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VORWÄRTS/1448: Den antikapitalistischen Kampf ins Wohnzimmer tragen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 07/08 vom 7. März 2019

Den antikapitalistischen Kampf ins Wohnzimmer tragen

von Lotta Continua


Allen Bemühungen und allen Diskussionen zum Trotz: Der Hauptteil der Reproduktionsarbeit wird nach wie vor von Frauen* geleistet. Kranke pflegen und lieben, Teller mit gekochtem Essen befüllen und abwaschen, den Alltag organisieren, Böden schrubben, trösten oder spielen, all das sind Tätigkeiten, ohne die weder das Leben an sich noch die kapitalistische Produktion funktionieren würde. Dass diese Arbeiten aber kaum gesellschaftliche Anerkennung finden, hat System.


"Die Herausforderung der Frauenbewegung liegt darin, Kampfformen zu finden, die, während sie die Frau vom Haus befreien, auf der einen Seite eine doppelte Knechtschaft der Frau vermeiden und auf der anderen Seite eine weitere Stufe der Kontrolle der Disziplinierung durch das Kapital verhindern. Dies ist für die Frauenbewegung letztlich die Trennlinie zwischen Reformismus und revolutionärer Politik." Mariarosa Dalla Costa & Selma James


Frauen*streik auch in der Küche

Es ist nur logisch, dass bei den internationalen Frauen*streiks zum 8. März und am 14. Juni dazu aufgerufen wird, auch, die unbezahlte Sorge- und Hausarbeit zu bestreiken. Also lassen wir für einen Tag das Kochen und Kümmern und gehen stattdessen auf die Strasse. Doch wenn es nur bei einem Häufchen ungewaschener Wäsche, ein paar hungrigen Mäulern und unerledigten Hausaufgaben der Kinder bleibt, ist dies nicht viel mehr als ein symbolischer Akt.

Seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wird für die Arbeiter_innenklasse das Ideal der Vollzeithausarbeiter_in propagiert. Seitdem werden von verschiedener Seite her Ideen zur Umgestaltung der Hausarbeit vorgelegt. Schnell wurden in Anerkennung der volkswirtschaftlich relevanten Leistungen der frauenspezifischen Reproduktionsarbeiten Forderungen nach sozialer oder ökonomischer Entschädigung laut. Deutsche Frauenrechtlerinnen wandten sich 1905 mit der Bitte an das kaiserliche statistische Amt, bei der nächsten Gewerbezählung auch Hausfrauen und Mütter zur berufstätigen Bevölkerung zu zählen.

Solche und nachfolgende Ansätze und Argumentationen der bürgerlichen Frauen sind ambivalent: einerseits enthalten sie Elemente einer Verweigerung gegenüber entfremdeten, ausserhäuslichen Arbeitsverhältnissen, andererseits verteidigen sie unkritisch weibliche Rollenzuschreibungen und ihre eigene Abhängigkeit von Ehemann oder Vater.

Ähnlich widersprüchlich ist die Devise "Emanzipation durch Lohnarbeit. Sie trägt zwar der Tatsache Rechnung, dass unter kapitalistischen Bedingungen ein eigenständiges Einkommen Grundlage für ein unabhängiges Leben ist. Doch ist die Lohnarbeit von Frauen in Realität immer mit einer Doppelbelastung gepaart. So real die Freiheiten durch ein eigenständiges Einkommen sind, so bitter unfrei sind die Lebensbedingungen der Frauen, die diesen Weg wählen.

Doch seit weltweit immer mehr Frauen auch in Lohnarbeitsverhältnissen stehen, investiert der Staat und die Wirtschaft noch weniger in die Reproduktion. Durch die faktische Abschaffung des "Ernährerlohns" konnten Lohnkürzungen, Verteuerungen der Lebens- und in den grossen Städten vor allem der Wohnkosten durchgesetzt werden. Auch der Abbau der Sozialleistungen, gestiegene Krankenkassenprämien und Gesundheitskosten wurde durch die Tatsache, dass Familien vermehrt auf hoch-prozentige Berufstätigkeit beider Elternteile setzen, teilweise abgefedert. Stattdessen wird die Hausarbeit und die Pflege und Betreuung von Angehörigen - und somit die Ausbeutung von Frauen - weitergegeben und auf die sozial schwächer gestellten abgewälzt. Häufig werden diese schlechtbezahlten Carearbeiten von Migrantinnen geleistet, die dann wiederum in ihren eigenen Familien fehlen.


Startschuss für die "Lohn für Hausarbeit"-Kampagne

1970 veröffentlicht Mariarosa Dalla Costa den gemeinsam mit Selma James verfassten Text "Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft". Darin analysierten sie die Unterdrückungsverhältnisse, denen Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft ausgesetzt sind, und zeigten sowohl die Notwendigkeit wie auch Wege zu deren Überwindung auf. Sie machten deutlich, dass die von Frauen im Haushalt verrichteten Tätigkeiten die Grundlage für den Kapitalismus sind. Diese Arbeiten produzieren viel mehr als nur Mahlzeiten und saubere Wäsche, gelten aber als ungelernt und minderwertig. Ihre Bedeutung für den kapitalistischen Produktionsprozess bleibt unsichtbar, "weil nur das Produkt ihrer Arbeit - der Arbeiter - sichtbar war".

Für Dalla Costa und James ist die Rolle der Hausfrau zentral für die Unterdrückung der Frau. Denn unabhängig davon, ob sie einer Lohnarbeit nachgeht oder nicht, Hausfrau bleibt sie in beiden Fällen. Frauen in die Lohnarbeit einzubinden, sieht sie aber nicht als geeignete Befreiungsstrategie. Vielmehr erfordert die besondere Form der Ausbeutung der Hausarbeit eine besondere Form des Kampfes, nämlich des Frauenkampfes innerhalb der Familie:

"Arbeit bleibt immer Arbeit - sei es im Haus oder außerhalb. Die Autonomie des Lohnarbeiters besteht darin, ein "freies Individuum" für das Kapital zu sein; dies gilt für die Frau nicht weniger als für die Männer. Wer behauptet, dass die Befreiung der Frau der Arbeiterklasse darin liegt, eine Arbeit außerhalb des Hauses zu finden, erfasst nur einen Teil des Problems, aber nicht seine Lösung. Die Sklaverei des Fließbandes ist keine Befreiung von der Sklaverei des Spülbeckens. Wer das leugnet, leugnet auch die Sklaverei des Fließbandes und beweist damit noch einmal, dass man, wenn man die Ausbeutung der Frau nicht begreift, auch die Ausbeutung des Mannes nicht wirklich begreifen kann". Als Ziel des Klassenkampfes sahen sie einerseits die Verweigerung und schliesslich die Überwindung der Hausfrauen- und Mutterrolle sowie der Familie, und die Überwindung von Lohnarbeit überhaupt.


Proletarierin ohne Lohn

Mariarosa Dalla Costa und Selma James brechen mit dem orthodoxen Marxismus, indem sie den Begriff der Produktion ausdehnten. Hausarbeit trage direkt zur Schaffung von Mehrwert bei, indem sie die Arbeitskraft produziere, die als Ware auf dem Markt erscheint. Darüber hinaus schreiben sie der Hausarbeit eine indirekte ökonomische Komponente zu. Sie sehen den Haushalt als eine Art Pufferzone, in der Emotionen abgeladen und Spannungen abgebaut werden, sowie ein Druck aufgebaut wird, der die Arbeiter am Arbeitsplatz halte. Auch dies seien für den Kapitalismus notwendige Funktionen, ohne die die Profitrate geschmälert würde. Deshalb sei Hausarbeit Arbeit und produktive Tätigkeit im marxistischen Sinn.

Auch ihre Definition des revolutionären Subjekts bricht mit dem orthodoxen Marxismus. Für sie ist nicht mehr der Proletarier alleiniger "Held" der Revolte, sondern ebenso die Frau und hier wiederum vor allem die Frau in ihrer Rolle als Hausfrau, eben als "Proletarierin ohne Lohn". Zum revolutionären Subjekt zählen sie alle jene, die aus dem Produktionssystem ausgeschlossen sind. Dazu gehören die Frauen- und Schwarzenbewegung sowie der Widerstand der Schüler_innen, die den Klassenkampf im Ausbildungssystem vorantreiben. Denn das Kapital herrsche nicht nur durch den Lohn, den es bezahle, sondern auch durch die Schaffung einer Klasse ohne Lohn. Durch das Fehlen des Lohns wird die Ausbeutung verschleiert und nicht so leicht sichtbar.

Diese Publikation traf in den Siebzigern den Nerv der Zeit: vielen linken, marxistischen Frauen wurde bewusst, dass Themen wie Gewalt in der Familie, Sexismus, Hausarbeit und andere zentrale Unterdrückungsstrukturen in der traditionellen Linken, wenn überhaupt, nur als Randthemen behandelt oder als "Nebenwiderspruch" entwertet wurden. Die eingeforderten Auseinandersetzungen mit diesen Themen sowie mit patriarchal-autoritären Mustern in den eigenen gemischtgeschlechtlichen Gruppen führten schließlich zu einer Reihe von Austritten von Frauen aus den gemischten linken Zusammenhängen und zur Gründung eigener feministischer Organisationen.

In ganz Italien und auf der ganzen Welt gründeten sich "Lohn für Hausarbeit"-Komitees. Ein Zweck der Kampagnen war es, Hausarbeit sichtbar zu machen, um im öffentlichen Bewusstsein den Begriff der Arbeit neu zu definieren. Die Forderung zeigte neben der ökonomischen Dimension auch die Macht- und Gewaltbeziehungen auf. Sie thematisierte, wie viele Frauen zum Beispiel Gewaltbeziehungen wegen ihrer ökonomischen Abhängigkeit nicht beenden konnten. Und sie zeigten auf, dass die "Nicht-Entlohnung" der Hausarbeit auch die Arbeitsbedingungen ausserhalb des Hauses definiert: viele Jobs, die Frauen finden, stellen schlicht Ausläufer der Hausarbeit dar und sind entsprechend unterbezahlt. Die Forderung nach Lohn sollte die ungerechte, ungleiche sozial-geschlechtliche Arbeitsteilung grundlegend destabilisieren und untergraben. Sie sollte die Machtbeziehungen zwischen Frauen und Männern und Arbeitsbedingungen der Frauen im Kapitalismus grundlegend in Frage stellen. Sie beinhaltete eine umfassende Analyse der Lohnarbeit im Kapitalismus, welche weit über Marx hinausgeht.


Breite Debatte anstossen

In Hinblick auf die kommenden Streiks wäre es ein wichtiger Schritt, die Hausarbeiterinnen aus der Isolation zu lösen. Der Kontakt und Erfahrungsaustausch mit anderen vermittelt gegenseitige Anerkennung und schafft Bewusstsein für die Bedeutung der Arbeit. Hierarchien und Spaltungen zwischen Frauen, die durch die bezahlte Hausarbeit entsteht, müssen thematisiert werden. Wir müssen nicht nur ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wenn wir die Hausarbeit bestreiken, die kapitalistische Produktionsweise bestreikt wird, sondern wir müssen Mittel und Wege finden unseren Streik dem richtigen Empfänger zukommen zu lassen. Nicht nur unsere Kinder, Lebensgefährt_innen oder Mitbewohner_innen sollen zur Kenntnis nehmen, dass Hausarbeit zentral, ja lebenswichtig ist. Wir wollen uns zusammenschliessen zu grösseren Kollektiven um dem Staat und Kapital mit einer gewissen Macht entgegenzutreten, um Forderungen zu stellen. Eine antikapitalistische und revolutionäre Stossrichtung gewinnt der Kampf erst dann, wenn die gesamten Produktionsbedingungen ins Auge gefasst werden.

Wir sollten diesen Tag nutzen um eine breite Debatte zum Verhältnis von Lohnarbeit und Hausarbeit, von Frau* und Mann*, von Familie und Betrieb anzustossen. Unser Ziel muss sein, alle Arbeit zu kollekivieren, neu zu organisieren und neu aufzuteilen und für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der alle Arbeit gleich viel wert ist und in der nicht aufgrund von geschlechtlichen Rollenbildern bestimmte Arbeiten ausschließlich Frauen* zugeschrieben werden.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08 - 75. Jahrgang - 7. März 2019, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2019

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