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VORWÄRTS/1538: Feminisierte Schreibweise ist Kosmetik


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 39/40 vom 29. November 2019

Feminisierte Schreibweise ist Kosmetik

von Sabine Hunziker


Sprache spiegelt gesellschaftliche Machtverhältnisse und Unterdrückungsformen wider: Dazu gehören Sexismus und die erzwungene Binarität der Geschlechter. Spätestens seit dem Frauen*streik wird mit unterschiedlichen Schreibweisen experimentiert. Kann eine Feminisierung der Sprache zur Emanzipation der Frauen* beitragen?


Kürzlich wurde auf der Infoplattform "Barrikade" die Übersetzung des Textes "Befreit die Feminisierung die Frauen?" von Maria Desmers heiss diskutiert. Desmers hinterfragt, ob die Herrschaft des Maskulinums in der Sprache in einem derart direkten Verhältnis mit der "Männerherrschaft" im realen Leben steht. Könnte ein Kräfteausgleich des Geschlechterverhältnisses in der Sprache zu einem Kräfteausgleich in existierenden Geschlechterverhältnissen führen? Fakt ist, dass auf der symbolischen Ebene die Herrschaft dieser Welt auf der Seite der "Männlichkeit" steht. Die Zweiteilung der Menschen in herkömmliche Geschlechter trägt dazu bei, diese symbolische Herrschaft effektiver zu machen.


Historischer Schritt?

Die Ausbeutungssituation ist auf unakzeptable Art und Weise von Geschlechterrollen geprägt, doch kann man heute nicht behaupten, dass "Männer" die "Frauen" ausbeuten - so meint Desmers. Vielmehr beuten Chefs Männer* und Frauen* aus. Dieser Umstand wird in keinerlei Weise berücksichtigt. Vielmehr findet die Feminisierung der Sprache mit Hilfe der Durchsetzung der sogenannten "einschliessenden" Schreibweise statt. Hier präsentiert sich die Schreibweise als praktische Lösung, da sie konkret und einfach realisierbar ist. Es fehlt jedoch eine noch tiefere Auseinandersetzung darüber, was genau die Feminisierung der Sprache zur Emanzipation der Frauen* beiträgt. Bisher wurde eine weiterreichende Debatte dazu nicht geführt. Mit dem Aufkommen der Feminisierung der Sprache im Laufe der 1990er-Jahre rund um die alternative Szene wird die einschliessende Schreibweise heute breiter diskutiert und beispielsweise von Printmedien oder Institutionen übernommen. Da das anti-autoritäre Milieu und der Kern der Macht nun die gleiche Sprache sprechen, ist der Zeitpunkt gekommen, diese einfach integrierbare Praxis zu reflektieren. Ist dieser "Sieg" ein historischer Schritt für die Emanzipation der Frauen*?


Sturm im Tintenfass

Maria Desmers erwähnt Landsmann Victor Hugo, der mit dem Gedicht "Réponse à un acte d'accusation" von einer Gesellschaft erzählt, in der Wörter soziale Kategorien repräsentieren. Er glaubt nicht, dass ein Sturm im Tintenfass ohne Vermittlung und in sich selbst ein sozialer Sturm ist. Desmers reflektiert in Folge über eine Besonderheit der französischen Sprache: Im Lauf deren Geschichte wurde eine geschlechtliche Polarisierung bezüglich "maskulin-feminin" hervorgebracht, die das Neutrum zum Verschwinden gebracht hat. Sprachgeschichtlich gesehen konnten vor einigen Jahrhunderten Begriffe manchmal den Genus wechseln - erst die Fixierung brachte Interferenzen und Variationen zum Verschwinden. Nun stellt sich die Frage: Kann das Geschlechtergleichgewicht mit einer Art Gesellschaftsvertrag der Wörter institutionalisiert werden? Maria Desmers kritisiert die Hinzufügung einer Reglementierung. Ihr Vorschlag ist, dass man eher in Form von Dereglementierung und Experiment arbeiten sollte. Wird die Sprache durch Normalisierung und Uniformierung verbessert, so dass die Sprache von heute besser ist als die von gestern? Ist hier womöglich die gleiche Ideologie des Fortschritts am Werk, wie die, welche aus Gefängnissen, Polizei oder Atomkraft etwas Normales und Akzeptables gemacht hat? Fortschritt wird auch durch die einschliessende Schreibweise gefördert. Für Desmers steht fest: Das Genus der Sprache ist nicht das Geschlecht im Leben und die Stärkung des Feminismus in der Sprache stärkt nichts ausser der Präsenz einer grammatikalischen Kategorie. Es kommt noch schlimmer: Diese Art von Feminisierung der Sprache stärkt die Polarisierung der Sprache und das Neutrum wie Menschen/Leute, das man auch verwenden könnte, verschwindet noch mehr. So gesehen ist die Feminisierung der Sprache weit entfernt, die Omnipräsenz der geschlechtlichen Polarisierung zu überwinden. Es ist keine Überwindung der Wichtigkeit des Geschlechts möglich und der Ausstieg aus festen Rollen weiterhin unmöglich.


Sprache versteinert Ideologien

Interventionen über Sprache durch systematische Anfügung femininer Markierungen, um damit einen ausgleichenden Einfluss auf reale Herrschaftssysteme haben zu können, scheinen schwierig zu sein. Die Sprache ist stets auf der Seite der Durchsetzung der Norm und deren Stärkung. Sie festigt die Gewöhnlichkeit, woraus die Welt besteht, mit all ihren Gegebenheiten, und versteinert Ideologien, wo auch das Geschlechterverhältnis Teil davon ist. Um wirklich über die Situation sprechen zu können in der Frauen* leben, muss die steinharte Sprache bearbeitet werden. Die einschliessende Schreibweise wirkt hier nur kosmetisch. Denn kann das - wovon wir sprechen wollen - ernsthaft mit der Transformation von Pronomen oder der Beifügung von "-in" gefördert werden? Als Louise Labé im 16. Jahrhundert ein Gedicht zur weiblichen Lust schrieb, benutzte sie keine formell femininen Markierungen, sondern nicht geschlechtlich markierte Personen. Desmers denkt, dass diese Sprache so eine universelle Reichweite erhält, es kann von allen geteilt werden - trotzdem existiert darin ein feminines Ich. Unsere heutige postmoderne Sprache gründet auf Kategorien und institutionalisiert sie. Es ist eine Anstrengung nötig, um diese zu überwinden, die weit über die Frage der geschlechtliche Markierungen hinausgeht. Hier ein Beispiel zur Erklärung: Wenn man "Landwirtin" schreibt, dann spricht man nicht von Landwirtinnen. Um von der spezifischen Situation der Landwirtinnen zu sprechen, muss man von dem sprechen, was sie erleben. So gesehen, ist die einschliessende Schreibweise ein falsches Versprechen und lediglich eine grammatikalische Kategorie, die aber nichts mit dem wirklichen Leben zu tun hat. Um Menschen und das, was sie erleben, "einzuschliessen", muss man verändern, wie und wovon man spricht, und ihnen Raum geben.


Feminisierte Sprache selber befreit Frauen* nicht

Als Vermittlung zwischen den menschlichen Wesen und der Welt ist die Sprache eine lebendige, fluktuierende, strukturelle und strukturierende Materie, ein Schlachtfeld zwischen der Gewöhnlichkeit der Norm und der Besonderheiten der Gebräuche. Mögen sie subversiv oder beherrschend sein, ihre Gebräuche verändern die Sprache permanent. Einer Illusion verfallen jene, die behaupten, Gesetze über sie erlassen zu können oder sie zu reglementieren. Die Sprache befindet sich in Bewegung: Sie dereglementiert sich permanent und die normative Grammatik rennt hinter der Dereglementierung her. Diese Feststellung nährt die Einsicht, dass die Reglementierung der Sprache eine vergebliche und reaktionäre Unternehmung ist. Feminisierung der Sprache wird vielerorts angewendet, doch sie entspricht der Veränderung der "Frau" im Kapitalismus bezüglich Machtposition und Repräsentation - so ist sie nicht emanzipatorischer als die Stellung, welche ihr der Staat einräumt. Eine Alternative zur herkömmlichen feminisierten Sprache ist die Nutzung der genderneutralen oder gendersensiblen Sprache mit dem Gender*sternchen. Wörter wie Nomen können hier gegendert und so festgehalten werden, dass x-mal mehr Geschlechtsidentitäten existieren, als das Maskulinum.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 39/40 - 75. Jahrgang - 29. November 2019, S. 10
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2019

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