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VORWÄRTS/1501: Klimasünder*innen wegstreiken!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 23/24 vom 11. Juli 2019

Klimasünder*innen wegstreiken!

von Florian Sieber


Während Regierungen in Europa der Gefahr des ökologischen Kollaps mit der Abwälzung von Kosten auf Verbraucher*innen begegnen wollen, ruft Greta Thunberg zum 28. September zum weltweiten Generalstreik auf und überholt damit ihre eigene Bewegung an Radikalität. Was der Streikaufruf für die Schweiz bedeutet und was uns Ende September erwartet.


Zusammen mit dem Frauen*streik vom 14. Juni stellten die Demonstrationen der Klimastreikbewegung eine der grössten Mobilisierungen der Schweizer Geschichte dar. Insgesamt sollen sich etwa 65.000 Personen an den Protesten beteiligt haben. Global nahmen etwa 1,8 Millionen Menschen teil. Der Druck auf die Regierungen stieg. Städte begannen den Klimanotstand zu erklären und in manchen Ländern ist die Rede von der Einführung einer CO2-Steuer. Es ist jedoch leider nicht davon auszugehen, dass ein Einsehen stattgefunden hätte.

Viel eher scheint es, als würde man angesichts des grösser werdenden öffentlichen Drucks dazu übergehen, Kreide zu fressen und symbolisch einzelne Forderungen aus der Klimabewegung zumindest anzudiskutieren. Ein Beispiel: Während in Deutschland die Debatte um eine CO2-Steuer lief, wurde beschlossen, dass der Ausstieg aus der Braunkohleförderung erst 2038 erfolgen soll. Und obwohl die Braunkohleförderung ökologisch extrem fragwürdig ist, konnte es der CDU-Ministerpräsident des Bundeslandes Sachsen, Michael Kretschmer, nicht lassen, vom Kohleausstieg in fast 20 Jahren als "riesigem Beitrag Deutschlands zum Klimaschutz" zu fantasieren. Dies obwohl Braunkohle besonders problematisch in Bezug auf das Klima ist und Deutschland auch wegen seines enormen Verbrauchs (anteilig verbrennt nur Polen mehr Kohle in Europa) mehr als doppelt so viel Treibgase als Frankreich, der zweitgrösste Produzent von Emissionen in der EU, verursacht.


Bürgerliche Klimapolitik

Ebenfalls kritisch zu betrachten ist die vielfach vorgeschlagene Steuer auf Treibgas-Emissionen. Während eine solche Steuer für wohlbetuchte Kapitalist*innen kein Problem darstellt und bei Produzent*innen in der Energiewirtschaft zwar als lästige aber nötige und durchaus leistbare Ausgabe betrachtet würde, wären - wie bei allen indirekten Steuern - finanziell schlechter Gestellte verhältnismässig stärker betroffen, wenn durch eine solche Abgabe das Benzin fürs Pendeln und das Öl fürs Heizen im Winter teurer würde. Und auch die Erklärung von Klimanotständen in mehreren Gemeinden, Kantonen und mittlerweile sogar ganzer Parlamente (so im Vereinigten Königreich und in Irland) scheint nicht aufrichtig. So erklärte das Vereinigte Königreich bis 2050 eine Netto-Null im Bereich der Treibhausemissionen erreichen zu wollen - also nicht mehr CO2 zu produzieren, als im selben Jahr gebunden werden kann - jedoch werden die Briten die für 2025 und 2030 ausgegebenen Klimaziele laut einem Bericht des Climate Change Comitees, der offiziellen Klimaexpert*innenorganisation des Vereinigten Königreichs, mit noch grösserem Abstand verfehlen als die bisherigen Klimaziele. Zusätzlich wächst durch extreme Wetterereignisse wie die Hitzewellen vom Frühsommer, die Waldbrände in der Arktis sowie in Brasilien, wie auch Dürren in Indien das Bewusstsein dafür, wie dringlich grundlegende und radikale Massnahmen sind, um eine Katastrophe abzuwenden.


Generalstreik statt Kollaps

Dass angesichts der Lippenbekenntnisse der Regierungen die Klimastreikbewegung den Druck noch weiter erhöhen will, darf also nicht erstaunen. So gab die junge schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg Ende Mai eine neue Losung an ihre Mitkämpfer*innen weiter: Generalstreik! "Es ist Zeit für uns alle, massenhaften Widerstand zu leisten", erklärte die Urheberin der internationalen Proteste in einem Schreiben an die Süddeutsche Zeitung. Es sei nun an der Zeit, dass die Erwachsenen sich ebenfalls an dem Kampf gegen die drohende ökologische Katastrophe beteiligten. Die Bewegung habe gezeigt, dass kollektive Aktionen funktionieren. Und weiter: "Wir müssen den Druck erhöhen, um sicherzustellen, dass der Wandel passiert. Und wir müssen ihn gemeinsam beschleunigen." Dass die Bewegung nun die schon seit bald einem Jahr andauernden Proteste und Streiks im Umfeld von Schulen auf Arbeitskämpfe in der Lohnarbeit erweitern will, ist wenig erstaunlich. Viel eher handelt es sich um eine direkte Fortführung der Logik, die Thunberg aufgegriffen hat, als sie den Ausstand zur Aktionsform der Wahl für ihren Protest wählte: Seither haben sich hunderttausende Jugendliche den Streiks angeschlossen. Da jedoch Streiks in den Schulen nicht ausreichend Druck aufzubauen vermögen, um auch ein Einlenken von Regierungen sicherzustellen und nicht mehr als lokale Lippenbekenntnisse in Form von Klimanotständen erreicht werden konnten, musste einen Schritt weiter gegangen werden. Dabei ist die Verbindung der Bewegung mit Lohnarbeitsstreiks die erfolgversprechendste Möglichkeit, um weiteren Druck aufzubauen.


Kein richtiger Streikaufruf in Deutschland

In Deutschland nahmen die Gewerkschaften die Streikaufrufe von Thunberg auf und erklärten, dass alle, die könnten, auch an den Aktionen teilnehmen sollten. So hiess es von Ver.di-Chef Frank Bsirske: "Es geht darum, Flagge zu zeigen - wir brauchen ein deutlich konsequenteres Handeln der Politik beim Klimaschutz." Einen richtigen Aufruf zum Streik gab es bei aller Forderung nach konsequenterem Handeln aber nicht: "Wir rufen natürlich nicht zu einem ordentlichen Streik auf, das geht nicht."

Doch Basisgruppen in der Gewerkschaft wie ver.di aktiv fordern nun nach einem offiziellen Aufruf zum Arbeitskampf. Die Arbeiter*innenbewegung solle nun ihre wichtigste Waffe "den Streik" in die Waagschale werfen, um die Klimajugendlichen zu unterstützen. Zusätzlich fordert die Gruppe, dass Konzerne die Hauptlast für die Umstrukturierung der Wirtschaft tragen sollen und nicht etwa Arbeiter*innen, die Jugend und Rentner*innen. Das Hauptproblem mit dem sich Ver.di-Chef Bsirske konfrontiert sieht, ist wohl das Verbot politischer Streiks in Deutschland.


Und in der Schweiz?

Ein solches Streikverbot existiert offiziell auch in der Schweiz. Bei Grossmobilisierungen wie dem Frauen*streik vom 14. Juni spielt dieses Verbot aber kaum eine Rolle. Zu gross war der Erfolg der Bewegung, zu sehr hatte sie alle Bereiche der Gesellschaft erfasst, als dass sich das Bürgertum hätte leisten können, die Streikbewegung mit der Delegitimierung des Ausstands als "widerrechtlichem Demonstrationsstreik", der die Friedenspflicht verletze, anzugreifen. Trotz dieser Erfahrung wollen sich auch hierzulande die Gewerkschaften nicht zu einem offiziellen Streikaufruf durchringen. "Ein Streik ist immer ein Risiko für Arbeitnehmende. Ohne genügende Vorlaufzeit ist es fahrlässig und die Gewerkschaften sind da sehr verantwortungsvoll", sagt Dore Heim, Zentralsekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbund im Gespräch mit dem vorwärts. Der Faktor Zeit sei sodann auch der entscheidende Unterschied zur Frauen*streikbewegung. So erklärt Heim: "Dort wurde mehr als ein Jahr vorher in der Romandie mit der Organisation begonnen. Die Initiative für den Frauen*streik 2019 kam diesmal von Feministinnen, die gar nicht eng mit der Gewerkschaftsbewegung verbunden waren. Die Gewerkschaften griffen den Ball dann auf. Die Forderungen der Klimajugend sind so wichtig, dass ein solcher Aktionstag ein Erfolg werden muss." Beim Frauen*streik habe man hierfür monatelang einen riesigen Effort geleistet. Involviert sei man bei den Vorbereitungen zur Klimademo vom 28. September. "Wir hatten vielfältige Kontakte, wir machen die Aktion bekannt und rufen dazu auf teilzunehmen." Der SGB und die Unia beteiligen sich personell und finanziell.

Ob der Generalstreik fürs Klima, die angepeilten Ziele der Klimabewegung erreichen kann, wird sich zeigen. Ansonsten bleibt den Jugendlichen nur das, was mit dem Streikaufruf bereits einmal gemacht wurde: Den Druck weiter zu erhöhen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 27/28 - 75. Jahrgang - 6. September 2019, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2019

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