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VORWÄRTS/1093: Schweiz - Das Schicksal der Grünen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14 vom 10. April 2015

Das Schicksal der Grünen

Von Tarek Idri


In Luzern haben die Grünen an den Wahlen Ende März deutlich an Stimmen eingebüsst. Wird sich dieser Trend in der Schweiz fortsetzen? Wahrscheinlich ja, aber die Luzerner Grünen sind ein Sonderfall und nicht die Regel.


Wir befinden uns im grossen Wahljahr. In Zürich stehen gerade die Kantonsratswahlen auf dem Programm und im Herbst geht der Zirkus um die eidgenössischen Nationalratswahlen los. Die LuzernerInnen konnten ihr kantonales Parlament bereits Ende März wählen und haben den Parteien mit grünem Programm eine deutliche Abfuhr erteilt. Der Wahlverlust der Grünliberalen wird mit ihrem Abstimmungsdebakel über ihre Energiesteuer-Initiative in Verbindung gebracht, die eine historisch starke Ablehnung von 92 Prozent erzeugt hat. Die Grünen in Luzern sind hingegen ein Sonderfall, ihre Wahlergebnisse unterscheiden sich hier von den Grünen der restlichen Kantone.

Linke Parteien haben es in Luzern schwer. Der ländliche Kanton war und ist eine Hochburg der CVP, auch wenn die Blocher-Partei den Pfaffen in den letzten Jahren Konkurrenz gemacht hat. Umgekehrt kann die Sozialdemokratie hier seit ihrer Gründung kaum auf mehr als 10 Prozent der Stimmen hoffen. Und doch ist die Grüne Partei fast gleich stark. Weshalb?


Konservative SP

Im Kanton Luzern hat die Industrialisierung im Vergleich zu grösseren Städten wie Basel und Zürich später eingesetzt und die Landwirtschaft blieb lange zentral. Mit der Folge, dass eine grössere Arbeiterschaft als soziale Basis für die SP fehlte. Die Sozialdemokratie war in Luzern dadurch schon immer sehr klein und vor allem auf die Agglomeration um Luzern begrenzt. Erst 1959 konnte sich die SP auf kantonaler Ebene an der Regierung beteiligen. Diese Schwäche der SP zeigte sich auch in einer "programmatischen Zurückhaltung", wie es Louis Schelbert, grüner Nationalrat, rückblickend ausdrückt. Die Sozialdemokratie führte hier eine stark gemässigte, sehr konservative Linie und kämpfte in erster Linie für die Stärkung der Sozialwerke und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Rahmen des bestehenden Systems. Die SozialdemokratInnen setzten auf die Konkordanz und zeigten sich gemässigt: Auf provokative Aktionen wurde verzichtet. Ein weiterer Grund, dass die SP gerade für jüngere und kritische Leute lange Zeit nicht Wunschpartei war, sieht der frühere SP-Regierungsrat Paul Huber darin, dass sie von älteren Personen geführt wurde, die oft sehr konservativ gewesen seien.


Progressive Grüne

Im "roten Basel" entstanden im Zuge der 68er-Bewegung die Progressiven Organisationen der Schweiz (POCH) aus studentischen Kreisen. In Luzern wurde eine sehr erfolgreiche Sektion der POCH gegründet. Sie profilierte sich, indem sie die bürgerliche Stadt- und Verkehrspolitik in Luzern kritisierte. Mit der Zeit wurde Umwelt und der Kampf gegen Atomkraftwerke zum zentralen Thema der POCH, bis es fast völlig dominierte: 1983 verabschiedeten sich die POCH vom Marxismus und orientierte sich fortan an der Grünen Partei Deutschlands. Aus den POCH wurde das Grüne Bündnis, aus dem Grünen Bündnis die Grüne Partei. Ihr Erfolg war erstaunlich; kurzzeitig überholte sie sogar die biedere Luzerner SP bezüglich WählerInnenstimmen. Und nun hat die Grüne Luzern eine heftige Niederlage erlitten. Was ist passiert? Ein Blick ins Wahlprogramm der beiden linken Parteien gibt Aufschluss: Die SP Luzern hat sich an die SP Schweiz und die Grüne Luzern hat sich an die Grüne Schweiz angepasst. Im Klartext, die kantonalen Sektionen sind keine Besonderheiten mehr. Und das heisst, sie werden mehr oder weniger das Schicksal ihrer nationalen Mutterparteien teilen.


Geringfügiger Unterschied

In Luzern haben sich SP und Grüne politisch deutlich von einander unterschieden, dadurch haben die Grünen zusätzlich Stimmen für das linke Lager gewonnen und es so auf einen gemeinsamen WählerInnenanteil von über 15 Prozent gebracht. Schweizweit ist der Unterschied zwischen den beiden Parteien vernachlässigbar. Wenn man sich die Abstimmungsparolen von der Sozialdemokratischen Partei und den Grünen in den letzten 15 Jahren ansieht, kann man zu folgendem Schluss kommen: Bei den 128 eidgenössischen Volksinitiativen, die wir untersucht haben, haben die SP und die Grünen 119-mal genau dieselbe Parole herausgegeben. Bei sechs Initiativen hat eine der beiden Parteien eine Stimmfreigabe beschlossen, während die andere ein Ja oder Nein empfohlen hat. Nur dreimal hatten die Parteien eine entgegengesetzte Meinung, nämlich im Jahr 2000, als über eine Änderung des Bundesgesetzes über die Armee und die Militärverwaltung entschieden werden musste; dann noch 2003, bei der Abstimmung über das Stammzellenforschungsgesetz (beide Male Grüne: Nein, SP: Ja). Und dieses Jahr haben die Grünen nun für die grünliberale Initiative ein Ja empfohlen. Widersprechende politische Einstellungen gibt es also nur in 1,5 Prozent der Fälle!


Liberale Alternative

Diese Übereinstimmung spiegelt sich in den Ergebnissen der Nationalratswahlen wider: Aus der oberen Grafik [im Schattenblick nicht veröffentlicht] geht klar hervor, dass Gewinne und Verluste von WählerInnenanteilen stets auf Kosten der jeweils anderen linken Partei gingen. Zum Beispiel waren die Grünen 1987 und 1991 um etwa so viel stärker, wie die SP schwächer war, während in der folgenden Periode die SP wieder erstarkte und die Grünen schwächelten. Diese Tendenz war bis 2007 dadurch verfälscht, dass die heutigen grünliberalen WählerInnen die Grünen wählten. Für die liberalen WählerInnen mit "ökologischem Gewissen", die bisher die Grünen gewählt hatten und überhaüpt zu dieser Stärkung vom rot-grünen Lager geführt haben, entstand mit der Grünliberalen Partei eine wählbare Alternative. In Zukunft werden sich Grüne und SP wohl um die sozialdemokratischen 25 Prozent der Bevölkerung streiten. Da für die beiden Parteien der parlamentarische Kampf im Vordergrund steht, kann man sich mit Recht fragen, ob diese rot-grüne Konstellation noch Sinn macht.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14 - 71. Jahrgang - 10. April 2015, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2015

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