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VORWÄRTS/1531: Asylcamps sind keine Lösung


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 37/38 vom 15. November 2019

Asylcamps sind keine Lösung

von Siro Torresan


Trotz Kälte versammelten sich am 8. November über 2000 Personen auf dem Bundesplatz in Bern. Mit Reden, Slogans sowie mit Plakaten und Transparenten machen die Protestierenden auf die existentiellen Probleme für (geflüchtete) Migrant*innen in Camps aufmerksam.


"Alle, die in den Asylcamps sind, dürfen nicht arbeiten, dürfen nicht in die Schule gehen und müssen den ganzen Tag nur warten. Das macht die Menschen nervös, aggressiv, depressiv und krank. Dann gibt es Probleme untereinander, weil wir keine Privatsphäre haben und weil wir keine Zukunftsperspektiven haben, ausser warten. Alle haben Probleme wegen ihrer Ausweise: sie müssen warten. Jeder Tag ist gleich: Du denkst immer über deine Situation nach, aber du kannst nichts machen, nur denken.
Wenn du zum Bespiel, so wie ich, acht Jahre so leben musst, dann ist das acht Jahre lang das gleiche Thema: Ich möchte gerne selbstständig sein, das heisst wie normale Menschen, arbeiten, Steuern bezahlen, in die Ferien gehen, so wie normale Menschen. Ich bin kein pensionierter Mensch, ich will arbeiten.
Ich kann das alles nicht: Keine Wohnung, keine Arbeit, keine Ausbildung, keine Zukunftsperspektive. Das ist mein tägliches Nachdenken und da komme ich nicht raus! Das macht psychisch und physisch krank." Geflüchtete Person zum Leben im Asylcamp.


Klare Forderungen

Über 2000 Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete nahmen an der Demonstration "Aslycamps sind keine Lösung" in Bern am 8. November teil. Sie führte vom Bundesplatz über den Kornhausplatz, Waisenhausplatz zur Schützenmatte. (Geflüchtete) Migrant*innen aus Basel, Zürich, Tessin, Luzern, Jura und Freiburg waren per Car angereist. Organisiert und zur Demo aufgerufen hatte das Migrant-Solidarity-Network. "In libyschen Camps wird gefoltert und gemordet, Camps in Transitstaaten hindern an der sicheren Durchreise und Hotspot-Camps in Griechenland sind katastrophal überfüllt", schreiben die Organisator*innen in ihrer Medienmitteilung. Sie fügen hinzu: "Die Bundesasylcamps sind wie Gefängnisse organisiert und verhindern den Kontakt zu Mitmenschen, die (Nothilfe-)Camps in den Kantonen sind entwürdigend. Besonders hart betroffen sind Frauen*, da das Asylsystem Männer als Massstab nimmt." So forderten die Demonstrant*innen:

• Keine Folter, keinen Tod und Vergewaltigung in libyschen Camps, sondern sichere Flucht- und Migrationsrouten für alle.
• Keine Deals in Transitstaaten, sondern Personenfreizügigkeit für alle.
• Keine Entrechtung und katastrophalen Bedingungen in den europäischen Hotspot-Camps, sondern ein Bleiberecht und Niederlassungsfreiheit für alle.
• Keine Diskriminierung, sondern gleiche Rechte, Respekt und Würde für alle.
• Keine Isolation und keine Ausschaffungen, sondern gleicher Zugang zu Wohnen, Arbeit, Bildung und Gesundheit für alle


Die Worte der Betroffenen

Saule Yerkebayeva lebt in Zürich. Sie ist eine geflüchtete Frau und Aktivistin beim Migrant Solidarity Network. "Es ist wichtig, dass die geflüchteten Frauen nicht das Gefühl haben, sie seien alleine in ihrer Situation. A refugee woman is a human!" Boni lebt in Bern. Er befindet sich seit zweieinhalb Jahren als Abgewiesener in der Nothilfe. "Im Asylcamp wirst du zum Zombie". Amira lebt im Kanton Thurgau. Sie kam mit ihrem vier Monate alten Kind in die Schweiz und befindet sich nach drei Jahren immer noch im Asylverfahren. "Ich und mein Kind mussten im Asylcamp Gewalt erfahren, doch von der Security und dem Personal wurde ich ignoriert."

Taha Yahia ist ein Geflüchteter aus dem Sudan. Er lebte zwölf Jahre in einem Camp im Tschad. Mittlerweile lebt er in Bern als vorläufig Aufgenommener: "Im Osten vom Tschad gibt es zwölf Flüchtlingscamps. Unzählige Menschen sind dort gestrandet, haben keine Zukunft und werden von der Welt vergessen." Negasi Sereke ist ein Geflüchteter aus Eritrea. Er verbrachte auf seiner Flucht zwei Jahre in Libyen. Negasi ist ein Aktivist und lebt in Bern. "In Libyen sind Folter und Vergewaltigung an der Tagesordnung. Dazu werden die Menschen versklavt und die Familien der Menschen erpresst. Die EU und Italien schauen zu und unterstützen gar die Rückkehr von Geflüchteten nach Libyen." Johannes ist ein Geflüchteter aus Äthiopien und lebt in einer Notunterkunft im Kanton Schwyz. "Von 9:30 bis 19 Uhr bleibt unsere Unterkunft geschlossen, doch wo sollen wir denn sein? Wir haben keinen Raum und ohne Geld kommen wir nirgends hin. Trotzdem müssen wir dann drei Mal am Tag im Camp unterschreiben, damit wir unsere zehn Franken bekommen."

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 37/38 - 75. Jahrgang - 15. November 2019, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2019

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