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VORWÄRTS/1045: Statt der Armut bekämpft man die Armen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34 vom 3. Oktober 2014

Statt der Armut bekämpft man die Armen

Von Thomas Schwendener



Die SVP widmet sich einmal mehr einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen: Der Bekämpfung und Stigmatisierung der Armen. In den kommenden Monaten muss man mit koordinierten Angriffen auf die Sozialhilfe rechnen.


Vor einigen Tagen ist ein internes Arbeitspapier der SVP zur Sozialhilfe publik geworden. Das Dokument "SKOS - Grundsätze und Musteranträge" hat eine Umstrukturierung der Sozialhilfe zum Ziel. Der genaue Inhalt soll Ende Oktober in Form eines neuen Positionspapiers präsentiert werden. In den nächsten Monaten will die Partei koordiniert vorgehen, um das Regelwerk der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) aufzuweichen. Die SVP will die Sozialhilfe von den von der SKOS empfohlenen 986 Franken auf 600 Franken senken. Damit soll das aktuelle soziale Existenzminimum aufgehoben werden. Dieses sieht vor, dass die Betroffenen nicht einfach überleben, sondern auch am wirtschaftlichen und sozialen Leben teilnehmen können. Stattdessen soll künftig nur noch Nahrung, Kleidung, Behausung und medizinische Hilfe in Notlagen garantiert werden. Ein Zahnarztbesuch gehöre nicht dazu. Zudem soll die Sozialhilfe an eine generelle Arbeitspflicht gebunden werden. Diese wäre auch als gemeinnützige, durch die Gemeindebehörden zugeteilte Arbeit zu leisten. Für SozialhilfebezügerInnen gebe es schlicht keine unzumutbare Arbeit.

Die SVP treibt die Angriffe gegen die Armen auf die Spitze, aber sie steht bei weitem nicht alleine da. Ihre Vorschläge stehen ganz in der Tradition der Workfare-Politik, die in der Schweiz seit den 90ern vorherrschend geworden ist.


Die SKOS und die Kürzungen

Die angegriffene SKOS gibt empfehlende Richtlinien zur Sozialhilfe heraus, die erst rechtlich verbindlich werden durch kantonale Gesetzgebung, die kommunale Rechtsetzung und die Rechtsprechung. Heute orientieren sich alle Kantone an den SKOS-Richtlinien, wenn auch mit gewissen Besonderheiten und Abweichungen. Die SKOS ist aber bei weitem kein Bollwerk für die Armen gegen Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen und den Zugriff des Staates. Im Gegenteil: 2004 hatte die SKOS die Richtlinien für die Sozialhilfe revidiert. Diese Revision, die seit 2005 in Kraft ist, hatte eine Kürzung der Sozialgelder um etwa 10 Prozent zur Folge. Der Grundbetrag wurde von 1100 auf rund 980 Franken gekürzt. Gleichzeitig sprach man sich für Integrationszulagen zwischen 100 und 300 Franken aus. Wer spurt und sich um "Integration" bemüht, kann sein Einkommen ein wenig aufstocken. Wer hingegen die ihm auferlegten Pflichten verletzt, dem können bis zu 15 Prozent des Grundbedarfs gestrichen werden. Im Gutachten zur Legitimierung der Richtlinien-Revision kann man lesen, dass "die Sozialhilfe für nicht erwerbstätige aber als erwerbsfähig eingestufte Sozialhilfeempfänger auf ein Niveau reduziert werden sollte, das mittelfristig nicht existenzsichernd ist." Das dürfte ganz nach dem Gusto der SVP sein. Die SKOS war dem Vorstoss der SVP ohnehin voraus und hatte laut Yvonne Gilli von den Grünen St. Gallen vor einiger Zeit selber "eine Studie in Auftrag gegeben, die aufzeigen wird, wo die aktuellen Schwachstellen liegen". Was mit Schwachstellen gemeint ist, liegt auf der Hand: Zu hohe Ausgaben und zu wenig Druck für die Reintegration in den Arbeitsmarkt.


Politik des Workfare

Die letzte Revision der Sozialhilfe-Richtlinen durch die SKOS folgt ganz dem Prinzip des Workfare. Das bedeutet, dass die betroffenen Menschen durch Kürzungen, Sanktionen und Verpflichtungen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Diese Entwicklung kann man in der Schweiz seit den 90er Jahren in allen potentiell auf den Arbeitsmarkt bezogenen Hilfeleistungen feststellen, ob bei der Arbeitslosenversicherung, der Invalidenversicherung und eben der Sozialhilfe. Damit werden nicht nur die Betroffenen diszipliniert und an der kurzen Leine gehalten, es betrifft als Drohung alle, die potentiell von sozialstaatlichen Leistungen abhängig sind.

Der Widerspruch zwischen der reellen Absorptionsmöglichkeit des Arbeitsmarktes und dem Zwang zur Reintegration führt nicht etwa dazu, dass man diesen Widerspruch erkennt. Stattdessen werden die Betroffenen selbst als die Schuldigen ausgemacht, die unwillig zur Integration seien. Die Kürzungen und Sanktionen werden in der Regel von Diffamierungskampagnen begleitet, die das vorherrschende Ressentiment gegen die Armen nochmals forciert. Die SVP beherrscht die Klaviatur der Diffamierung besonders virtuos. Es dürfte kein Zufall sein, dass das Publikwerden ihres Arbeitspapiers ausgerechnet in eine Zeit fällt, in der medial gerade der Fall einer sozialhilfeabhängigen Familie in Hagenbuch ausgeschlachtet wird.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34 - 70. Jahrgang - 3. Oktober 2014, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2014