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VORWÄRTS/1054: Die Armen sind schuld


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 37/38 vom 31. Oktober 2014

Die Armen sind schuld



tai. Ecopop sieht die Überbevölkerung als das ökologische Hauptprobiem. Der Verein steht damit in einer Tradition, die sich bis auf Malthus zurückverfolgen lässt.


Im November müssen die Schweizer Stimmberechtigten über eine Initiative entscheiden, die die bisherige Abschottungspolitik weit in den Schatten stellt: die Ecopop-Initiative. Sie fordert, dass die jährliche Nettozuwanderung (Einwanderung minus Auswanderung) auf 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung begrenzt wird, das wären derzeit 16.000 Personen pro Jahr statt 110.000. Fast zusammenhangslos wird zudem gefordert, dass zehn Prozent der schweizerischen Entwicklungshilfe für die "Förderung der freiwilligen Familienplanung" verwendet wird. Das Ungewöhnliche daran ist, dass diesmal vordergründig mit Umweltschutzideen argumentiert wird, statt nur auf Fremdenfeindlichkeit zu setzen. Für nicht wenige Linke und Intellektuelle scheint das ökologische Argumentarium denn auch ansprechend zu wirken, umgekehrt können rechte WählerInnen mit dem eigentlichen Inhalt der Initiative abgeholt werden.

Der Verein Ecopop möchte die Zuwanderung begrenzen mit der Motivation, dass ein tieferes Bevölkerungswachstum die Umwelt schonen würde. Das gegenwärtige Bevölkerungswachstum sei nicht in Einklang zu bringen mit den begrenzten Ressourcen, die der Gesellschaft in der Schweiz und weltweit zur Verfügung stünden. Die Ecopop-Initiative stellt somit direkt eine Wiederbelebung der Theorien von Thomas Malthus dar sowie von dessen moderneren Repräsentanten Paul Ehrlich. Es lohnt sich, dieser ideologischen Linie zu folgen, da nicht nur die braunen Grünen à la Ecopop an ihr zehren. Malthus ist für die gesamte grüne und bürgerliche Umweltbewegung (meist unbewusst) prägend.


Gegen Reformen

Nach der Französischen Revolution geisterten gefährliche Gedanken durch die europäische Gesellschaft: Es wurden radikale Reformen hin zu einer gerechten, egalitären Gesellschaft diskutiert. Die DenkerInnen jener Zeit gerieten in den Bann von Vorstellungen über die "Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen und der Gesellschaft". Der britische Geistliche und Ökonom Thomas Malthus stellte sich dem entgegen mit dem "Essay on the Principle of Population" von 1798. Er wollte damit beweisen, dass die Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände unmöglich sei. Den Beweis glaubte er mit seiner Bevölkerungstheorie zu liefern:

"Die Potenz der Bevölkerung ist unendlich grösser als die Fähigkeit der Erde, den Lebensunterhalt für die Menschheit zu erzeugen. Wenn sie nicht gehemmt wird, vermehrt sich die Bevölkerung in exponentieller Progression (1+2+4+8+16). Der Lebensunterhalt steigert sich nur in linearer Progression (1+2÷3+4+5). (...) Nach dem Gesetz unserer Natur, die Nahrung für das Leben des Menschen notwendig macht, müssen die Wirkungen dieser beiden ungleichen Kräfte ausgeglichen werden. Das bedeutet eine starke und ständig wirkende Kontrolle des Wachstums der Bevölkerung durch die Beschwerlichkeit der Beschaffung des Lebensunterhaltes. (...) Diese natürliche Ungleichheit der beiden Potenzen und das grosse Gesetz unserer Natur, das ständig ihre Wirkungen ausgleichen muss, bilden die grosse Schwierigkeit, die mir unüberwindlich scheint auf dem Wege der Vervollkommnungsfähigkeit der Gesellschaft."

Den Beweis für das exponentielle Bevölkerungswachstum sieht Malthus im Beispiel der USA, wo "sich die Bevölkerung innerhalb von fünfundzwanzig Jahren verdoppelt hat". Für das lineare Wachstum der Nahrungsmittelproduktion hält er es nicht nötig, einen Nachweis zu bringen.

Malthus ist Apologet des Kapitalismus. Er leugnet dessen Widersprüche allerdings nicht, sondern "erhebt diese Widersprüche brutal zum Naturgesetz und spricht sie absolut heilig", wie Rosa Luxemburg es ausdrückt. Zweck seiner Bevölkerungstheorie war letztlich die Verdeutlichung, dass Armut und Hunger naturgegeben sind und dass ihnen auf keine Weise abgeholfen werden kann. Er plädierte für die berüchtigten Arbeitshäuser, wo die Lebensbedingung für die Armen genügend hart waren, um ihrer Vermehrung Einhalt zu gebieten.


Moderner Malthusianismus

Die Bevölkerungstheorie von Malthus wurde in bürgerlichen Kreisen mit Begeisterung aufgenommen, konnte damit doch der Status quo gerechtfertigt werden. Auch zur Entstehung des Sozialdarwinismus, des ideologischen Unterbaus des Faschismus, dürfte sie beigetragen haben.

Malthus' Ideen drangen gleichfalls in die Umweltbewegung ein. Der Biologe Paul Ehrlich setzte 1968 mit seinem Buch "Die Bevölkerungsbombe" Malthus in ein ökologisches Licht: "Jedes Jahr fällt die Nahrungsmittelproduktion in unterentwickelten Ländern ein Stück weit hinter das zunehmende Bevölkerungswachstum, und die Menschen gehen ein bisschen hungriger ins Bett. Auch wenn es temporäre und lokale Umkehrungen der Tendenz gibt, scheint es nun unvermeidbar, dass sie auf ihren logischen Ausgang zusteuert: massenhafter Hungertod." Aber nicht nur fehlende Nahrung, auch die zunehmende Umweltzerstörung würde Tod und Verderben über die Menschen bringen. Das reaktionäre Gedankengut wird bei einem anderen Vertreter dieser Denkrichtung noch stärker offenbar. Der US-Ökologe Garrett Hardin greift direkt den Wohlfahrtsstaat an: "Wenn jede menschliche Familie nur von ihren eigenen Ressourcen abhängig wäre; wenn die Kinder von verschwenderischen Eltern verhungern würden; wenn dadurch eine übermässige Vermehrung selber die Fortpflanzungsfähigkeit bestraft - dann gäbe es kein öffentliches Interesse an einer Geburtenkontrolle. Unsere Gesellschaft ist aber dem Wohlfahrtsstaat verpflichtet."

Malthus' Theorie richtete sich gegen alle Versuche, die Lage der Arbeitenden zu verbessern. Die modernen Versionen haben denselben Zweck. Die RepräsentantInnen des Malthusianismus, auch Ecopop, haben gemein, dass sie die Überbevölkerung als naturgegebenes oder individuelles Problem auffassen. Die Wurzel des Problems ist aber gesellschaftlicher Natur. Die Kritik an den Motiven hinter diesen Theorien stellt noch keine Widerlegung dar. Im nächsten vorwärts werden wir deshalb versuchen, die falsche Logik dahinter ans Licht zu bringen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 37/38 - 70. Jahrgang - 31. Oktober 2014, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2014