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VORWÄRTS/837: Steht das älteste Alternativradio der Schweiz vor dem Aus?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.25/26 vom 22. Juni 2012

Steht das älteste Alternativradio der Schweiz vor dem Aus?

Von Siro Torresan



Beim Züricher Lokalsender Radio LoRa tobt ein Streit zwischen der Stiftung und dem Verein, der grosse Fragezeichen bezüglich der Zukunft des basisdemokratischen Alternativradios setzt. Der ganzen Betriebsgruppe wurde gekündigt. Die Fronten sind verhärtet.


Radio LoRa besteht aus der gemeinnützigen Stiftung "Alternatives Lokal-Radio Zürich" (ALR) und dem Verein "Radio LoRa - Alternatives Lokalradio Zürich" mit mehr als 1000 Mitgliedern. Die Stiftung ist Inhaberin der Studios samt den Geräten und der Konzession, sprich der Sendebewilligung. Sie erhält daher nach eigenen Angaben in ihrer Stellungnahme vom 12. Juni, welche dem vorwärts vorliegt, "pro Jahr rund 329.000 Franken aus dem Gebühren-Splitting" vom Bundesamt für Kommunikation (BAKOM). Das Geld wird in "vierteljährlichen Raten von knapp 68.000 Franken" jeweils zu Beginn des Quartals überwiesen, wenn "die Fortführung des Betriebs gewährleistet ist", wie die Stiftung weiter schreibt. Der Verein ist seinerseits Träger des Betriebs. Er organisiert sich über "die gewählten Gremien Sendekommission (zuständig für alle Programmfragen) und Vorstand (Personal, Finanzen)", wie auf www.lora.ch nachzulesen ist. Der Verein beschäftigt zurzeit acht Personen mit einem Teilzeitpensum zwischen 40 und 60 Stellenprozenten. Diese Betriebsgruppe vereinigt total 440 Stellenprozent, um die Infrastruktur für etwa 340 freiwillige Sendungsmachende bereitzustellen.


Ein Konkurs bedeutet das Ende

Der Konflikt zwischen dem Verein und der Stiftung hat Ende Mai einen Höhepunkt erreicht. "Am Mittwoch, den 30. Mai 2012 haben alle Mitglieder der Betriebsgruppe von Radio LoRa die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses erhalten", informiert die Betriebsgruppe am 1. Juni auf ihrer Homepage und fügt hinzu: "In Anbetracht der finanziellen Unsicherheit und der knappen Mittel des Vereins Radio LoRa sieht sich der Vorstand gezwungen, zum Schutz des Vereins der Betriebsgruppe zu kündigen". Laut der Betriebsgruppe und somit auch des Vereins, weigert sich "die Stiftung ALR (Alternatives Lokalradio), uns, dem Verein Radio LoRa, das vertraglich zustehende und wiederholt versprochene Geld aus den Gebühren-Splitt-Geldern des BAKOM regelmässig und in voller Höhe zu überweisen". Gelder, die "ausdrücklich für den Betrieb eines alternativen Radios vorgesehen" seien und mit denen auch die Löhne der Betriebsgruppe bezahlt werden müssten. Ein Konkurs des Vereins würde bedeuten, dass "der Betrieb des ältesten alternativen Radios der Schweiz nicht mehr aufrechterhalten werden könnte". Natürlich sitzt der Frust bei der engagierten Betriebsgruppe tief: "Wir sind traurig, enttäuscht, wütend und fassungslos ob der anhaltenden Destruktivität, welche die Stiftung weiterhin an den Tag legt (...)".


Im schlechten Licht?

Wie extrem verhärtet die Fronten sind, zeigt die Reaktion der Stiftung in ihrer Stellungnahme vom 12. Juni: "Unserer Meinung nach wären diese Kündigungen keineswegs nötig gewesen. Wir halten sie viel mehr für den Versuch, moralischen Druck auf uns auszuüben und den Stiftungsrat in ein schlechtes Licht zu rücken. Wir wünschen uns eine Versachlichung der Debatte und wollen versuchen, mit dieser Stellungnahme dazu beizutragen". Die Stiftung bezieht auch Position zu den Zahlungen der Gebührengelder: "Die Januarrate haben wir normal überwiesen, noch aufgrund der alten Vereinbarung". Die Monatsraten für Februar und März wurden nicht überwiesen. Dies weil die Stiftung damals eine Überschlagsrechnung machte und dabei laut ihrer Aussage feststellte, dass "wir im 2011 dem Verein mutmasslich etwa 40.000 Franken zu viel überwiesen hatten. Wir betrachteten daher die nicht bezahlten Raten bis zum Abschluss der Jahresrechnung als Ausgleich für diesen angenommenen Überschuss des Vereins". Ob dies dem Verein mitgeteilt wurde, wird aus der Stellungnahme nicht ersichtlich. Festgehalten wird von der Stiftung weiter, dass ab April die Zahlungen wieder erfolgten. Dies in "verminderter Höhe, also nicht mehr 20.000 pro Monat, sondern 15.000 für den April und 16.700 für den Mai".


Angriff auf Kultur und Geschichte?

Politischer Hintergrund des Konflikts ist ein Vorschlag für eine Strukturreform, der von der Stiftung im letzten Herbst gemacht wurde. Dieser sah die Einführung einer Geschäftsleiterin/eines Geschäftsleiters sowie die Streichung der Frauenstelle und der Stellen, die für die Betreuung der Sendungsmachenden zuständig sind, vor. Vorschläge, die durchaus als Angriff gegen die basisdemokratische Struktur und somit gegen die Kultur und Geschichte des Alternativradios verstanden werden können. Sie wurden dann auch an der ausserordentlichen Generalversammlung des Vereins im Dezember 2011 klar und deutlich vom Tisch gefegt. Dazu schreibt die Stiftung: "Wir haben diese politische Niederlage ungern, aber klar angenommen. Für uns sind seither Strukturänderungen kein Thema mehr". Die Betriebsgruppe sieht das anders. Auf Anfrage des vorwärts hält sie fest: "Seit letztem Herbst kämpfen wir gegen die Umstrukturierungspläne des Stiftungsrats, dafür dass das LoRa basisdemokratisch bleibt, mit einer unabhängigen Frauenstelle, mit einer Infrastruktur, die es Sendungsmachenden ohne grosse technische Vorkenntnisse ermöglicht, Radio zu machen". Sie fügt hinzu: "Inzwischen hat der Stiftungsrat offiziell von seinem Geschäftsführerlnnen-Plan abgesehen. Dennoch hören die Angriffe nicht auf. Wir erwarten und wünschen uns in diesem Kampf allgemein breitere Unterstützung der linken Szene in Zürich".

Die Frage, wie es mit LoRa weitergeht, bleibt offen. Die Stiftung setzt "nach wie vor auf die Schlichtung". Sie ist der Meinung, dass "nur durch Gespräche die verfahrene Situation bereinigt und neue Wege der Zusammenarbeit" gefunden werden könnten.

Auch die Betriebsgruppe setzt auf eine Schlichtung, wie sie auf Anfrage bestätigt. Gleichzeitig wurde die Stiftungsaufsicht eingeschaltet und mit dem Betreibungsamt auch der juristische Weg eingeschlagen. Die Betriebsgruppe will auf jeden Fall versuchen, das Radio "in der jetzigen Form weiter zu betreiben". Jedoch sei nicht absehbar, wie lange "die Angriffe weiter andauern werden". Sie unterstreicht die grosse Arbeit des Vorstands und hält zudem fest: "Es ist notwendig, dass sich das Radio LoRa unabhängiger macht. Dafür braucht LoRa mehr Mitglieder - jeder Beitrag zählt - und politisches Engagement der Leute für ihr linkes Radio in Zürich".


In der nächsten Ausgabe des vorwärts wird der Stiftung und dem Verein je eine halbe Seite zur Verfügung gestellt, um ihre Sichtweise ausführlicher darzulegen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26/2012 - 68. Jahrgang - 22. Juni 2012, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2012