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VORWÄRTS/1582: Manolis Glezos - Ein Leben für den Widerstand


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14 vom 24. April 2020

Ein Leben für den Widerstand

von Florian Sieber


1941 holte Manolis Glezos mit einem Genossen die Hakenkreuzfahne von der Akropolis. Den damals 19-jährigen Jugendlichen kannte noch niemand. Heute aber trauert ein ganzes Land um ihn: Im Alter von 97 Jahren starb der Kämpfer am 30. März an Herzversagen. Ein Nachruf.


Als die Wehrmacht am 6. April 1941 die Grenzen zu Jugoslawien überschritt, sollten damit zwei Aufgaben erledigt werden: Zum einen sollten auf dem Gebiet des jugoslawischen Staates den Hitlerfaschist*innen freundlich gesinnte Kräfte an die Macht gebracht werden. Zum anderen sollte Mussolini unter die Arme gegriffen werden, der nach einem gescheiterten Angriff auf Griechenland bis ins italienisch gehaltene Albanien zurückgetrieben worden war. Sowohl die jugoslawische Armee als auch das griechische Heer kapitulierten innerhalb von drei Wochen. Wieder hatte die Kriegsmaschinerie der Achsenmächte zwei Nationen überrollt. Dass aber die schwierigste Herausforderung in Sachen Griechenland und Jugoslawien noch vor den Soldaten der Wehrmacht und ihren Verbündeten stand, dachte wohl im Oberkommando des Heeres des Hitlerregimes niemand. In den vier Kriegsjahren nach dem Balkanfeldzug entstanden in Jugoslawien unter Tito und in Griechenland unter der kommunistischen Befreiungsarmee ELAS Widerstandsbewegungen, die den Besatzern das Leben zur Hölle machten. Das Rückgrat dieser Bewegungen stellten Hunderttausende, vor allem junge Frauen* und Männer*, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um mit der Waffe in der Hand gegen die faschistischen Besatzer*innen zu kämpfen. Einer von ihnen: Der 19-jährige Manolis Glezos.


Zwei Männer und die Akropolis

Geboren wurde Glezos 1922 auf der Kykladeninsel Naxos. Doch als er 13 war, verliessen er und seine Familie die Ägäis in Richtung Athen. Schon bevor die Wehrmacht einmarschierte, engagierte sich Glezos als 17-jähriger gegen die Diktatur des griechischen Faschisten Metaxas, der 1936 an die Macht gekommen war. Und er hörte nicht auf, gegen die Rechten zu kämpfen. Als die deutschen Faschist*innen am 27. April 1941 in Athen ankamen, hissten sie noch am selben Tag die Hakenkreuzflagge. Laut mündlicher Überlieferung der Fakten soll sich der Evzone - der griechische Gardesoldat, der aufgefordert wurde, die griechische Fahne einzuholen und die Hakenkreuzfahne aufzuziehen - mit der griechischen Fahne von dem über der Stadt thronenden Akropolisfelsen gestürzt haben.

Ob die Geschichte vom Evzonen stimmt, der sich lieber umbrachte, als eine Swastika über Athen zu hissen, ist sehr zweifelhaft. Doch die Geschichte zeigt, dass die Menschen in Athen nach einem Widerstandssymbol lechzten. Am 30. Mai bekamen sie es dann endlich: Manolis Glezos und sein Genosse Apostolos Santas erklommen die Felswände der Akropolis und entfernten die Hakenkreuzflagge, die dort wehte. Für die Bevölkerung wurden die beiden damit zu Helden, für die Besatzer*innen zur Bedrohung: Beide wurden in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Für Glezos sollte dies nur das erste von insgesamt drei Todesurteilen werden. Er kämpfte während des Krieges weiter im Widerstand und wurde sowohl von den Deutschen, wie den Italiener*innen (Griechenland war während der Besatzung in italienische, deutsche und bulgarische Zonen geteilt) verhaftet und gefoltert. Sein Bruder wurde von den Faschist*innen hingerichtet.


Der Sache treu geblieben

Für Glezos hörte mit der Niederlage des Hitlerfaschismus gegen die Rote Armee der Kampf nicht auf. Im Jahr 1945 übernahm er die Chefredaktion der kommunistischen Zeitung Rizospastis (Revolution). In Griechenland brodelte es nach dem Krieg. In den Staaten des Balkans, vor allem in Jugoslawien, gingen die kommunistischen Widerstandsbewegungen als effektivste und starke politische Kraft im Kampf gegen die faschistischen Invasor*innen hervor. Auch in Griechenland standen fast alle Städte (ausser Athen) im Herbst 1944 unter Kontrolle der ELAS. Zwischen dem griechischen Bürgertum und der Arbeiter*innenbewegung war ein Konflikt in dieser Situation nicht mehr zu vermeiden. Dennoch setzte Moskau darauf, dass die griechischen Kommunist*innen die Füsse still halten. Denn im Falle eines Bürgerkrieges würde es von der Sowjetunion keine Unterstützung geben. Doch die bürgerliche Regierung versuchte, die linken Partisan*innen noch 1944 zu entwaffnen. Proteste dagegen wurden mit Hilfe der britischen Armee blutig niedergeschlagen. Ein Bürgerkrieg war nicht mehr zu vermeiden. Prominente Linke wurden verhaftet. Unter ihnen auch Glezos. Wegen Pressedelikten wurde ihm der Prozess gemacht. Am 3. März 1948 verurteilte man ihn ein zweites Mal zum Tode. Jedoch verhinderten internationale Proteste die Vollstreckung des Urteils.


Von Altersmilde keine Spur

Der Mann von der Akropolis ging in seinem Leben politisch mehr Risiken als Kompromisse ein. Drei Jahre nach dem Urteil noch immer in Haft, wurde Glezos für die linke EDA in das griechische Parlament gewählt, um die Freilassung anderer Abgeordneter zu erreichen. Seine Strategie ging auf und sieben Abgeordnete wurden entlassen. 1954 kam Glezos frei, wurde jedoch vier Jahre später wieder eingesperrt. 1961 wählte man ihn erneut in das Parlament und 1962 wurde er endlich wieder freigelassen. 1967 folgte nochmals eine Haftstrafe, 1971 die Freilassung, dieses Mal als Folge der Generalamnestie nach Ende der Militärdiktatur.

In seinem Leben wurde Glezos insgesamt 28 Mal wegen seiner politischen Aktivitäten verurteilt. Während den 1980er-Jahren schloss er sich der sozialdemokratischen PASOK an, verliess diese jedoch wieder 1989. Später nahm er am Aufbau der eurokommunistischen Synaspismos teil, aus der später die Syriza werden sollte. Glezos kämpfte während der Finanzkrise anfänglich für eine Regierung der Syriza unter Alexis Tsipras und wurde für die Partei 2014 in das Europaparlament gewählt. Im Alter von 87 Jahren wurde er bei Demonstrationen gegen die Spardiktate der EU mit einer Tränengaskartusche von der griechischen Polizei am Kopf getroffen und musste verletzt davon gebracht werden. Ein letztes Mal verhaftet wurde er 2012 im Alter von 89 Jahren. Manolis Glezos, der fast alles erreicht hatte, was man als einzelner Linker so erreichen konnte, der wegen seiner Rolle im Widerstand ein semi-legendärer Volksheld gewesen war, der einst als ältester Abgeordneter im Europaparlament sass, die Rizospastis geleitet hatte und der EDA vorgestanden war, wandte sich im Alter noch einmal einem neuen politischen Projekt zu.


Das OXI-Referendum

Der Bruch mit Syriza kam, als Tsipras die Massen verriet: Am 5. Juli 2015 lehnten 61,31 Prozent der Griech*innen beim OXI-Referendum das Spardiktat der sogenannten Troika (Europäische Kommission, Internationaler Währungsfonds und Europäische Zentralbank) ab. Tsipras und seine Partei setzten das Sparprogramm trotzdem um. Glezos verliess die Partei und trat in die linke Laeki Enotita ein, um gegen die Austeritätslinie von Tsipras zu kämpfen. Denn das war es, was Manolis Glezos bis zu seinem Ende nicht lassen konnte: Den Kampf gegen die Ungerechtigkeit.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14 - 76. Jahrgang - 24. April 2020, S. 16
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2020

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