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VORWÄRTS/956: Wenn nicht-tödliche Waffen töten


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 31/32 vom 13. September 2013

Wenn nicht-tödliche Waffen töten

von Michi Stegmaier



Die Kantonspolizei Zürich rüstet auf. Als erstes Schweizer Polizeikorps bewaffnet der Kanton Zürich nun auch Regional- und Verkehrspolizisten mit einem sogenannten "Destabilisierungsgerät" (DSG), wie der Taser im Fachjargon beschönigend genannt wird.


Die Meinungen die Risiken von Elektroschockpistolen betreffend gehen selbst bei Fachleuten weit auseinander. So verzichteten einzelne Kantone bis jetzt gänzlich auf die Anschaffung von Tasern, da das Verletzungsrisiko als zu hoch eingestuft wird, so etwa die Kantone Neuenburg, Waadt und das Wallis. Das "UNO-Komitee gegen Folter" hat sich in einer Stellungnahme vom 23. November 2007 äusserst besorgt gezeigt über die Tatsache, dass "die Verwendung von Taser-Waffen, welche enorme Schmerzen verursachen und eine Form der Folter darstellen, unter Umständen tödlich sein können". Fakt ist, dass zwischen 2002 und 2008 alleine in den USA 334 Fälle von "Amnesty International" dokumentiert wurden, wo Betroffene nach einem Taser-Einsatz verstorben sind. Eine ziemlich stolze Zahl von Toten für eine sogenannt nicht-tödliche Waffe. Und wer je einen Stromschlag durch einen Taser erhalten hat, vergisst ihn nie mehr. Selbst Waffenexperten müssen eingestehen, dass sie noch nie so einen grossen Schmerz empfunden hätten. Kein Wunder, denn ein Taser jagt 50.000 Volt Strom durch den Körper. Die extrem hohe Spannung lähmt für einige Sekunden das Nervensystem und der Beschossene geht wie ein Kartoffelsack zu Boden. Gerade für Menschen mit einem Herzfehler, schlechter Konstitution, in einem psychischen Erregungszustand oder unter Drogeneinfluss, ist dies ein nicht zu kalkulierendes Gesundheitsrisiko.

Dass es im Kanton Zürich schon in der Vergangenheit zu umstrittenen Einsätzen von Tasern kam, belegt ein Fall, den der Tagesanzeiger in seiner Ausgabe vom 31. August aufgriff. Darin berichtet der Notfallpsychiater Martin Paris von einem aus seiner Sicht schwerwiegenden Vorfall aus dem Jahr 2006, den er bis heute nicht verdaut hat. Damals wurde eine psychisch verwirrte 66-jährige Frau, die mit einem Rüstmesser und einem kleinen Hämmerchen "bewaffnet" war, von einer Sondereinheit der Stadtpolizei mit einem Taser in ihrer Wohnung elektrogeschockt und anschliessend überwältigt. Gemäss dem Notfallpsychiater Paris ein völlig unverhältnismässiger Einsatz, denn gemäss seinen Angaben war die alte Frau so ungefährlich und harmlos wie ein Mensch nur sein kann.


Sinkende Hemmschwelle

Zwar kommt der Taser derzeit selten zum Einsatz, es wird von 5 bis 10 Fällen pro Jahr gesprochen, und es mag durchaus einzelne Fälle geben, in denen er eine sinnvolle Alternative zum Schusswaffengebrauch darstellt. Die Erfahrung aus anderen Ländern zeigt aber, dass die Hemmschwelle rasch sinkt und der Taser eben nicht nur alternativ zur Schusswaffe eingesetzt wird, sondern weit darüber hinausgehend. In der Praxis etwa wird der Taser längst auch zur Disziplinierung von Häftlingen in den US-Knästen eingesetzt und auch wenn es die hiesigen Behörden vehement bestreiten werden: Es ist zu befürchten, dass dieses Mittel auch in Schweizer Knästen zur Anwendung kommen wird, etwa bei Zwangsausschaffungen von Flüchtlingen.

Und es sind Sätze wie: "Mit der zusätzlichen Ausrüstung von einigen Frontbereichen steht das Gerät dort zur Verfügung, wo es primär auch benötigt wird. Insbesondere auch an Orten, an denen ein Schusswaffeneinsatz inmitten einer Menschenmenge nicht angezeigt ist", wie Werner Benz, Chef Kommunikationsabteilung der Kantonspolizei Zürich in der Medienmitteilung vom 31. August schreibt, welche für die Zukunft nichts Gutes ahnen lassen. Ob jetzt Gummigeschosse, Tränengas oder das gefährliche Chemiegemisch von Wasserwerfern: bei der Einführung neuer polizeilicher Instrumente waren diese anfangs immer an strenge Auflagen gekoppelt, diese wurden aber mit der Zeit sukzessiv über Bord geworfen, bis deren Einsatz immer mehr zur Normalität des polizeilichen Alltags wurde.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32/2013 - 69. Jahrgang - 13. September 2013, S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2013