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VORWÄRTS/1006: Den Liberalen Marx erklärt - das New Yorker Jacobin-Magazin


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 28. März 2014

Den Liberalen Marx erklärt

von David Hunziker



Wenn der Marxismus eine Theorie für die Massen sein soll, muss sie sich auch popularisieren lassen. Genau das versuchen die Herausgeber des New Yorker Jacobin-Magazins. Der unorthodoxe Ansatz der Texte ist erfrischend und das Selbstvertrauen der Autoren bestechend.


Bhaskar Sunkara, Gründer und Chefredaktor des Jacobin Magazine, will verstanden werden - möglichst breit. Das Magazin besticht bereits auf den ersten Blick durch eine herausragende grafische Gestaltung und auf den zweiten durch eine zugängliche Sprache, die marxistischen Jargon weitgehend zu vermeiden sucht. Die theoretische Ausrichtung des Magazins soll dadurch aber nicht verwässert werden. In einem Interview weist Sunkara den Begriff Neomarxismus von sich, den ihm die New York Times verpasst hatte - das "neo" müsse gestrichen werden.

Dass grosse Zeitungen auf das Magazin aufmerksam wurden und es von vielgelesenen Bloggern zitiert wird, zeigt, dass marxistisches Denken in den USA, wo dieses seit jeher einen schweren Stand hatte, tatsächlich auf fruchtbaren Boden stossen kann. Mittlerweile hat das Magazin 5000 AbonnentInnen, 250.000 besuchen es monatlich online. Erwarten konnte Sunkara, der Jacobin als 21-jähriger Eliteuni-Abgänger gründete, diesen Erfolg nicht. In einem Interview sagte er, man brauche zwei Veranlagungen, um ein solches Projekt umzusetzen: die Intelligenz, es tatsächlich auszuführen, und die Dummheit zu glauben, dass es funktioniert.


Am Ende des Liberalismus

Die Stärke von Jacobin ist sein Populismus. Es wird vom Drang getragen, den Kreis der Linken wieder über die kleine Gruppe "Eingeweihter", die sich vom Mainstream des "bürgerlichen Denkens" abgrenzen, zu erweitern. Sunkara sagt, er wolle bewusst auch "liberals" im amerikanischen Sinn - das europäische Vorbild wären SozialdemokratInnen oder Sozialliberale - überzeugen. Darum versuchte er in einem Artikel von "The Nation", einer links-liberalen Wochenzeitschrift, deren LeserInnen zu erklären, wieso Marx für das 21. Jahrhundert von Bedeutung ist. In dem Artikel kommt wenig Marxologisches vor, dafür aber Argumente dafür, dass der Liberalismus an sein Ende gekommen ist.

In einer der ersten Nummern - sie trug den Titel "Liberalism is Dead" - führte Jacobin-Redaktor Mike Beggs, der in Sydney Politische Ökonomie lehrt, vor, wie in dem Magazin mit Marx umgegangen wird. Sein Beitrag trug den Titel "Zombie Marx" und richtete sich gegen ein Denken, das Marx in apologetischer Manier als Untoten behandelt; als einen, der in den 1860er Jahren einbalsamiert wurde und nun wiederbelebt wurde. Beggs argumentiert gegen die Auffassung, Marx habe ein systematisch geschlossenes Werk hinterlassen, das gegenüber der neoklassischen Ökonomie bereits durch sein Fundament einen prinzipiellen Vorteil hat. Vielmehr würden neuere ökonomische Theorien Mittel zur Lösung von Problemen bereitstellen, die Marx selber zu lösen versuchte, aus historischen Gründen aber daran scheiterte. Beggs nennt als Beispiel das Problem von Angebot und Nachfrage.

Beggs beschreibt zuerst eine Auseinandersetzung zwischen dem marxistischen Geographen und Sozialtheoretiker David Harvey und dem Ökonomieprofessor und Clinton-Berater Brad DeLong. Letzterer wirft ersterem vor, mit ökonomischen Begriffen zu hantieren, ohne wirklich Ökonomie zu betreiben; Harvey antwortet, die neoklassische Theorie bestehe bloss aus Tautologien und ein wenig zufälligem Empirismus -, man müsse sich darum gar nicht erst damit beschäftigen. Diese pauschale Kritik - auch wenn sie im Fall von DeLong nicht falsch sein müsse - lasse ausser Acht, dass sich zahlreiche Untersuchungen in Spezialgebieten der heutigen Ökonomie nicht auf einen Teil eines rein ideologischen Gebäudes reduzieren liessen.


Zwischen Fatalismus und Obama-Jubel

Das Bedürfnis auf der anderen Seite, alles auf einen 140 Jahre alten Text zurückzuführen, nennt Beggs Scholastik. Statt die Hermeneutik eines Textes ins Unendliche zu steigern, solle Marx dazu anregen, immer wieder selber über Ökonomie nachzudenken. Dabei gelte es, die zwei entscheidenden Züge der Kritik der Politischen Ökonomie im "Kapital" beizubehalten: Den Nachweis, dass die Klassengesellschaft Bedingung einer kapitalistischen Ökonomie, diese Bedingung aber historisch und nicht ewig sei.

Beim Blick nach vorn versucht Jacobin - ausgehend von der marginalisierten Position der US-Linken - pragmatisch zu sein. Im Editorial zur erwähnten Nummer bringen die Autoren das Verhalten der Linken mit dem Zustand des Liberalismus in Verbindung. Auf einer Schwächung desselben hätten Linke jeweils auf zwei Arten reagiert: Entweder hätten sie sich in der Absicht, eine möglichst "progressive" Situation beizubehalten, den Liberalen angeschlossen - so geschehen bei der Befürwortung mancher Linker für die Obama-Kampagne; oder sie seien in einer Schadenfreude gegenüber der etablierten Politik verfallen und hätten deren Niedergang genossen. Davon raten die Autoren ab: "Tanzt nicht auf dem Grab des Liberalismus. Es gibt nichts zu feiern", schreiben sie.

In der Titelgeschichte der neusten Ausgabe mit dem Titel "Alive in the Sunshine" nimmt sich Jacobin-Redaktorin Alyssa Battistoni die Umwelt vor. Die Umweltdebatte starte immer mit dem Befund, dass man mehrmals die Fläche unserer Erde bräuchte, wenn alle so leben würden, wie AmerikanerInnen (hier kann man sich Europa mitdenken). Schnell werde dann aus der Bevölkerung der reichen Länder ein Wir konstruiert, das sich nun am Riemen reissen müsse. Hier lohne sich aber ein Blick auf den Verbrauch von Reich und Arm, schreibt Battistoni.


Reiche und ihre Gase

Laut dem US Congressional Budget Office produziert das einkommensstärkste Fünftel der US-Bevölkerung dreimal so viele Treibhausgase wie das unterste. Global gesehen sind die reichsten acht Prozent der Bevölkerung für 50 Prozent der Emissionen verantwortlich. Es gelte, schreibt Battistoni, den Konsum anzugreifen, ohne dabei einem Austeritäts-Argument zu verfallen ("Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt, jetzt müssen wir alle dafür bezahlen"). Ähnliche Probleme stellen sich in der Schweiz mit der Ecopop-Initiative. Denn auch diese Initiative verkürzt die Problematik auf die Fragen nach der nationalen Umweltbilanz und gelangt schliesslich zu eugenischen Forderungen, die schön verpackt im Mäntelchen einer technischen Lösung daherkommen.

Weiter beantwortet die neuste Ausgabe die Fragen, wieso der Hollywood-Film "Gravity" eine Rückkehr zum Kino der Attraktion der 1910er Jahre darstellt; wieso Polizeigewerkschaften in den USA in der Vergangenheit nur eine reaktionäre Politik verfolgen konnten; wieso die Morales-Regierung in Bolivien daran gescheitert ist, ihre Versprechen einzuhalten; was die Rolle des Aktivisten Ibrahim Sharif im Arabischen Frühling in Bahrain so wichtig macht; oder wie genetische Daten mit sozialen Phänomenen in Verbindung gebracht werden, um daraus problematische Theorien über die Gesellschaft zusammenzubasteln. Das ist nie langweilig und meistens sehr clever.



ZAHLREICHE TEXTE FINDEN SICH AUF WWW.JACOBINMAG.COM.
EIN JAHRESABO KOSTET $ 29.95.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12/2014 - 70. Jahrgang - 28. März 2014, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2014