum Date oder geheimer Klatsch wird als Facebook-Nachricht versandt (wie email, aber über den Facebook-Server). Ein kleines Schwätzchen hält man über den AOL Instant Messenger. Für Jobinterviews oder ein Gespräch mit meiner Mutter benutze ich den Skype Online-Telefondienst, und email für das Übersenden von Lebensläufen oder das Kontaktieren von Dozenten. Diese Hierarchie wird strikt eingehalten. Die Kategorien zu verwechseln - etwa jemanden auf deren Schwarzem Brett zu einem Date einzuladen oder Skype zu nutzen, nur um sich in der Mensa zu verabreden - käme sozialem Selbstmord gleich."

Die neuen Kommunikationstechnologien scheinen also in sehr differenzierter Weise genutzt zu werden. Und auch das Bewusstsein der Gefahren von übertriebenem Exhibitionismus im Internet wächst: Schließlich können daraus in der Zukunft große Probleme entstehen, etwa bei Bewerbungen. Auf Personensuche spezialisierte Suchmaschinen wie yasni.de stellen auf Mausklick alle verfügbaren Informationen zusammen, die von der Adresse über Fotos und Wunschzettel bei Amazon bis zu Auflistungen ehemaliger Schulfreunde reichen. Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater nutzen bereits drei von vier Personalabteilungen solche Abfragen im Internet zur Vor-Recherche über Bewerber, und 57 Prozent von ihnen geben an, als Konsequenz bereits Bewerber von der Kandidatenliste gestrichen zu haben. Denn sie stoßen dabei oft auf Unvorteilhaftes - nicht alles, was vor Jahren als studentischer Scherz oder Partygag gelungen schien, ist heute als Beleg von Disziplin und Führungspotenzial geeignet.

Das Internet hat nämlich ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Das wissen zunehmend mehr Nutzer und stellen sich darauf ein. Es ist zwar möglich, HTML-Seiten auf dem eigenen Server zu löschen. Allerdings könnten Dritte diese Seiten zuvor kopiert und selbst ins Netz gestellt haben. Vielleicht werden technische Innovationen dieses Problem in Zukunft lösen. Schon wird von Experten vorgeschlagen, Daten im Internet mit einem Verfallsdatum zu versehen, nach dessen Ablauf sich diese automatisch löschen.

Im selben Maße, wie alte Normen und Regeln im Kommunikationsverhalten verschwinden, entstehen neue. Dieser Prozess ist weder so radikal, noch wird er von den Generationen so unterschiedlich wahrgenommen, wie die zitierten Medien nahelegen. Er sollte vielmehr als gesellschaftlicher Lernprozess begriffen werden: Das Internet ist ein vergleichsweise neues Medium und bietet noch ungewohnte Möglichkeiten des Austauschs. Die Unerfahrenheit im Umgang damit dürfte mit der Zeit verschwinden - und zwar bei allen Nutzern, egal ob sie alt oder jung sind.


Zusammenfassung

Die meist jüngeren Nutzer von sogenannten "social network"-Websites stellen oft sehr private Informationen ins Internet. Häufig wird ihnen daher - im Gegensatz zur älteren Generation - ein deutlich geringeres Interesse am Datenschutz attestiert. Doch Umfragedaten können diese Generationen-Hypothese nicht erhärten. Benutzerproteste gegen die kommerzielle Nutzung solcher Informationen widerlegen ebenfalls die Annahme, dass junge Internetnutzer den Datenschutz geringschätzen.


Andreas Busch lehrt seit 2001 Politikwissenschaft am Department of Politics and International Relations der University of Oxford und ist Fellow am Hertford College, Oxford. Er wurde promoviert und habilitierte sich an der Universität Heidelberg. 1997/98 war er John F. Kennedy Memorial Fellow am Center for European Studies der Harvard University. Er leitet das ESRC-Forschungsprojekt "Coping with innovation: The political regulation of personal information in international comparison" und arbeitete von Februar bis April 2008 als Karl W. Deutsch-Gastprofessor am WZB. Ab Herbst 2008 übernimmt er an der Universität Göttingen den Lehrstuhl für Comparative Political Economy.
andreas.busch@politics.ox.ac.uk


Literatur

European Opinion Research Group, Special Eurobarometer 196 - Wave 60.0: Data Protection, Brussels: Commission of the European Communities 2003

Colin Bennett, Charles Raab, The Governance of Privacy - Policy Instruments in Global Perspective, Cambridge: MIT Press 2006, 382 S.

Viktor Mayer-Schönberger, Useful Void: The Art of Forgetting in the Age of Ubiquitous Computing. Kennedy School of Government, Working Paper RWP07-022, 2007, 24. S.,
http://ksgnotes1.harvard.edu/Research/wpaper.nsf/rwp/RWP07-022/ $File/rwp_07_022_mayer-schoenberger.pdf

Ari Melber, "About Facebook - As the old concept of privacy fades and a new one arises online, what is being lost?", in: The Nation, 7. Januar 2008,
http://www.thenation.com/doc/20080107/melber


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 120, Juni 2008, Seite 26-29
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph. D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2008