Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1259: Was ist Revolution?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 01/02 vom 20. Januar 2017

Was ist Revolution?

Von Siro Torresan


Vom 12. bis 17. Dezember 2016 hat eine vierköpfige Delegation der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) auf Einladung der Kommunistischen Partei Kubas das sozialistische Land besucht. Finden in Kuba Veränderungen statt? Ja. Die Frage ist, auf welche Art und Weise und mit welchen Zielen. Eine Reportage.

Müde von der langen Rückreise und leicht verärgert, dass mein Koffer nicht mit im Flugzeug war, sondern irgendwo zwischen Havanna und Zürich rumschwirrt, beschliesse ich, ein Taxi zu nehmen. Der Taxifahrer ist ein geselliger Mann. Ungefragt erzählt er, dass er mit 71 Jahren natürlich schon in Rente sei. "Mit dem Taxifahren bessere ich meine Ferienkasse auf", erklärt er. "Mit diesem Geld kann ich zwei Monate Urlaub machen, in der Südtürkei, im Ferienhaus meiner Schwester." Es sei ihm gegönnt. Dann fragt er mich, wo ich gewesen sei. "Ah, Kuba", sagt er mit Interesse, nachdem ich meinen Aufenthaltsort der letzten Tage verraten habe, und fragt: "Hat sich dort was verändert seit dem Tod von Castro?" Zum Reagieren lässt er mir jedoch keine Zeit, sondern beantwortet seine Frage im gleichen Atemzug selber: "Wohl kaum. Ist ja auch zu kurz. Bei den vielen Problemen braucht es sicher mehr Zeit." Jetzt macht er eine kurze Pause, guckt in den Spiegel und fragt: "Oder?"


Die Frage ist aber ...

"Die Löhne sind zu tief. Das ist ein grosses Problem und eine Herausforderung für uns", sagt unser Begleiter und Mitarbeiter des Zentralkomitees des Partido Comunista de Cuba (PCC), Juan Carlos Marzan in einem unserer vielen Gespräche. Und als wir einen staatlichen Markt besuchten: "In der Landwirtschaft schaffen wir es nicht, das zu produzieren, was wir benötigen." Natürlich gibt es in Kuba Probleme. Welches Land ist frei davon? Doch, hier macht niemand ein Geheimnis daraus, dass es Schwierigkeiten gibt. "Entscheidender ist die Frage, auf welche Art und Weise und mit welchen Zielen wir unsere Probleme lösen wollen", bemerkt Genosse Marzan. Die Antworten auf diese Frage standen im Zentrum unserer Reise und der vielen Diskussionen, die wir führten. Doch bevor davon die Rede ist, muss eine andere Frage beantwortet werden, die nach unserer Rückkehr bemerkenswert oft in den Gesprächen über die Reise und Kuba gestellt wurde: Ja, die US-Blockade gegen Kuba besteht immer noch! Beim Versuch, sich ein Bild über die Insel zu machen, muss diese Tatsache berücksichtigt werden. Niemand in Kuba behauptet, dass die Blockade an allem schuld sei. Klar ist aber: Sie trifft das Land und die Menschen weiterhin mit voller Härte. Der Sinn und Zweck, das Ziel dieser Blockade bleibt es, das Land wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, um eine Konterrevolution, einen Aufstand gegen die sozialistische Regierung zu provozieren.


Was wollen die Menschen in Kuba?

Kurz nach dem Tod von Fidel Castro am 25. November 2016 wurden die KubanerInnen aufgerufen, die folgende Proklamation zu den Prinzipien der Revolution zu unterschreiben: "Was ist Revolution? Revolution ist das Gefühl für den historischen Moment; es bedeutet, alles zu verändern, was verändert werden muss; volle Gleichheit und Freiheit; den andern als menschliches Wesen zu behandeln und selber als ein solches behandelt zu werden; uns selbst aus eigener Anstrengung zu emanzipieren; die mächtigen Kräfte herauszufordern, die innerhalb unseres sozialen und nationalen Umfeldes herrschen; die Werte zu verteidigen, an die man glaubt, und dafür jeden Preis in Kauf zu nehmen; Bescheidenheit, Uneigennützigkeit, Altruismus, Solidarität und Heldenhaftigkeit; mit Mut, Intelligenz und Realismus zu kämpfen; niemals zu lügen und niemals ethische Prinzipien zu verletzen; die tiefe Überzeugung, dass keine Macht der Welt in der Lage ist, die Kraft der Wahrheit und der Ideen zu vernichten. Revolution bedeutet Einheit, Unabhängigkeit; Revolution bedeutet, für unsere Träume von Gerechtigkeit für Kuba und für die Welt zu kämpfen, sie ist die Basis für unseren Patriotismus, unseren Sozialismus und unseren Internationalismus."

Dies ist ein Ausschnitt aus Fidel Castros Rede vom 1. Mai 2000. Sie wurde innerhalb weniger Tage von sechs Millionen (!) KubanerInnen unterschrieben. Niemand hat sie dazu gezwungen. Die Menschen standen teilweise stundenlang Schlange, um zu unterschreiben. Wer sich also die Frage stellt, was die Menschen in Kuba wollen und in welchem Sinne, in welchem "Geiste" die Veränderungen stattfinden sollen, hat mit dieser Proklamation eine Antwort von rund der Hälfte der KubanerInnen.


"Wir müssen effizienter werden"

Wie beispielsweise die Massnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung diskutiert und beschlossen wurden, erfahren wir bei unserem ersten Treffen am Montagmorgen, 13. Dezember, im Gebäude des Zentralkomitees des PCC. Das graue, grosse Bauwerk mit vielen Fenstern befindet sich im Zentrum der Hauptstadt Havanna am Plaza de la Revolución, gleich neben dem Denkmal für José Marti, den Nationalhelden Kubas, der am 19. Mai 1895 im antiimperialistischen Befreiungskampf gegen die SpanierInnen starb.

Am Ende eines langen Ganges im Erdgeschoss erwartet uns Genosse José Ramon Balaguer Cabrera. Der Genosse empfängt uns mit einem festen, herzlichen Händedruck und heisst uns auf Kuba willkommen. Schon nach wenigen Sätzen wird uns klar, dass wir das Glück, die Freude und Ehre haben, mit einer beeindruckenden Persönlichkeit zu sprechen. Balaguer hat mit Fidel gegen die Diktatur Batistas gekämpft und auch danach sein Leben in den Dienst der siegreichen kubanischen Revolution gestellt. Unter anderem war er Gesundheitsminister. Heute leitet er das Departement für internationale Beziehungen des Zentralkomitees des PCC. Er unterstreicht, dass jetzt, nach dem Tod des Comandante en Jefe Fidel Castro für Kuba eine Zeit der Trauer sei. Dann sagt er: "Ich habe grossen Respekt und danke euch dafür, dass ihr mit uns trauert." Genosse Balaguer kommt bald auf die wirtschaftliche Situation des Landes zu sprechen und nennt eine Herausforderung beim Namen: "Wir müssen effizienter werden. Wo 100 ArbeiterInnen ausreichen, sind keine 150 notwendig. Die Frage ist, was mit den anderen 50 geschieht." Er macht eine kurze Pause und erklärt uns dann: "Der 6. Kongress im Jahr 2011 war wichtig. Er hat festgelegt, was die Partei zu tun hat. Wir wollen den Sozialismus auf Kuba weiterentwickeln und festigen." Die aktuellen wirtschaftlichen Bestrebungen Kubas bringt er wie folgt auf den Punkt: "Für den Sozialismus, den wir wollen, müssen Investitionen getätigt werden. Wir haben daher die Gesetze beschlossen, die wir dafür für notwendig halten, ohne dadurch das Land in den Abgrund zu treiben."


Demokratieverständnis im Vergleich

Das Resultat des 6. Kongresses des PCC ist ein Dokument mit 313 Leitsätzen zur weiteren Entwicklung des Landes. Die demokratische Entstehung dieses Dokuments ist beeindruckend: Im Vorfeld des Kongresses wurden 298 Leitsätze erarbeitet. "Wir haben das Dokument zuerst innerhalb der Partei diskutiert", erklärt uns Balaguer. Danach folgte in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften die Diskussion bei den Angestellten und ArbeiterInnen in den Betrieben und Genossenschaften. Zum Schluss wurde die ganze Bevölkerung direkt miteinbezogen. An rund 160.000 Versammlungen kam es so zu drei Millionen Interventionen, sprich Wortmeldungen. Gut 800.000 Vorschläge lagen letztlich vor. Sie wurden analysiert und zusammengefasst. 400.000 Vorschläge flossen so ins neu entstandene Dokument, das dann am Kongress diskutiert wurde. "Wir haben die ganze Kongressdebatte live am TV übertragen. Bei den Abstimmungen waren immer die Leitsätze in der Originalfassung, die entsprechenden Anträge dazu, das Resultat der Abstimmung sowie die Begründung ersichtlich, die zur Annahme oder Ablehnung des Antrags führte. So konnten alle sehen, was mit ihren Anträgen, ihren Vorschlägen geschah", erklärt Balaguer. Die KP Kuba hat im Staat eine wichtige Rolle, sie ist aber nicht allmächtig. Daher wurden die Leitsätze anschliessend auch im Parlament behandelt und verabschiedet. Das Schlussdokument wurde in einer Auflage von einer Million gedruckt und ans Volk verteilt. "Dieser ganze Prozess zeigt unser Verständnis von Demokratie!", hält der Genosse mit Nachdruck fest.

Ein Vergleich mit der Schweiz drängt sich auf: Der Bundesrat hat Ende Juni 2016 den Bericht "Neue Wachstumspolitik 2016 - 2019" publiziert. Das Dokument stützt sich auf die drei Säulen Arbeitsproduktivität, Widerstandsfähigkeit der Volkswirtschaft und Ressourcenproduktivität. Mit 14 Massnahmen, die von administrativer Entlastung und einer besseren Regulierung für die Unternehmen, der Sicherung des Marktzugangs über den Erhalt und die Weiterentwicklung des bilateralen Vertragswerks bis zur Nutzung der Chancen der digitalen Wirtschaft gehen, soll das Wachstum angekurbelt werden. Durften Frau und Herr Schweizer ihre Meinung zum Dokument kundtun? Nein. Hat jemand im Lande der Eidgenossen von diesem Dokument überhaupt etwas gehört oder es gar gelesen? Kaum jemand. So schreibt auch der Thinktank Avenir Suisse, der sich nach eigenen Angaben "an einem klassischen liberalen Welt- und Gesellschaftsbild" orientiert: "Der Bericht hat in Politik und Öffentlichkeit keine grossen Wellen erzeugt und ist kaum zur Kenntnis genommen worden. "


Kollektiv verwaltet und in kollektivem Besitz

Am Tag nach dem eindrücklichen Treffen mit Genosse Balaguer, besuchen wir die Landwirtschaftskooperative "Freundschaft Kuba - Bulgarien". Sie befindet sich am Rande einer Kleinstadt in der Provinz Mayabeque, rund 70 Kilometer südöstlich von Havanna. Es ist heiss. Die Sonne scheint in ihrer ganzen Pracht und mit voller Kraft vom Himmel. Bei über 25 Grad am Schatten gegen elf Uhr morgens kann von Winter - zumindest so, wie wir ihn in der Schweiz kennen - keine Rede sein. Die Genossenschaft produziert hauptsächlich Kartoffeln, aber auch anderes Gemüse. Anfangs der 90er waren es 15, heute sind es 78 GenossenschafterInnen, die 642 Hektaren Land bewirtschaften.

Empfangen werden wir vom Präsidenten der Genossenschaft sowie drei weiteren Mitgliedern des Leitungsausschusses. Der Präsident erinnert daran, dass die Stärkung der Genossenschaften eine der Prioritäten der Regierung sei und sagt: "Unsere Kooperative ist kollektiv verwaltet und in kollektivem Besitz." Gesetzlich geregelt ist lediglich, dass ein Teil des Ertrags, der von der Ernte abhängt, für Investitionen der Kooperative eingesetzt werden muss und dass ein Teil für die Gesellschaft aufgewendet werden muss. Alles andere wird im Kollektiv selber bestimmt. Das oberste Organ ist die Versammlung aller an der Genossenschaft Beteiligten, die einmal im Monat tagt. Die Organe werden für die Dauer von zweieinhalb Jahren gewählt, "sind aber jederzeit abwählbar", hält der junge Präsident der Kooperative fest. Die Versammlung legt den Lohn fest, der aktuell bei 720 kubanischen Pesos liegt, hinzu kommen "geldwerte Leistungen" wie Milch, Gemüse und Reis. Der Durchschnittslohn im Land beträgt 750 Pesos. "Es ist ein tiefer Lohn", hält der Präsident fest und fügt hinzu: "Auch daher ist es unser Ziel, die Produktivität zu steigern. Unser Anspruch ist es, für die ganze lokale Bevölkerung Gemüse zu produzieren." Der Versammlung obliegt es, den Produktions- und Investitionsplan zu beschliessen. Der Präsident informiert uns, dass während der Erntezeit auch ArbeiterInnen eingestellt werden, und kommt dann auf die Probleme zu sprechen: "Wir haben Schwierigkeiten, Ersatzteile für unsere Maschinen zu bekommen. Wenn eine Maschine während der Erntezeit ausfällt, ist das Risiko hoch, dass ein Teil der Ernte verloren geht." Eine Schwierigkeit, die stark mit der Blockade zusammenhängt. Uns wird erklärt, dass so wie alle Genossenschaften in Kuba auch diese stark mit ihrer Gemeinde verbunden ist und wie bei allen Genossenschaften im Lande ein Teil des Ertrags für die lokale Entwicklung bestimmt ist. 2016 war es ein Prozent. Die Kooperative unterstützt zudem verschiedene lokale Projekte im Gesundheits- und Sozialbereich. Mit der Stärkung und dem Ausbau der Genossenschaften findet somit auch eine Stärkung der lokalen Strukturen statt.

Nachdem wir Felder der Kooperative besichtigt haben, werden wir mit einem Apéro verwöhnt. Der selbstgemachte Fruchtsaft ist köstlich. Als ich mir zum dritten Mal ein Glas einschenke, komme ich mit der Sekretärin der Kooperative ins Gespräch. "Die Arbeit hier auf den Feldern ist sehr hart, vor allem im Sommer", sagt sie mir. An Tagen wie heute, ist es selbst im Dezember an der Sonne nicht auszuhalten. Man stelle sich nun vor, wie hart die Arbeit im Juli oder August sein muss. Ja, die Menschen, die hier arbeiten, haben in der Tat einen Knochenjob. Umso beeindruckender ist der überzeugende Wille, als Kooperative zu wachsen. Um es mit den Worten der Sekretärin zu sagen: "Wir wollen einen Beitrag für die ganze Bevölkerung und die Entwicklung Kubas leisten." Chapeau und viel Erfolg!


"Die Löhne sind an die Effizienz gebunden"

"Die staatlichen Betriebe sind das Herz der kubanischen Produktion, unterstreicht Antonio Garcia, Direktor der staatlichen Möbelfirma Dujo. Wir befinden uns in einem hellen, freundlich eingerichteten Sitzungszimmer in der Geschäftszentrale in Havanna. Ursprünglich bezeichnet das Wort "Dujo" einen hölzernen Zeremonienstuhl, der im 16. Jahrhundert von den UreinwohnerInnen der Antillen hergestellt wurde. Die Möbelfabrik beschäftigt heute rund 2500 ArbeiterInnen, in neun, auf ganz Kuba verteilten, Betrieben. "Eine der Charakteristiken nach dem Kongress 2011 ist, dass sich kleinere Firmen zusammenschliessen, unter einer gemeinsamen Leitung." Garcia betont, dass die neuen Gesetze dem Unternehmen mehr Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Er erklärt: "Wir können jetzt den Markt, die Investitionen und die Lohnpolitik selber bestimmen." Und zur Lohnpolitik im Betrieb sagt er: "Unsere Löhne sind an die Effizienz gebunden." An die Effizienz? Wir sind so verblüfft, dass sich der Direktor ein Grinsen nicht verkneifen kann. "Ja, an die Effizienz", wiederholt er und erklärt: "Aber nicht an die Effizienz der Einzelnen, sondern an die Effizienz unserer Planerfüllung. Dieser wird zuvor gemeinsam mit den ArbeiterInnen entwickelt. So arbeiten wir alle gemeinsam am gleichen Ziel." Das Resultat lässt sich sehen: Lag der betriebliche, durchschnittliche Monatslohn vor einigen Jahren noch bei 400 Pesos, beträgt er jetzt 1000. Dann stellt der Direktor klar: "ArbeiterInnen in der Produktion, zum Beispiel ein Schreiner, sind wichtiger und verdienen daher mehr als ich. Ihre Arbeit ist von zentraler Bedeutung, denn sie stellen die Möbel her. Ohne ihre Arbeit haben die Schulkinder kein Pult, auf dem sie schreiben können." Aber nicht nur in der Lohnpolitik zeigen die Beschlüsse des 6. Kongresses positive Auswirkungen: Bis vor wenigen Jahren mussten zum Beispiel die Hotels ihre Möbel importieren. "Jetzt beliefern wir praktisch alle Hotels, die neu gebaut werden", hält der Direktor fest. "Das hat für die Hotels zwei wichtige Vorteile: Unsere Möbel sind billiger und von besserer Qualität. Das kann ich euch versichern!" 2016 haben rund vier Millionen TouristInnen Kuba besucht.

Durch die jetzige Eigenproduktion werden qualitativ gute Arbeitsplätze in Kuba gesichert und neue geschaffen. Überrascht sind wir von der Tatsache, dass immer noch 90 Prozent des Materials, das für die Möbelproduktion gebraucht wird, importiert werden muss. Ausser der Sorge um die Devisen, die dafür nötig sind, stellen wir die Frage, wie dies unter den Umständen der Blockade funktioniert, schliesslich können wir schon innerhalb der Schweiz Überweisungen per Bank mit dem Stichwort "Kuba" nur schwierig tätigen. Garcia antwortet: "Wir haben leider eine jahrzehntelange Erfahrung. Wir finden einen Weg." Doch: "Wir müssen das nötige Material von weit her kommen lassen und das steigert natürlich die Kosten. Ohne Blockade könnten wir zum Beispiel das Holz in den USA kaufen, was viel näher und entsprechend billiger wäre." Garcia erklärt uns auch ein zentrales Prinzip staatlicher Betriebe: "Einfach gesagt, können wir unsere Produktion in drei Bereiche einteilen. Dabei wird das Gesundheits- und Bildungswesen vom Staat als vorrangig definiert. Erst wenn dafür alles hergestellt ist, kommen die weiteren Staatsbetriebe sowie Genossenschaften an die Reihe. Sie bilden den zweiten Bereich. Der dritte Bereich ist die Tourismusbranche. Wobei hier die Abläufe speziell geregelt sind." Und um dieses Produktionsprinzip zu unterstreichen, sagt er: "Wenn wir in Kuba fünf Pesos investieren können, tun wir dies zuerst im Gesundheits- und Bildungswesen und danach in der Möbelindustrie oder sonst wo. Das ist in Kuba so. Das wird sich nicht ändern, daran werden wir festhalten!" Gut, dass das so ist.


Die KubanerInnen gehen Ihren Weg

"Die Regierung hat verschiedene Massnahmen beschlossen, die sicher zu Veränderungen führen werden", antworte ich meinem Taxifahrer. "Ja, davon habe ich gehört", sagt er, um dann zu fragen; "Aber nützen sie was? Ist die Situation für die Menschen sehr schlimm?" Sehr schlimm? Vielleicht tue ich jetzt dem sympathischen Mann unrecht, aber ich gehe davon aus, dass seine Vorstellungen von Kuba von der westlichen Berichterstattung geprägt sind: Ein Land am Abgrund, das jetzt vom Bruder des langjährigen Diktators Fidel Castro weiterhin mit eiserner Hand abgeschottet wird. Ein unterdrücktes Volk, das unter der kommunistischen Diktatur leidet und nur einen einzigen, innigen Wunsch hat, nämlich im Kapitalismus zu leben. Aber so ist es nicht.

Ich könnte ihm jetzt erklären, dass in Kuba niemand hungert, dass ich in der über zwei Millionen EinwohnerInnen zählenden Hauptstadt Havanna gerade mal zwei BettlerInnen begegnet bin, dass die Wahrscheinlichkeit, morgens um zwei Uhr in Havanna überfallen zu werden, höchstens gleich hoch ist wie hier in Zürich. Ich könnte erklären, dass die KubanerInnen reisen dürfen, wohin sie wollen, und dass es in Kuba 3,5 Millionen Natels gibt, falls das auch in die Kategorie "Freiheit" gehört.

Ich könnte ihm von den sechs Millionen Unterschriften und drei Millionen Wortmeldungen erzählen, die doch von der aktiven Beteiligung am politischen Leben des Landes zeugen. Genauso wie das Mitwirken und Mitbestimmen der ArbeiterInnen mit ihrer Gewerkschaft bei der Ausarbeitung des neuen Arbeitsgesetzes und die aktive, gesetzlich geregelte Rolle der Jugend in der kubanischen Gesellschaft. Gerne würde ich auch erwähnen, dass 16-Jährige in Kuba wählen dürfen, dass jedeR Abgeordnete von ihren WählerInnen abgewählt werden kann, wenn sie mit ihrer Arbeit nicht zufrieden sind, und dass der Generationenwechsel innerhalb der politischen Instanzen im Gange ist. So beträgt das Durchschnittsalter im kubanischen Parlament 48 Jahre (in der Schweiz zwei Jahre mehr). Meinem Taxichauffeur würde ich gerne sagen, dass die Kindersterblichkeit im armen Kuba genau so niedrig ist wie in der reichen Schweiz, dass alle Schulkinder selbstverständlich kostenlos in der Schule verpflegt werden. Ihn auch darauf hinweisen, dass das Rentenalter für Frauen bei 60 und für Männer bei 65 liegt, dass Kubas Hauptexportartikel die Medizin ist, insbesondere im Bereich der Prävention und dass die Hauptsorge der Kommunistischen Partei, des Parlaments und der Regierung die Steigerung der Lebensqualität aller KubanerInnen ist. Mit Betonung auf aller!

Doch für all dies und vieles mehr, habe ich leider keine Zeit. Wir kommen bald vor meiner Haustüre an. So antworte ich meinem Taxifahrer: "Was die Massnahmen bringen werden, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Aber wissen Sie, ich glaube, die wichtige Frage ist, auf welche Art und Weise und mit welchen Zielen die Veränderungen gemacht werden." Mein Taxichauffeur guckt wieder in den Spiegel und ich sage ihm: "Etwas kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen: Die Antworten auf diese Frage, kennt niemand besser, als die KubanerInnen selber. Kuba verändert sich, weil es die KubanerInnen wollen. Sie werden den Weg gehen, den sie für richtig halten. Und das ist gut so."

Kuba setzt seine Revolution fort. Viva Cuba!

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02/2017 - 73. Jahrgang - 20. Januar 2017, S. 8-9
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang