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VORWÄRTS/910: Auf zum "Berner Frühling"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 11/12 vom 29. März 2013

Auf zum "Berner Frühling"

von der Gruppe "Keine Lager"



Eine Gruppe namens "Keine Lager" formierte Anfang des Jahres mit zwei direkten Aktionen in Bern die Speerspitze des Widerstands gegen das herrschende Asylregime. Ebenfalls in Bern mobilisierte das Bleiberecht-Kollektiv am Tag des Frühlingsbeginns hunderte von Menschen auf dem Bundesplatz, um gegen das mörderische Migrationsregime Europas zu protestieren. Für den 4. Mai 2013 ist bereits die nächste Mobilisierung geplant.


Vor gut zwei Jahren entstanden im Zuge des "Arabischen Frühlings" selbstermächtigte Bewegungen für "Brot, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit, die die autoritären Regimes in Ägypten und Tunesien stürzten. Zur gleichen Zeit keimte in der Schweiz nicht etwa eine solidarische Haltung gegenüber diesen Bewegungen auf, sondern ein rassistischer Diskurs, ähnlich wie der während der kolonialen Zeit in Nordafrika. Der "Nordafrikaner" wird in der Schweiz als eine undankbare, kriminelle und gewalttätige Menschenrasse konstruiert. An einer Pressekonferenz reproduziert der oberste Chef der PolizeidirektorInnen Hans-Jürg Käser diesen rassistischen Stereotyp, indem er beschreibt, wie nordafrikanische Asylbewerber mehrfach in Supermärkte spaziert sind, den Wagen gefüllt haben und mit den Waren verschwunden sind.

Nicht gesagt wurde, dass seit den 1970er Jahren eine intensivere Globalisierung der Produktion und des Handels stattfindet: Märkte werden liberalisiert und grosse Teile der westlichen Industrie in ehemals kolonialisierte Niedriglohnländer verlagert. Damit sind Landenteignungen von Millionen subsistenzwirtschaftender LandwirtInnen sowie die Zerstörung lokaler Märkte und Sozialstrukturen verbunden. Es stellt sich also die Frage, wer in welche "Supermärkte" spaziert und wer mit wessen "Waren" verschwindet. In Anbetracht dieser massiven Ausbeutung lässt sich jede Migration aus dem ausgebeuteten Süden und jeder damit verbundene "kriminelle Akt" als Akt des Widerstands gegen die beschriebenen postkolonialen Machtverhältnisse deuten.


Hunderte AntirassistInnen protestieren gegen Asylregime

Um die postkolonialen Machtverhältnisse aufrechtzuhalten, schottet sich Europa migrationspolitisch gegenüber dem Süden ab. Auch die Schweiz trägt ihren Teil dazu bei: Mit jährlich 9 Millionen Euro finanziert sie die Militarisierung der EU-Aussengrenze durch Frontex-Einsätze mit. Im Versuch, die postkolonialen Strukturen aufzubrechen, starben laut UNHCR allein im Jahre 2011 über 1500 Flüchtlinge im Mittelmeer. Am 21. März 2013, dem Frühlingsbeginn, versammelten sich Hunderte auf dem Bundesplatz, um Solidarität aufleben zu lassen, indem sie sich tot auf den Boden legten und damit an die Sterbenden im Mittelmeer zu erinnern.

Diese beträchtliche Mobilisierung innerhalb kurzer Zeit birgt einen Keim der Hoffnung, dass dem Asylregime in Zukunft Widerstand im grösseren Ausmasse blühen könnte. Denn das Asylregime stellt neben der Aufrüstung der Grenzen eine weitere Strategie der Schweiz dar, die aktuellen postkolonialen Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. An der eingangs erwähnten Pressekonferenz erklärt PolizeidirektorInnen-Chef Käser, die "Nordafrikaner" mit Hilfe der Beschleunigung der Verfahren und die damit verbundenen Bundeslager zu bekämpfen. Offizielles Ziel der Lagerpolitik lautet: "Um die Attraktivität der Schweiz als Zielland von Asylsuchenden zu senken, ist es notwendig, die Verfahrensabläufe zu beschleunigen und effizienter auszugestalten. Die Bundeslager stellen das Kernstück dieser Beschleunigung dar.


Widerstand gegen Asylregime und Lagerpolitik

Die Lagerpolitik nahm an der Asylkonferenz am 19. Januar 2013 schärfere Konturen an. Dort einigten sich VertreterInnen von Bund und Kantonen auf Eckwerte einer neuen Ära von Lagerpolitik: Asylsuchende, BFM, Rechtsvertretung, Rückkehrhilfe, Dokumentenprüfende, Polizei, Pflegepersonal usw. werden am gleichen Ort konzentriert. Hierzu werden in der Umgebung der fünf Empfangszentren je vier Lager an bis zu 400 Plätzen und zu den 430 bestehenden Haftplätzen weitere 700 für Ausschaffungs- oder Beugehaft geschaffen. Die neuen Bundeslager gehen mit einer massiven Erhöhung des Sicherheits- und Repressionsapparates einher.

Eine anonyme Gruppe rief unter dem Namen "Keine Lager" zu einer Blockade der Asylkonferenz auf. Die Aktion erinnert die anwesenden VertreterInnen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), UNHCR und weitere Menschenrechtsorganisationen im Saal, dass sie mit der Strategie des Dialogs und der kleinen Schritte die Lagerpolitik mitverwalten.


"Berner Frühling": Widerstand von unten

Auch beim Referendum gegen die jüngsten Asylgesetzverschärfungen verwehrten die grossen, institutionalisierten Player (wie die SFH und die SP) jegliche Unterstützung. Im Gegenteil: Sie unterstützten sogar grösstenteils die von Bundesrätin Sommaruga vorgegebene Stossrichtung im Asylregime, nehmen damit unter anderem die Streichung der Botschaftsverfahren in Kauf und schicken so noch mehr Menschen in den Tod im Mittelmeer. Der Widerstand muss also wieder von dort kommen, von wo er am stärksten ist, nämlich von unten. Denn das Referendum ist für uns kein Endziel, sondern nur ein Instrument gegen die massiven Verschlechterungen der Lebensbedingungen und ein Zwischenschritt in der Emanzipation aller MigrantInnen.

Auf die "demokratischen Institutionen" war noch nie Verlass, deshalb gehört der Widerstand auf die Strasse: Kommt am 4. Mai 2013 um 14 Uhr nach Bern (Treffpunkt Hirschengraben), um gegen den Hochfeld-Bunker und die herrschende Lagerpolitik zu demonstrieren. Denn: Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht! Lasst uns von den mutigen WiderstandskämpferInnen im arabischen Raum inspirieren. Höchste Zeit, auch bei uns einen "Berner Frühling" gegen das herrschende Asylregime zu erleben!

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 11/12/2013 - 69. Jahrgang - 29. März 2013 , S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2013