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VORWÄRTS/1160: Feministischer November in Bern


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 01/02 vom 15. Januar 2016

Feministischer November in Bern

Von Sabine Hunziker


Der November in Bern stand unter dem Zeichen feministischer Denkanstösse. Zwei grosse Veranstaltungen in der Reitschule und im Hotel Bern boten eine Vielfalt an Workshops, Diskussionen und Vorträgen. Auf dieser Seite finden sich nun Beiträge von den jeweiligen Organisatorinnen.


Vom 27. bis 29. November 2015 lud das antisexistische Kollektiv Lieber Glitzer in Zusammenarbeit mit dem Frauenraum zum "Machen statt mackern"-Wochenende in der Reitschule in Bern ein. Gefordert wurde ein sensiblerer Umgang mit Sexismus in der links-autonomen Szene.

Die politische Linke spricht sich klar gegen Sexismus und die daraus resultierende Unterdrückung aus. Es wird davon ausgegangen, dass sich Menschen, die eine solche politische Position vertreten, den herrschenden Sexismus erkennen und besonders reflektiert damit umgehen können. Trotzdem findet sexistische Diskriminierung und Unterdrückung auch innerhalb der linken Szene statt. Grund sind nicht bewusste ideologische Fehlleitungen, sondern oftmals unbewusste und ungewollte Verhaltensmuster, basierend auf Ängsten, Vorurteilen, Bequemlichkeit und mangelnder Selbst- und Gruppenreflexion. Ausserdem ist die politische Linke auch Teil der Gesellschaft und so finden soziale Sanktionen für Personen, die sich nicht dem heteronormativen Bild der vorgegebenen binären Geschlechterrollen anpassen wollen, auch Eingang in linke Strukturen. Das Antisexismus-Wochenende sollte Gelegenheit zur kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Rollenklischees und Verhaltensweisen bieten. Im Bewusstsein darüber, dass es nicht "das Rezept" gibt, um Sexismus wirksam zu bekämpfen, bot "Machen statt mackern" eine Plattform zur Selbstreflexion und Ausarbeitung von Handlungsstrategien, wie jedeR Einzelne zu einem antisexistischen Zusammenleben beitragen kann.


Sexismus in der Reitschule

"Tough Guise 2", ein Film über Männlichkeit im Zusammenhang mit Gewalt, hat das "Machen statt Mackern"-Wochenende am Freitagabend eröffnet und auf zwei Ebenen für Diskussionsstoff gesorgt. Einerseits wurde über Männlichkeit und ihre Auswirkungen gesprochen und darüber diskutiert, wie es möglich werden könnte, neue Menschenbilder jenseits von binären Geschlechtervorstellungen zu schaffen und zu verbreiten. Andererseits kamen durch die Machart des Filmes Dinge zur Sprache, die diese Vorstellungen aufrechterhalten: Sollen negative und gewalttätige Beispiele überhaupt gezeigt werden oder ist es besser, nur neue und gewünschte Bilder zu zeigen? Wie sehr unterscheiden sich die Probleme hier in Europa und der Schweiz von den "diskursführenden" in den USA?

Dass Sexismus und Mackertum selbst vor der autonomen Reitschule nicht haltmacht, zeigte am Samstag der Vortrag der Geschlechterforscherin Fabienne Amlinger. Seit den Anfängen der Reitschule in den 1980er Jahren zählt der Grundsatz "gegen Sexismus" zu den Eckpfeilern des dort veranschlagten Polit- und Selbstverständnisses. Doch genauso lange schon wird ein mühsamer Kampf gegen Sexismus geführt, was letztlich nur zeigt, dass es mit der Umsetzung des Grundsatzes nicht weit her ist. Anhand der beiden feministischen Frauengruppen FrauenAG und FAntifa zeigte der Vortrag die vielfältigen, anstrengenden, aber teilweise auch erfolgreichen Interventionen gegen Sexismus auf. Schliesslich endeten die Ausführungen mit der Feststellung, dass sich zum allergrössten Teil Frauen innerhalb der Reitschule gegen Sexismus organisier(t)en und zur Wehr setz(t)en, während bei BesucherInnen und etlichen BetreiberInnen der Reitschule oft ein Grundsatzverständnis bezüglich Sexismus wie auch konkrete Handlungsansätze fehl(t)en.


Keine perfekte Antwort

Das anschliessende "Theater der Unterdrückten", moderiert von der Theaterpädagogin Janna Mohr, bot dem Publikum die Möglichkeit, Lösungsvorschläge zu dem Thema auf die Bühne zu tragen. Interventionen gegen sexistische Unterdrückung konnten spielerisch in einem kollektiven Lern- und Experimentierraum ausprobiert und diskutiert werden. Dabei wurde ersichtlich, dass es die perfekte Antwort auf sexistische Situationen nicht gibt. Solche Situationen und die dahinter verborgenen sexistischen Strukturen sind meist zu komplex, als dass sie mit einem einmaligen Einsatz gelöst werden könnten. Wir sollten uns davon nicht abschrecken lassen und unsere Anliegen weiterhin nach aussen tragen.

Am Sonntagsworkshop wurden Erfahrungsaustausch und Selbstreflexiongeführt: In welchen Situationen war und bin ich von Sexismus betroffen? Wie reagiere ich und wie würde ich gerne reagieren? In welchen Situationen handle ich selber sexistisch? In Gruppen wurden die eigenen Erfahrungen mit Sexismus, Privilegien und Diskriminierung ausgetauscht. Es wurde mehr Auseinandersetzung nach den Diskussionen mit der Thematik und Solidarität untereinander gefordert.

Das Antisexismus-Wochenende hat zur Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen und Verhaltensweisen beigetragen, wobei ein dichteres antisexistisches Netz geflochten werden konnte. Wir alle müssen weitermachen und eine Welt anstreben in der es keine Diskriminierung aufgrund von biologischem Geschlecht, sozialem Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung gibt.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 01/02 - 73. Jahrgang - 15. Januar 2016, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2016

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