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VORWÄRTS/833: Schlag gegen den bürgerlich-liberalen Feminismus


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 23/24 vom 8. Juni 2012

Schlag gegen den bürgerlich-liberalen Feminismus

von David Hunziger



Die Unterdrückung der Frauen wird mit der Verwertung ihrer Körper durch das Kapital endlos gefördert. Nur so lässt sich verstehen, wieso Sexismus wieder Konjunktur hat. "Fleischmarkt", eine politische Kampfschrift der 25-jährigen Journalistin Laune Penny, weist uns darauf hin.


Vor zwölf Jahren schrieb die britische Journalistin und Feministin Natasha Walter ein Buch mit dem Titel "The New Feminism". Für das optimistische Bild, das Walter von einer Generation junger, selbstbestimmter und emanzipierter Frauen zeichnete, wurde sie von radikaleren Feministinnen hart angegriffen. Germaine Greer etwa bezeichnete Walter treffend als Lifestyle-Feministin. Vor zwei Jahren hat Walter ein weiteres Buch geschrieben. Es trägt den Titel "Living Dolls: The Return of Sexism", der den Sinneswandel der Autorin bereits verrät. Dass Mädchen am liebsten sein wollen wie die Puppen, mit denen sie spielen, hat Simone de Beauvoir bereits 1949 festgestellt. Was war geschehen, dass Walter über sechzig Jahre später wieder zum gleichen Schluss kommt?


Die regressive Kultur

In "The New Feminism" argumentierte Walter noch dafür, dass sich der Feminismus in Zukunft nur noch auf politische, soziale und ökonomische Ziele konzentrieren solle. Dann wurde ihre Tochter geboren. Sie sei schockiert gewesen, erzählt sie der englischen Zeitung "Guardian", über diese "Sintflut von Pink", die sich über heranwachsende Mädchen ergiesst und ihnen den Wunsch einimpft, Prinzessin zu werden. Also wendete sich Walter in "Living Dolls" der regressiven Kultur zu, in der Mädchen "lieber hübsch als intelligent" sein wollen und in der immer mehr Hirnforscher zu zeigen versuchen, wie das alles in unserer unveränderbaren Natur liegt. Etwas stimmt nicht. Zu diesem Schluss kommen auch bürgerliche Medien immer wieder. Ein Redakteur der FAZ, der Walters Buch bespricht, wendet sich der Sendung "Germany's Next Topmodel" zu und nennt sie ein "Frauenquälen für die ganze Familie". In einem ausführlichen Hintergrundartikel fragt sich eine ZEIT-Redakteurin, ob all die Frauen, die sich für angeblich selbstbestimmte Zwecke öffentlich ausziehen, etwa die ukrainische "Feministinnen"-Gruppe "Fernen", die Kontrolle über ihre Körper hätten. Nein, sagt sie. "Eine Frau, die sich auszieht, glaubt, mächtig zu sein." Doch die Bilder "reissen die Frauen mit - in einen Strom, dessen Ziel sie nicht bestimmen."


Gesellschaftskritischer Feminismus

Doch mit einem Befund dieser Art endet es meist. Was fehlt, ist eine radikal gesellschaftskritische Position. Möglich wäre das schon, wie die 25-jährige Laune Penny, Bloggerin, Journalistin und selbsterklärte Feministin und Sozialistin, zeigt. Ihr kleines Buch "Fleischmarkt, weibliche Körper im Kapitalismus", ist kürzlich auf Deutsch erschienen.

Das Buch ist eher eine politische Kampfschrift als eine präzise wissenschaftliche Abhandlung. Mit Begriffen wie "Dialektik" oder "Verdinglichung" wirft die Autorin munter um sich. Für den teils wunderbar aggressiven Stil nimmt man das gern in Kauf. "Fleischmarkt" ist auch Ausdruck persönlicher Betroffenheit, zumal die Autorin selbst an Magersucht litt, die in einem Kapitel abgehandelt wird. Penny bietet zuerst einmal eine interessante Analyse, wenn sie aufzeigt, wie der weibliche Körper im Spätkapitalismus durch das Kapital kontrolliert und die Frau dadurch entmachtet wird. Sie tritt dabei in die theoretischen Fussstapfen der Feministin Shulamith Firestone, die in den Siebzigerjahren eine auf Marx und Engels basierende materialistische Perspektive auf das Geschlecht entwickelte. Natasha Walters Revision ihrer optimistischen Position oder die vielfach auftretende Rede von der "Rückkehr des Sexismus" zeigen, dass man mittlerweile keine Marxistin mehr sein muss, um den Mangel eines bürgerlich-liberalen Feminismus zu erkennen. Penny schlägt genau in diese Kerbe.


Körper als Ware

Heutige Gesellschaften kultivieren einen Widerspruch: In nie dagewesenem Mass wird Nacktheit einerseits medial inszeniert, andererseits in Form eines neuen Puritanismus verurteilt. Konservative wie linke AutorInnen sind entsetzt über weibliche Promiskuität. Sie beklagen den Wertezerfall, etwa am Fall von Teenager-Schwangerschaften. Englische Boulevardblätter nutzen dies gleichzeitig, um untere Klassen zu diffamieren.

Diese mediale Sexualisierung entspricht nicht einem zusätzlichen Verlangen nach Sex: "Was uns umgibt", betont Penny, "ist nicht Sex an sich, sondern die Illusion von Sex, [...] die so steril wie unbarmherzig ist." Dabei handle es sich, im Sinne des französischen Philosophen Jean Baudrillard, um den erotisierten Körper, der als Ware getauscht werden kann. Die Verdrängung persönlicher sexueller Bedürfnisse und die damit verbundene Verknappung des sexuellen Angebots geht einher mit der Lektion, dass in unserer Gesellschaft nur eines zählt: erotisches Kapital. Dieses Kapital zu erlangen, ist harte Arbeit.


Für eine revolutionäre feministische Bewegung

Der Kapitalismus habe eine "Abscheu vor dem weiblichen Fleisch entwickelt", weil dieses sich der Verwertbarkeit als erotisches Kapital entzieht. Indem die Frauen von den "Produktionsmitteln der sexuellen Arbeit und Reproduktion" entfremdet sind, lassen sie sich in einem ganz ökonomischen Sinn ausbeuten, bis aufs Äusserste zugespitzt in der Prostitution. Sie ist zwar zum "ganz normalen Wirtschaftszweig" geworden, gesteht ihren Arbeiterinnen aber weiterhin nur marginale Rechte zu.

Penny verlangt eine revolutionäre feministische Bewegung. Dazu gehört für sie etwa die Anerkennung der Magersucht als gesellschaftliches und nicht individuelles Problem, die Forderung nach Arbeitsrechten für Sexarbeiterinnen, die Integration der Transbewegung oder die Verweigerung der Hausarbeit. Der Teil über die Hausarbeit ist analytisch der stärkste, in seiner Schlussfolgerung aber der schwächste: Penny verweist auf die Arbeiten der Historikerinnen Leonore Davidoff und Catherine Hall, die aufzeigen, wie der aufkommende Kapitalismus zwischen 1780 und 1850 die Arbeitsteilung zwischen Mann (bezahlte Produktion) und Frau (unbezahlte Reproduktion) bedingte. Die Hausfrau ist eine unterdrückte Arbeiterin, ihre Befreiung beginnt mit einem Arbeitskampf. Schade nur, dass Penny zum Schluss suggeriert, die Lösung liege im Goodwill des europäischen Mittelstands-Manns, der seiner Mittelstands-Frau die Anstellung einer Putzkraft erspart.


LAURIE PENNY: FLEISCHMARKT. WEIBLICHE KÖRPER IM KAPITALISMUS. NAUTILUS 2012.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24/2012 - 68. Jahrgang - 8. Juni 2012, S. 12
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2012