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VORWÄRTS/880: Refugee Protest Camp Vienna


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 47/48 vom 21. Dezember 2012

Refugee Protest Camp Vienna

von Michi Stegmaier



Auch in Österreich gehen derzeit Flüchtlinge auf die Strasse und es formiert sich Widerstand. Am 24. November marschierten 200 Flüchtlinge und UnterstützerInnen nach Wien. Ausgangspunkt war das stark in der Kritik stehende Erstlager in Traiskirchen. Am Abend nach dem Marsch wurde im Sigmund-Freud-Park ein Zeltlager errichtet.


Schon Wochen bevor sich die Asylsuchenden in Traiskirchen auf den 35 Kilometer langen Marsch in die Hauptstadt Wien begaben, kam es mehrfach zu spontanen Protesten gegen die prekäre Wohnsituation und unwürdige Behandlung durch die österreichischen Behörden. Gerade das Erstaufnahmelager Traiskirchen ist in der Vergangenheit immer wieder in die Kritik von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen geraten. Die Proteste der Lagerinsassen richteten sich gegen die katastrophale Wohnsituation, welche allgemein als untragbar gilt. Aber auch die als unfair empfundenen Asylverfahren sowie der generell respektlose Umgang mit Flüchtlingen in Österreich brachten das Fass zum Überlaufen. Bereits am 16. November protestierten die BewohnerInnen des Lagers Traiskirchen gegen die gängige Praxis, Asylsuchende in den entlegensten Winkeln von Österreich unterzubringen. Vom 12. Oktober bis 14. Oktober hatten vor allem somalische Flüchtlinge in Wien vor dem Parlament ein Camp eingerichtet und während 50 Stunden für ihre Rechte als Bürgerkriegsflüchtlinge demonstriert.


"We demand our rights"

Als die österreichischen Behörden keine Anstalten machten, den Betroffenen Gehör zu schenken, geschweige denn an der unhaltbaren und unmenschlichen Situation im Lager Traiskirchen etwas zu verändern, entschlossen sich die Flüchtlinge zu einem Protestmarsch nach Wien. Und während die Flüchtlinge mit der Parole "we demand our rights - wir fordern unsere Rechte" lautstark und mit viel Power nach Wien zogen, fanden die Proteste plötzlich in den österreichischen Medien ungeahnte Aufmerksamkeit. Dass die Berichterstattung jedoch nicht ohne rassistische und hysterische Nebentöne auskam, versteht sich von selbst. Offenbar hatten die Flüchtlinge mit ihrer Forderung nach mehr Rechten und Menschlichkeit einen wunden Punkt in der österreichischen Volksseele getroffen; so musste etwa das Boulevardblatt "Krone" wegen den unzähligen, gehässigen und rassistischen Kommentaren ihr online-Forum schliessen. "Flüchtlinge und Asylsuchende sind weder Idioten noch AnalphabetInnen, die ihre Rechte nicht kennen, oder nicht erkennen, wenn ihre Rechte verletzt werden. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die EuropäerInnen immer noch nicht erkennen, wie weit sich die gesamte Welt vorwärts bewegt", äussert sich Clifford Aghator, einer der Sprecher, gegenüber der medialen Hetzkampagne zum "Refugee Protest Camp Vienna".


Viel Dynamik trotz Repression

Schon im Vorfeld des Marsches versuchten die Lagerleitung sowie die Behörden die protestwilligen Flüchtlinge einzuschüchtern. So wurde der Marsch am 24. November in Wien von einem völlig überzogenen Grossaufgebot der Polizei empfangen und die anschliessende Demo erinnerte teilweise eher an einen Wanderkessel. Auch wurde die Präsenzkontrolle im Lager Traiskirchen verschärft. Das Innenministerium versicherte zwar, dass es keine negativen Konsequenzen hätte, für die eigenen Rechte auf die Strasse zu gehen. Doch trotz dieser Zusicherung wurden die Anwesenheitskontrollen im Lager intensiviert. Dies kann zur Folge haben, dass Asylsuchenden, die nicht im Lager sind, die Grundversorgung entzogen wird. Gerade die Reaktion der Lagerleitung in Traiskirchen sowie die heuchlerische Empörung vieler ÖsterreicherInnen zeigen exemplarisch, wie legitim die Flüchtlingsproteste sind und mit welcher Respektlosigkeit und Willkür sie tagtäglich konfrontiert sind. Bis auf weiteres soll trotz klirrender Kälte gecampt und protestiert werden, auch wenn die Aussichten auf Erfolg - ganz zur Jahreszeit passend - eisig sind. Der Marsch selbst sowie das Camp haben aber auch viele österreichische AktivistInnen beeindruckt und die widerständischen und unerwünschten Flüchtlinge erfahren viel SolidarItät. "Der Marsch war ein grandioser Ausdruck von migrantischer Selbstorganisation und die bei weitem lautstärkste, kämpferischste und dynamischste Demo der letzten Zeit in Wien", meinte eine österreichische Aktivistin sichtlich beeindruckt.

Mehr Infos und Blog zum Wiener Protestcamp:
www.refugeecampvienna.noblogs.org


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Zur aktuellen Entwicklung der Flüchtlingsproteste in Wien siehe im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Bürger und Gesellschaft → Redaktion → Meldung

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 47/48/2012 - 68. Jahrgang - 21. Dezember 2012, S. 15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2013