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VORWÄRTS/1573: Erfolgreich ans Bein pissen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 09/10 vom 13. März 2020

Erfolgreich ans Bein pissen

von Sabine Hunziker


Leicht einzuordnen ist die Künstlerin Princess Nokia nicht. Als afro-indigene Frau in Sparten wie Hip-Hop, Pop oder Rap sticht sie nicht nur aus dem Musikmainstream heraus, sondern sie ist Mitbegründerin eines neuen Genres: Queer Rap. Höchste Zeit, sie kennenzulernen.


Alle Leben beginnen mit der Geburt: Die Kinderjahre verbrachte Destiny Frasqueri auch in der Bronx New Yorks. Das Leben der nigerianischen und puerto-ricanischen Einwandererfamilie änderte sich grundlegend, als die Mutter an Aids starb. Die spätere Princess Nokia wurde danach in verschiedenen Pflegefamilien untergebracht, wo sie oft misshandelt wurde.


Internationaler Durchbruch

Eine Flucht glückte als Teenager: Princess Nokia hatte drei Dollar und ein altes Handy im Gepäck - und viele gute Ideen und Pläne. Wenige Jahre später begann sie, in einem Club aufzutreten. Unter dem Namen Wavy Spice produzierte sie Musik-Tracks und wurde in der Gay-Szene bekannt. Doch das war nicht genug. Princess Nokia experimentierte und braute Zaubertränke, in denen afrikanische Trommeln, schräger Jazz, Elektro und Hip-Hop-Beats Hauptzutaten waren. Hier entstand das Album "Metallic Butterfly". Schon ein Jahr später verwarf sie das Rezept und setzte bei "Honeysuckle" auf Soul und Blues. Der internationale Durchbruch kam allerdings mit "1992". Die Platte, benannt nach dem Geburtsjahr von Princess Nokia, enthielt nur das Beste aus den vorangegangenen Experimenten.


Geburt eines neuen Genres

Der Song "Tomboy" steht für die Künstlerin wie kein anderer. Hier rappt sie über ihre kleinen Titten und ihren fetten Bauch und bezeichnet sich selber als Tomboy, wobei sie diese Figur irgendwie auch neu auslegt: Den Hoodie hochgezogen springen verpixelte Brüste ins Auge und eine Kippe ist zwischen ein Victory-V von Fingern mit langen Fingernägeln geklemmt. Auf dem Dach von einem Auto sitzend, rollen Tomboys durch triste Ghettostrassen, die Finger zu Knarren geformt und der Ringfinger drückt ab - immer wieder. Fast hört man Schüsse knallen und leere Patronenhülsen fallen. Auf dem Basketballplatz, umzäunt mit rostigem Gitterzaun ziehen Tomboys sich die Hosen runter, um ihre Superman- und Batman-Unterhosen blitzen zu lassen. Das und mehr zeigt die Prinzessin in ihren Videos. Sich nicht an zugeschriebene Geschlechterrollen halten, das ist mehr als ein Ratschlag. Body Positivity feiern. Die Feministin nimmt sich Raum, wird mächtig und kreiert ein Genre mit: den Queer Rap mit viel, viel Old School Hip-Hop. Genau den Musikstil, den wir schon lange vermisst haben, der geil ist und alle aktuellen sogenannten "Gangsterrapper", "Schmuserapper" und "Mundartrapper" niemals so hinbekommen würden.


Raum für Frauen*

Princess Nokias Konzerte sind Safe-Space für Frauen, Queers und Transpersonen. Normalerweise sind Rap-Shows fast Rape-Shows, wo sich Cis-Männer in Phantasien austoben. Nun muss der Raum für Frauen* her: sofort, jetzt, heute und in Zukunft! Die Princess of Queer Rap blieb nicht untätig. 2018 folgte ein neues Mixtape mit dem Titel "A Girl Cried Red". Hier ist fertig mit Hip-Hop und doch wieder etwas alte Schule: nämlich Punkrock, Lieblingsmusik, von Klein-Destiny. Selber posiert sie mit Metal-T-Shirt auf dem Cover, was aber nichts über ihren Sound hier aussagt. Eher blau ist der Grundtenor: Baden in Wasser, die Haare in ein Frotteetuch gewickelt. Das alles bei Nacht. Melancholisch traurig und extrem verletzlich. Dann kommen grobe Gitarrenriffs dazu, überfüllte Aschenbecher und halb leergetrunkene PET-Flaschen. Sprudel vielleicht auch mit Hochprozentigem gemischt. Quatschen mit der Crew auf dem Dach eines Hochhauses. Nach diesem kurzen Ausflug ins Reich des Punks geht es 2020 bei der Prinzessin des Queer Raps wieder zurück zum Hip-Hop. Noch in diesem Jahr soll ein Album erscheinen und im Frühjahr gab es verschiedene Konzerte in der Schweiz, ein paar Konzerte in Europa stehen noch an.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 09/10 - 76. Jahrgang - 13. März 2020, S. 10
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2020

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