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VORWÄRTS/1359: Macrons Angriff auf die Arbeitenden


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 15. Februar 2018

Macrons Angriff auf die Arbeitenden

von Cole Stangler


Der französische Präsident Emmanuel Macron setzte seine neoliberale Arbeitsrechtsreform aus einer Position der Stärke durch. Der schwache Protest dagegen konnte sie nicht verhindern. Nun ist es zu einer Entlassungswelle gekommen. Tausende verloren den Job.


Es war ein schwieriger Start ins neue Jahr für den französischen Arbeitsmarkt. Am 9. Januar kündigte die Groupe PSA, der zweitgrösste Autobauer in Europa, an, 2.200 Stellen in ganz Frankreich zu streichen. Kurze Zeit später erklärte das Detailhandelsunternehmen Carrefour, 2.400 Jobs zu vernichten, während das Modeunternehmen 200 Stellen abbaute. Diese Kahlschläge waren eine Erinnerung daran, dass Präsident Emmanuel Macron gerade eben die umfassendste Arbeitsrechtsreform seit einer Generation durchgesetzt hatte.

Nachdem die Proteste, die von den Gewerkschaften organisiert worden waren, im letzten Herbst verstummt waren, haben die ArbeitgeberInnen begonnen, die neuen Regeln auszunutzen: PSA setzte mehr als die Hälfte des Stellenabbaus mit einer Massnahme durch, die gesetzliche Einschränkungen bei Kündigungen lockert. Auch Pimkie ging diesen Weg. Auf kleinerem Niveau hat die Tageszeitung "Le Figaro" vor, 40 Stellen zu streichen durch das neue Prozedere. Besonders der Kahlschlag bei der Pariser Groupe PSA sticht hervor, die Autos unter den Marken Peugeot und Citroën produziert und erst vor einem Jahr die Marke Opel von General Motors für 2,2 Milliarden Euro gekauft hatte. 2017 erzielte das Unternehmen Rekordumsätze das vierte Jahr in Folge sowie eine historisch hohe Gewinnspanne. Wie ein wütender PSA-Metallarbeiter aus einer Pariser Vorstadt gegen über "Le Monde" sagte: "Je besser die Dinge laufen, desto mehr Leute entlassen sie."

Die Arbeitsrechtsreform war ein wichtiger Sieg für Macron im ersten Jahr, nachdem seine Vorgänger damit gescheitert waren. Der neue Präsident hatte den Vorteil einer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung, setzte die Reform aber per Verordnung durch und verhinderte dadurch die Parlamentsdebatte und die Möglichkeit von unwillkommenen Abänderungen. Diese Umstände verlangten zwingend eine erfolgreiche Opposition von den Strassen. Nur ein massives Einmischen hätte die Regierung davon abhalten können.


Bewegung im Chaos

Frankreichs ArbeiterInnenbewegung befindet sich im Chaos. Zwei der drei grössten Gewerkschaften, darunter CFDT, die grösste Gewerkschaft des Privatsektors, weigerten sich, die Massenmobilisierung zu unterstützten. Beide entschieden, dass ihre Beziehungen zum Élysée-Palast so früh in Macrons Amtszeit nicht gefährdet werden dürften. Entsprechend blieb die Aufgabe an der kämpferischen CGT und der kleineren, linken Gewerkschaft Solidaires hängen, die Bewegung zu starten und anzuführen. Die TeilnehmerInnenzahl an den Streiks und den landesweiten Protestmärschen war begrenzt und kam niemals über die eigene linke Basis hinaus. Im einzigen Sektor, in dem es zu störenden Streiks kam - im Lastwagentransport, der sich in vergangenen Kämpfen als zentral herausstellte -, handelten die Gewerkschaften ein Teilabkommen mit der Regierung aus, wodurch die LastwagenfahrerInnen dem Hauptschlag der Reformen entgingen.

Für die organisierte Arbeit waren die Ereignisse eine böse Erinnerung an ihre Distanz zur französischen Gesellschaft. Während die Gewerkschaft grosse institutionelle Macht haben und Verträge im Namen beinahe der gesamten Arbeiterschaft verhandeln, sind nur 11 Prozent der ArbeiterInnen Gewerkschaftsmitglieder, ungefähr soviel wie in den USA. Vor zwanzig Jahren vermochten die französischen Gewerkschaften noch eine bedeutende Anzahl Nicht-Mitglieder zu mobilisieren, heute haben sie diese Reichweite nicht mehr. Gleichzeitig hatten auch die anderen GegnerInnen der Reform keinen Erfolg. Die linke Partei France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), angeführt von Jean-Luc Mélenchon, versprach Massenproteste. Aber sie überschätzte die eigene Anziehungskraft, als sie zu einem eigenen, landesweiten Aktionstag aufrief, statt der Agenda der Gewerkschaftsbewegung zu folgen. Studierende, die magische Zutat für erfolgreiche soziale Bewegungen in Frankreich, tauchten auch nicht in grösseren Zahlen auf.


Bildungsreform steht bevor

Die Arbeitsrechtsreformen sind unpopulär in Frankreich. Dies erklärt, wieso Macron sie während der Hochphase seiner Präsidentschaft durchsetzte. Seine Zustimmungsraten haben sich auch wieder erholt nach dem Tiefpunkt im Herbst. Dies schränkt die Pläne der Regierung keineswegs ein. Macron und seine Verbündeten versuchen nun, die höhere Bildung umzustrukturieren durch die Einführung eines neuen Zulassungssystems. Nach dem Willen der Regierung soll Studierenden im ersten Jahr ein Platz im bevorzugten Studienfeld verweigert werden können. Die Bildungsreformen haben bereits erste Proteste ausgelöst.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06 - 74. Jahrgang - 15. Februar 2018, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2018

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