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VORWÄRTS/1320: Wirklichkeit selber verändern


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 31/32 vom 28. Sept. 2017

Wirklichkeit selber verändern

von Sabine Hunziker


Die kubanische Ärztin und Kommunistin Aleida Guevara March war im Rahmen der schweizweiten Veranstaltungen zu Ehren Che Guevaras in Bern. Sie sprach über die Kubanische Revolution, über ihre Errungenschaften und ihre Relevanz für die Welt heute.


Voll ist der Saal in der Universität Uni Tobler in Bern, so dass links und rechts noch ZuhörerInnen stehen. Alle wollen Aleida Guevara March hören, die Tochter des Che. Im Oktober jährte sich die Hinrichtung von Ernesto Che Guevara, so dass mit einer schweizweit stattfindenden Fotoausstellung an den Comandante erinnert wird. Teil dieses Memorials sind auch die Vorträge der Tochter Ches - in jeder besuchten Stadt mit einem anderen Thema. In Bern referierte Dr. Aleida Guevara March über die Kubanische Revolution, ihre Errungenschaften und Relevanz für die Welt heute. Hinter ihr an die grosse Tafel geklebt ist ein rotes Banner mit einem Zitat ihres Vaters, so steht Guevara vor uns, an ihrem Rednerpult die kubanische Flagge befestigt.


Linke soll sich nicht zerstreiten

"Man muss mit einem Volk zusammenarbeiten, um es zu verstehen. So sagte es der Che." Die fast 60-jährige, eher kleine Frau sprüht vor Kraft, und niemand kann sich ihrem grossherzigen Charme entziehen. Sie jongliert mit Zitaten ihres Vaters wie mit Bällen, gezielt eingesetzt, um ihre Inhalte einzuführen oder abzuschliessen - das Publikum folgt gebannt ihren Worten. "Verstehen heisst auch: Wir sind nicht besser als irgendwer sonst. Ihr seid nicht besser als die anderen. Wir müssen uns gegenseitig verstehen und respektieren, um eine Einheit zu werden." Aleida March war Mitglied der Bewegung des 26. Juli, hauptberuflich arbeitet sie als Kinderärztin - sie kann aber auch mit einem Gewehr umgehen, wenn es sein muss. Aktiv ist sie in der Kommunistischen Partei Kubas. "Macht: Das Volk soll erwachen und die Linke darf sich nicht zerstreiten." Gemeinsame Ziele suchen, gemeinsam kämpfen für Rechte. Kuba ist eine Insel in der Karibik, hat immer wieder Schwierigkeiten; aktuell muss es die Folgen des Hurrikans überwinden.

Das Schlimmste von all dem ist jedoch, so nahe an den Vereinigten Staaten leben zu müssen. Die SpanierInnen brachten vor 500 Jahren Ausbeutung, später wurde Kuba eine Neokolonie der USA bis zur Revolution. Trotz der später verhängten US-Blockade galt immer: Die Wirklichkeit mit unseren eigenen Mittel zu verändern. Vor der Revolution waren Kindersterblichkeit und Analphabetismus gross. Heute hat das Land ein kostenloses Gesundheitssystem und Bildungssystem. Die Errungenschaften reichen sogar soweit, um andere Länder daran teilhaben zu lassen. Nicht perfekt sind einige Prozesse im Sozialismus - weil von Frauen- und Männerhand gemacht und belastet durch den mörderischen Druck der USA. "Wir haben uns auch geirrt, wir haben Fehler gemacht", sagte Aleida Guevara March offen ins Publikum hinaus. Der städtische Verkehr ist schlecht und es herrscht Wohnungsnot. "Aber die Probleme kann niemand anders beheben als wir selber."


Wirtschaftskrieg der USA

Noch heute besteht die Blockade durch die USA. Einige nennen diese Sanktionen "Embargo", was die Situation aber falsch beschreibt. Nicht nur die USA hat ein Handelsverbot mit Kuba - die Vereinigten Staaten sanktionieren andere potenzielle GeschäftspartnerInnen aus aller Welt. Für viele Länder ist es unmöglich, Waren aus oder nach Kuba zu transportieren. Beispielsweise kann Kuba bestimmte Medikamente nicht kaufen, auch wenn das Geld vorhanden ist. Die USA drohen Unternehmen mit dem Abzug von angelegtem Kapital oder mit einem Verkaufsverbot in den USA. Gerade bei Arzneien entwickelt die Blockade sich zu einem Völkermord hin, wenn lebensnotwendige Medikamente nicht gekauft werden dürfen, um Leben zu retten. Diese schwierige Situation nimmt den KubanerInnen aber nicht die Lebensfreude: "Wir sind viele Völker und zusammen sind wir stark. Wir verbessern unseren Sozialismus."


Bewegung eingeschlafen?

Auch nach einer langen Redezeit wirkt Aleida Guevara March energiegeladen, so frisch, dass sie das Bébé, dass in einer hinteren Reihe quengelt, zu sich nimmt und ab jetzt wippend die Fragen des Publikums beantwortet. Das Kleinkind wirkt zufrieden, als Guevara ihre Analyse zu Europa darstellt: In Europa spricht man von Demokratie, doch wo ist diese "Macht des Volkes"? Viele protestieren gegen Kriegsmaterialexporte und die Regierung verkauft Waffen in andere Länder. Versprochene gleiche Rechte für alle stehen im Widerspruch zur Rechtsungleichheit. Vor allem Finanzkriminalität wird nur in kleinem Umfang geahndet im Vergleich zu anderen Übertretungen des Gesetzes. Die ArbeiterInnenbewegung ist hierzulande gross und hat in der Vergangenheit Errungenschaften erkämpft. Heute geschehen Abbau und Privatisierung in Gesundheitswesen und Bildungswesen. Ist die Bewegung eingeschlafen? Wenn ihr eure Rechte nicht verteidigen könnt, wie wollt ihr unsere Kämpfe solidarisch unterstützen? Im Saal ist es still, weil alle wissen, wie wahr die Worte Guevaras sind. Auf die spätere Frage, wie eine Einheit entstehe, meint die Kommunistin: Der Che sagte, man kann nur nach dem eigenen Vorbild erziehen. Zudem müssen Prozesse aufgebaut und verteidigt werden. Über die Mittel, die dabei eingesetzt werden, entscheidet das Volk. Ein vereintes Volk wird niemals besiegt werden.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32 - 73. Jahrgang - 28. September 2017, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2017

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