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VORWÄRTS/1569: "Ihr seid nicht vergessen" - lesbische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 07/08 vom 28. Februar 2020

"Ihr seid nicht vergessen" - lesbische Frauen im Konzentrationslager Ravensbrück

Von der Initiative autonome Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich / I. Schwager


Im April 2020 wird zum 75. MaI an die Befreiung der Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und Uckermark in der Nähe Berlins gedacht. Frauen und Lesben aus einer Vielzahl von Ländern wurden als Kriegsgegnerinnen, Kommunistinnen, Rromnja und Sintizza, Prostituierte, Jüdinnen, "Asoziale" und "Entartete" dort gequält und ermordet. Eine Gedenkkugel für die verfolgten und ermordeten lesbischen Frauen ist in Sicht!

In 2016 beantragte die Initiative autonome feministische Frauen aus Deutschland und Österreich die offizielle Anerkennung der "Gedenkkugel" mit der Inschrift "In Gedenken aller lesbischen Frauen und Mädchen im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück und Uckermark. Lesbische Frauen galten als 'entartet' und wurden als 'asozial' als widerständig und verrückt und aus anderen Gründen verfolgt und ermordet. Ihr seid nicht vergessen!" als Gedenkzeichen für die im Nazi-Faschismus verfolgten lesbischen Frauen.

Ein "wildes" Gedenken hatte bereits 2015 zum 70. Jahrestag der Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück stattgefunden. Dabei war die Gedenkkugel niedergelegt worden, die dann Monate später aufgrund einer Beschwerde eines Besuchers entfernt werden musste.

Der Versuch, ein Gedenken an die lesbischen Frauen zu verhindern und unsichtbar zu machen, geht weit zurück bis in die 1980er Jahre. Damals hatte die Gruppe "Lesben in der Kirche" aus Ost-Berlin versucht den lesbischen Frauen zu gedenken. Ihre Einträge im Buch wurden entfernt und der Kranz verbrannt.

Mittlerweile gibt es eine breite und internationale Unterstützung für das Anliegen. Eine der ersten UnterstützerInnen der Initiative war das Internationale Ravensbrück Komitee. Aktuell sind es über 633 Unterzeichnungen aus mehr als 30 Ländern.

Bis heute ist diese Initiative jedoch nicht nur an der Ablehnung des Vertreters der Homosexuellen Opfer im Beirat, sondern auch an den Gegenanträgen des Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) Berlin Brandenburg und nicht zuletzt an der in Teilen ablehnenden Haltung einzelner Mitglieder des Beirates gescheitert.

Ein vehementer Gegner dieser Initiative ist Alexander Zinn, der Vertreter des LSVD Berlin-Brandenburg im Beirat der Stiftung. Er behauptet, dass ein solches Zeichen die "Legende einer Lesbenverfolgung" befördere und wissenschaftlich nicht seriös sei. Seine Definition von Verfolgung bezieht sich ausschließlich auf das Strafrecht und lässt so die Komplexität von Verfolgungsstrukturen unberücksichtigt.


Lesbophobie im Nationalsozialismus

Die Historikerin Claudia Schoppmann hat mit ihrer Forschung sichtbar gemacht, wie die "vielfältigen Kontrollmechanismen gegenüber Frauen im familiären, rechtlichen, politischen und ökonomischen Bereich" die Anwendung des Strafrechts überflüssig machten. Die Ausweitung der rechtlichen Verfolgung auf homosexuelle Frauen wurde - wie übrigens auch nach 1945 - erwogen, aber nicht eingeführt. Die nationalsozialistischen Ideologen und Juristen nahmen an, dass durch die Gesetze und Bestimmungen, die alle Frauen betrafen, die lesbische Lebensweise weitestgehend bekämpft wäre. Und da nonkonformes Verhalten sanktioniert wurde, waren gerade lesbische Frauen besonders gefährdet. Die Sexual- und Bevölkerungspolitik der Nazis stellte keine grundsätzliche ideologische Zäsur dar, war aber ideologisch in rassistischer, antisemitischer und patriarchaler Weise spezifisch ausgeprägt. Zwei Eckpfeiler schienen massgeblich zu sein: die Bezugnahme auf das "gesunde Volksempfinden" und die Definition des "Gemeinschaftsfremden" (Helga Amesberger u.a. sexualisierte Gewalt - weibliche Erfahrungen in NS KZs, Wien 2004).

Die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei hatte sich bereits 1921 - ein Jahr nach der Parteigründung - darauf festgelegt, Frauen weder in die Parteiführung, noch in ihren "leitenden Ausschuss" aufzunehmen. Nach dem Machtantritt 1933 wurden mehrere Gesetze verabschiedet: Frauen wurden aus den Universitäten und gehobenen Berufen gedrängt. Sie sollten (von 1933-1937) ihre Erwerbsarbeit zugunsten der Ehe und Mutterschaft ganz aufgeben. Frauen wurde das passive Wahlrecht (also die Wählbarkeit) entzogen. Frauen wurden aus dem öffentlichen Raum gedrängt, ihnen wurde der private Raum zugewiesen, aber auch dort als Ehefrau und Mutter dem Mann untergeordnet. Die eigenständige Sexualität von Frauen war ohne Bedeutung und dem Fortpflanzungszwang untergeordnet. Bereits 1933 wurde in Deutschland lesbische Subkultur und Infrastruktur wie Treffpunkte, Zeitschriften, Bücher von den Nazis verboten und zerstört. Es gibt Berichte über Razzien in Lesben-Treffunkten und Festnahmen. Das Homosexuellendezernat der Berliner Kripo war angehalten, auch Daten von Leben karteimässig aufzunehmen. Lesbische Frauen berichten in den wenigen Biographien, die von Claudia Schoppmann und Ilse Kokula zusammengetragen wurden davon, dass sie im nationalsozialistischen Alltag beispielsweise aus dem Job oder der Wohnung gekündigt wurden, wenn - durch Denunziation - bekannt wurde, dass sie lesbisch lebten. Zum Boden der nationalistischen Ideologie von Minderwertigkeit gehörte neben der Kriminalisierung auch die Pathologisierung. Lesbischen Frauen unterstellten die Nationalsozialisten ein gesteigertes Triebverhalten, sahen sie als Prostituierte, diffamierten sie als entartet, asozial und kriminell.


Brutale Gewalt im KZ

In zehn verschiedenen Konzentrationslagern wurden Häftlingsbordelle eingerichtet. Bis auf wenige Ausnahmen kamen die Frauen, die die Sex-Zwangsarbeit leisten mussten, aus dem KZ Ravensbrück. In den Zugangslisten des KZ Ravensbrück war oft der Vermerk "asozial/lesbisch" zu finden. Dies scheint die These von Schoppmann zu bestätigen, dass lesbische Frauen in grösserem Ausmass von der Verfolgung als "Asoziale" denn als Homosexuelle betroffen waren. Gerade für die Unterstellung der Asozialität wurden von den Nazis besonders gerne sogenannte sittliche Verfehlungen herangezogen. Im Frauen KZ war lesbisches Verhalten explizit auch im internen SS-Strafsystem angeführt. Der Ravensbrucker Lagerordnung zufolge wurde unter anderem bestraft, "wer sich in lespischer (sic) Absicht anderen Häftlingen nähert, wer lespische Schweinereien treibt oder solche nicht meldet." Händchen halten galt ebenfalls als lesbisches Verhalten und Überlebende wie Isa Vermehren berichteten von Prügelstrafe und Verlegung in den Strafbiock. Insa Eschebach, Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück, weist darauf hin, dass die Lagerordnung lesbische Kontakte, sowie auch das "Nicht-Melden" derselben unter Strafe stellte.


Das Gedenken und die Kugel

Dass trotz der massiven Ablehnung eines umfassenden Verfolgungsbegriffs die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten schliesslich ein Gedenken an die lesbischen Frauen für möglich hielt, war ein wichtiger Erfolg für alle, die sich viele Jahre dafür eingesetzt hatten. In ihrem Artikel "Ich wollte nicht sterben, bevor ich eine Frau geküsst habe" von November 2017 beschreiben Anna Hajkovà und Birgit Bosold, dass ein Gedenken gesellschaftspolitisch definiert, wer wem gedenken kann. Es geht eben nicht nur darum, dass es lesbische Frauen im KZ gab, sondern, dass sie - weil sie lesbisch waren oder dafür gehalten wurden - verfolgt waren. Dies war für die Initiative ein zentraler Punkt des Gedenkens und des Sichtbarmachens.

Der LSVD BB hat im Oktober 2018 seinen 'Gegenantrag' zurückgezogen, nachdem die Gedenkstättenleitung die Empfehlung des Beirates für eben diesen Gegenantrag ausgesetzt hatte.

Zur Beiratssitzung im November 2019 hatte die Initiative mitgeteilt, dass sie ihren Antrag auf ein Gedenkzeichen für die lesbischen Frauen am neuen Gedenkort aufrechterhält und derzeit der Kreis der StifterInnen erweitert wird.


Ein runder Tisch

Am 16. Januar 2020 hat auf Initiative der Magnus Hirschfeld Bundesstiftung ein Runder Tisch in den Räumen des LSVD stattgefunden. Neben Insa Eschebach (Leiterin Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück) und Alexander Drecoll (Stiftungsdirektor Brandenburgische Gedenkstätten) nahmen auch drei Vertreterinnen der Initiative autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich teil. Ebenfalls vertreten waren der Lesbenring e.V. und Stifterinnen des erweiterten Stiftungskreises, zu dessen Bildung die Initiative aufgerufen hatte. Der Runde Tisch verlief in einer konstruktiven Atmosphäre. Vor allem wurde deutlich, dass der Begriff der "Verfolgung" mittlerweile von vielen ForscherInnen breiter definiert wird und nicht nur auf eine strafrechtliche Auslegung bezogen wird. Wenngleich ein Ziel des Treffens war, zu einer Lösung zu kommen, war das Ergebnis doch nicht das, was insbesondere die Initiative und mit ihr die UnterstützerInnen wünschen: endlich die offizielle Anerkennung des Gedenkens an die verfolgten und ermordeten lesbischen Frauen im Frauen-KZ Ravensbrück und Uckermark.

Eine würdige Gedenkfeier gibt es bereits seit Jahren und auch ein entsprechendes Gedenkzeichen, nämlich die Gedenkkugel. Die Erinnerung an die Leiden der lesbischen Frauen ist allerdings auch eines offiziellen Rahmens würdig. Denn im Fokus sollten, insbesondere in einer Zeit, in der der Holocaust zunehmend von Rechten instrumentalisiert und verharmlost wird, doch die Opfer des Nationalsozialismus sein, hier die lesbischen Frauen im KZ Ravensbrück und Uckermark.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08 - 76. Jahrgang - 28. Februar 2020, S. 9
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2020

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