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VORWÄRTS/1124: Mit dem Taxi durch Teheran


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 27/28 vom 17. Juli 2015

Mit dem Taxi durch Teheran

Von Michi Stegmaier


Mit seiner an der 65. Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Tragikomödie "Taxi Teheran" setzt sich der iranische Regisseur Jafar Panahi einmal mehr über sein Berufsverbot hinweg und produziert mit einfachsten Mitteln und unter schwierigen Bedingungen ein luftig-leichtes Roadmovie.


Ein Taxi fährt durch die farbenfrohen Strassen der pulsierenden Millionenmetropole Teheran. Die unterschiedlichsten Menschen steigen ein. Der Fahrer spricht mit seinen PassagierInnen, die offen, ungefragt und unverblümt sagen, was sie denken. Geschichten aus dem Alltag, die so in jeder anderen Weltstadt spielen könnten. Am Steuer des Taxis sitzt niemand anderes als der Regisseur Jafar Panahi, der sich im Film selber spielt. Trotz Berufs- und Drehverbot ist es dem Iraner auch in diesem Jahr gelungen, einen fulminanten Film zu drehen, denn Jafar Panahi lässt sich nicht unterkriegen.

Zur Klandestinität gezwungen, hat der Regisseur kurzerhand sein Auto zum Drehort umfunktioniert. So spielt der ganze Film, der ein Streifzug durch die iranische Gesellschaft und die eigene Seelenlandschaft ist, im und ums Taxi. Manche seiner Fahrgäste erkennen den auch im Iran sehr bekannten Filmemacher auf Anhieb, für andere ist er einfach ein lausiger Taxifahrer, der sich ständig verfährt. Wie in der Realität ist auch im Film das Taxi eine eigene Welt, wo die unterschiedlichsten Charaktere auf dem Rücksitz Platz nehmen, jeder mit seinen persönlichen Geschichten im Gepäck, die sie dem stoisch und ein wenig überfordert wirkenden Fahrer ungefragt erzählen. So entsteht mit viel Humor bespickt ein vielschichtiges Mosaik der modernen Gesellschaft des heutigen Irans.


Slapstick auf engstem Raum

Liebevoll inszeniert Panahi dabei seine Figuren, die mal Fiktion, mal reale Personen darstellen. Einer der ersten Fahrgäste ist ein junges Grossmaul. Als wenig später eine Lehrerin hinzusteigt, beginnt sogleich eine hitzige Diskussion über die Todesstrafe. Während der Mann, selber ein Kleinkrimineller, lauthals für die Hinrpüichtung von DiebInnen als abschreckendes Beispiel plädiert, nimmt die Lehrerin die StraftäterInnen in Schutz und verweist auf die sozialen Ursachen. Etwas später befördert Panahi einen Mann, der mit illegalen Kopien westlicher Filme handelt und über ein erlesenes Sortiment verfügt. Er erkennt Panahi sofort und bittet ihn als Fachmann, einen seiner Kunden bei der Auswahl der Filme zu beraten. Panahi geht auf den Wunsch ein und gibt einem jungen Mann eine Reihe von Empfehlungen. Der ewig schwitzende Filmpirat befördert daraufhin den Filmemacher kurzerhand zu seinem neuen Geschäftspartner, was dieser jedoch dankend ablehnt. Kurz darauf holt Panahi die kecke Hana von der Schule ab, die sowohl im Film wie auch im realen Leben seine Nichte ist und sich als Erstes darüber beklagt, dass er sie mit einer solchen Rostlaube abholt, schliesslich hätte sie allen ihren MitschülerInnen erzählt, was für einen berühmten Onkel sie hätte. Als Hausaufgabe soll Hana einen Film für den Kunstunterricht drehen. Mit ihrer Kamera nimmt sie daher während der Fahrt alles auf, was vor ihre Linse hüpft. Von der Schule hat sie zudem eine Reihe von Regeln für "zeigbare Filme" mitbekommen. Dabei gilt es die islamische Kleiderordnung zu beachten, dass Frauen und Männer sich nicht berühren dürfen oder etwa keine Schwarzmalerei vorkommen darf. Ebenso dürfen nur die Bösen Krawatten tragen und die Helden des Schulprojekts müssen islamische und keine persischen Namen haben.


Zwischen Fiktion und Realität

Ein weiteres Highlight in "Taxi Teheran" ist der Auftritt der Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Nasrim Sotudeh, die mit einem grossen Blumenstrauss roter Rosen ins Taxi steigt und einmal mehr verschwimmt die Grenze zwischen Fiktion und Realität. Wie Panahi ist auch sie mit einem Berufsverbot belegt, da sie aber keine schriftliche Begründung erhalten hat, arbeitet sie kurzerhand einfach als Anwältin weiter. Sotudeh, die durch ihren offenen Charakter und Herzlichkeit beeindruckt, befindet sich gerade auf dem Weg zu einer jungen Aktivistin, die im Knast sitzt und dort gerade einen Hungerstreik begonnen hat. Verhaftet wurde die junge Frau, weil sie ein Volleyballspiel einer Männermannschaft besuchen wollte. Eine weitere Figur im Film ist etwa ein Bekannter Panahis, der aus Angst ein Verbrechen nicht anzeigen will, da er befürchtet, dass das verarmte Ehepaar, welches ihn ausgeraubt hat, sonst allenfalls die Todesstrafe droht. Oder zwei abergläubische alte Damen, die bis zur Mittagszeit ein Goldfischglas zu einer Quelle bringen müssen, um ein Unglück abzuwenden.

Während der teils heiteren teils dramatischen Fahrten wird politisiert, werden Floskeln ausgetauscht und gescherzt. Mit seinen drei im Sammeltaxi fest installierten Minikameras fängt Panahi diese vermeintlich authentischen Alltagsszenen ein. Trotz der Leichtigkeit des Film, der ganz ohne laute und anklagende Töne auskommt, gelingt es Panahi mit viel Humor, subversiver Herzlichkeit und mit einfachsten technischen Mittel, verschiedenste gesellschaftliche Fragen zu thematisieren. In die charmante Alltäglichkeit eingebettet, bringt er seine pointierte Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen im Film unter und mit einer grossen Brise Menschlichkeit und Humor fängt er die Stimmung in der iranischen Gesellschaft ein.


Ohne moralischen Zeigefinger

"Taxi Teheran" ist ein vibrierender und unglaublich vielschichtiger Film und wurde an der Berlinale verdientermassen mit dem Hauptpreis - dem Goldenen Bären - ausgezeichnet. Verschmitzt spielt der Regisseur mit Fiktion und Realität und beeindruckt mit seinem pseudodokumentarischen Film, der, räumlich auf das Taxi begrenzt, zu überzeugen weiss. Menschen und Meinungen treffen in der Enge des Fahrzeugs aufeinander, wo die bestehenden Verhältnisse, Filmverbote, Zensur und Unterdrückung, aber auch Freundschaft und Loyalität auf dem Rücksitz diskutiert werden. Und immer dann, wenn der Film zu einem lehrstückhaften Diskurs über die bestehenden Verhältnisse und moralische Fragen abzugleiten droht, steuert Panahi mit viel Humor und ironischen Brüchen dagegen. Leichthändig reiht sich so Episode an Episode, frei von Tristesse, liebevoll erzählt und unterhaltsam.

Fünf Jahre ist es nun her, dass Panahi, der sich in seiner Heimat für eine freiheitliche Gesellschaft und einen politischen Wandel stark macht, deswegen von einem Teheraner Gericht mit einem zwanzigjährigem Berufsverbot und sechs Jahren Gefängnis bestraft wurde. Seither darf er keine Interviews geben und auch das Land nicht verlassen. Doch Panahi hat sich nicht mundtot machen lassen und hat heimlich weitergefilmt, obwohl er eigentlich unter Hausarrest steht. Mit "Taxi Teheran" ist ihm einmal mehr ein beeindruckendes Werk gelungen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 27/28 - 71. Jahrgang - 17. Juli 2015, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2015

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