Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/946: Der politische Seismograph


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.25/26 vom 5. Juli 2013

Der politische Seismograph

Von David Hunziger



Slavoj Žižek hat wieder mal ein Buch geschrieben - das kommt öfters vor. Doch "Das Jahr der gefährlichen Träume" ist kurz, politisch klar positioniert, verzichtet auf grosse anekdotische Umwege und zeigt, dass sein Autor mehr ist als ein psychoanalytischer Sprücheklopfer.


Was Žižek besonders liebt: Witze erzählen. Die besten davon stammen aus seiner Zeit im realsozialistischen Jugoslawien. Einer dieser Witze, den man sich damals über die Dissidenten erzählt habe, geht so: Wir befinden uns in der Zeit, als die Mongolen Russland besetzt hielten. Ein russisches Ehepaar geht auf einer verlassenen Strasse, als plötzlich ein mongolischer Soldat herbeireitet und zu dem Mann sagt: "Ich werde jetzt deine Frau vergewaltigen und weil der Boden so dreckig ist, wirst du dabei meine Eier halten." Der Soldat tut, was er angekündigt hat und reitet davon. Der Mann beginnt laut zu lachen. Die Frau protestiert: "Wieso lachst du. Ich wurde gerade vergewaltigt." Er antwortet: "Ich habe ihn erwischt, seine Eier sind voller Dreck."

Die Message damals: Die Dissidenten kommen sich unglaublich subversiv vor, doch ihr Beitrag ist lächerlich. So sieht Žižek auch die heutige Linke. Doch er bleibt auch kämpferisch: "Es geht darum, die Eier abzuschneiden." In diesem Vortrag - man findet Hunderte davon im Netzt, die jeweils von Tausenden angesehen wurden - beschäftigt sich Žižek mit der Frage, was es heisst, heute ein Revolutionär zu sein. Seine Antwort ist ganz einfach: Es geht darum, das Problem in der Totalität des Kapitalismus zu erkennen und ihn zu überwinden. Eine revolutionäre Situation zeichnet sich für Žižek dadurch aus, dass sie mit Problemen aufwartet, die auf dem liberalen Schritt-für-Schritt-Weg nicht lösbar sind.


Mehr Politik, weniger Populärkultur

Žižek ist überzeugt, dass wir uns einer solchen Situation nähern. In seinem neusten Buch, das unter dem Titel "Das Jahr der gefährlichen Träume" eben auf Deutsch erschienen ist, untersucht er einige Ereignisse des Jahres 2011 auf ihr emanzipatorisches Potential. Darunter der Arabische Frühling, Occupy Wallstreet und die Proteste gegen die Austerität in Europa. Das Buch stellt eher eine Ansammlung von Einzelbeobachtungen als ein zusammenhängendes Argument dar, wie es für Žižek üblich ist. Doch im Vergleich zu früheren Werken bleiben seine Ausführungen erstaunlich klar und kompakt. Auch geht es mehr um Politik und weniger um Populärkultur. Žižek ist wie ein materialistischer Seismograph: Läuft politisch mehr, werden auch seine Bücher besser.

Zum einen meint Žižek mit diesen Träumen die Gefährdung der Gesellschaft durch Orbans Ungarn oder das Breivik-Massaker, das er politische deutet. Zum andern aber auch die begrüssenswerte Gefahr für das System durch die zahlreichen Protestbewegungen. Grund zur Hoffnung gibt für ihn, dass dabei immer wieder der Kapitalismus als grundsätzliches Problem auf die Agenda gesetzt wurde. Ein Programm zur politischen Veränderung fehle jedoch meist, wofür die "Indignados" in Spanien ein Beispiel sind. In der offiziellen Erklärung der Bewegung finden sich vor allem Forderungen wie diejenige, dass das Geld nicht über die Menschen herrschen solle und die Korruption abgeschafft werden müsse. Žižeks Kommentar: Das könnte auch ein ehrlicher Faschist problemlos unterschreiben.


Nur noch die Linke kann helfen

Um eine Katastrophe zu verhindern, muss man für Žižek eh früher oder später auf die Linke zurückkommen. Selbst die Ideale der Liberalen - gleiche Rechte oder Demokratie - könnten nur noch mit Hilfe der Linken bewahrt werden. Ägypten stehe vor der Wahl zwischen Emanzipation und autoritärem Islam. Indem der Westen die Aufstände des Arabischen Frühlings jedoch auf einen Kampf um westliche Demokratie reduziere, werde das unbestreitbare emanzipatorische Potential darin überdeckt und dem autoritären Islam freie Bahn gelassen.

In ähnlicher Weise werde die Rolle der Linken in der Geschichte immer wieder marginalisiert. Das Aufkommen des fundamentalistischen Islam sei oft zusammengefallen mit dem Niedergang der radikalen Linken. Als Beispiel nennt Žižek Afghanistan: Vor der Taliban-Herrschaft habe es dort eine lebendige Zivilgesellschaft mit einer starken kommunistischen Partei gegeben. Ein anderes Beispiel: der amerikanische Bundesstaat Kansas. Nachdem die Linke in den USA dort am stärksten gewesen sei, habe sich der Staat zu einem Ursprungsort des christlichen Fundamentalismus entwickelt. Žižek hält in diesen Ereignissen die These Walter Benjamins für bestätigt, dass jeder Faschismus Zeuge sei für eine gescheiterte Revolution.


Die Angst vor der Macht überwinden

Seine enorme Präsenz in der Öffentlichkeit und manche seiner Positionen bringen Žižek auch das Misstrauen vieler Linken ein. Dazu gehört etwa seine Unterstützung des griechischen Parteienbündnisses SYRIZA. Weil er eine Partei unterstützt, obwohl dieser derzeit die Mittel fehlen, den Kapitalismus abzuschaffen, wird Žižek gern als Sozialdemokrat beschimpft. Eine Erklärung dafür liefert er gleich selbst: Die Linke habe sich immer gefallen in der Rolle des negativen Propheten - die besten Bücher radikaler Linker seien normalerweise solche über das Scheitern. Das möge er an Alexis Tsipras, dass er auch als Linker keine Angst vor der Macht habe und einen politischen Eingriff versuche.

Wenn diese Angst nicht überwunden werde, bleibe es beim blossen Protest. Es komme aber auf den "Tag danach" an, wie Žižek gern betont, auf den mühsamen Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung: "Der Kommunismus ist nicht nur oder vor allem ein Karneval des Massenprotestes, der das System anzuhalten versucht", schreibt Žižek, "er ist auch und vor allem eine neue Form der Organisation, Disziplin, und harte Arbeit." Für Žižek gilt es, die "Zeichen der Zukunft" zu lesen: die limitierten, verzerrten Fragmente einer utopischen Zukunft, die als schlummerndes Potential in der Gegenwart angelegt ist.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26 - 69. Jahrgang - 5. Juli 2013, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2013