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VORWÄRTS/827: Widerstand gegen Massenentlassung bei Merck Serono


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.21/22 vom 25. Mai 2012

Widerstand gegen Massenentlassung bei Merck Serono



mau. In Genf kündigt der biotechnische Konzern Merck Serono Betriebsschliessung und Massenentlassung an. Die Belegschaft organisiert sich vorbildlich. Ob die Mobilisierung jedoch weit genug geht, um die Arbeitsplätze zu retten, bleibt offen.


Mit der jüngsten Betriebsschliessung und Entlassungswelle in Genf wiederholt sich eine unerfreuliche Geschichte: Merck, global Player in der biotechnischen Produktion, übernimmt 2006 von Serono die Produktionsstätte in Genf. Es entsteht Merck Serono. Der Kanton Genf verspricht dem Unternehmen Steuererleichterungen. Das Unternehmen schliesst jedoch weder einen Gesamtarbeitsvertrag mit den Gewerkschaften ab, noch gibt es Garantien für die Jobs. Am 24. April 2012 dann die Ankündigung: Merck Serono restrukturiert den Standort Schweiz. 1250 Beschäftigte werden in Genf entlassen, 80 weitere beim Zuliefererbetrieb in Waadt. Dazu kommen noch weitere 200 Beschäftigte von Subunternehmen, die direkt mit Merck Serono verbunden sind. Kurz zuvor wird bekannt, dass die Dividenden um 20 Prozent erhöht werden. Kennen wir das nicht schon von der Karton Deisswil, von Clariant in Muttenz, von der Sappi in Biberist?

Zwei Tage nach der Meldung verteilt die Gewerkschaft Unia ein Flugblatt vor den Betriebstoren von Merck Serono. Keine Gewerkschaft ist im Betrieb verankert. Die Belegschaft hat keine gewerkschaftliche Tradition. Dem Aufruf der Unia, sich in einer Versammlung kollektiv über mögliche Widerstandsformen auszutauschen, folgten trotzdem über 400 Beschäftigte. Die Unia erhält ein offizielles Verhandlungsmandat. Gleichzeitig werden eine Personaldelegation und ein Aktionskomitee gebildet. Die Forderungen: Merck Serono müsse die Konsultationsfrist verlängern, um eine tatsächliche Erarbeitung von Alternativen zuzulassen, und Gewerkschaften und Beschäftigten alle nötigen Informationen liefern, "um die Konsultation unter den besten Bedingungen zu führen". In der Zwischenzeit organisieren sich auch die Merck Serono-Beschäftigten im Kanton Waadt.


Der Widerstand organisiert sich

Der 1. Mai, der in den meisten Städten eher einer Propagandaplattform für Gewerkschaftsfunktionäre und ParteipolitikerInnen geglichen hat, erhält in Genf eine wirkliche Bedeutung. 600 von Entlassung bedrohte Beschäftigte beteiligen sich an der Grossdemo. Es ist ihr erster öffentlicher und kollektiver Auftritt. Dieser hat die Mobilisierung gestärkt. Drei Tage später findet die nächste Versammlung statt, an der sich 650 Beschäftige beteiligen. Sie entscheiden, täglich zwischen 10.00 und 10.30 Uhr einen Protestposten zu stellen. Zudem wird für den 10. Mai zu einer Kundgebung vor dem Genfer Grossrat aufgerufen. Eine Online-Petition soll eine breite Solidaritätswelle auslösen. Die Unia ruft gleichzeitig Bundesrat Schneider-Ammann dazu auf, sich deutlich auf die Seite der Beschäftigten zu stellen und einen Runden Tisch mit den drei Parteien zu organisieren.

Merck Serono reagiert nicht. Weder nimmt es die Entlassungen zurück, noch garantiert es eine Verlängerung der Konsultationsfrist. Es wird einzig ein Gespräch mit Gewerkschaften und Personaldelegation organisiert, konkrete Resultate bleiben aber aus. Die 600 Beschäftigten, die sich an einer dritten Versammlung organisieren, formulieren somit eine Streikdrohung: Wird die Leitung die Konsultationsfrist bis zum 14. Mai nicht verlängern, wird ab dem 15. Mai gestreikt. Tatsächlich lenkt Merck Serono ein: Die Frist wird um drei Wochen verlängert, der Streik vorübergehend sistiert. Am 21. Mai soll eine nächste Versammlung über neue Kampfmassnahmen entscheiden.


Wiederholt sich die Geschichte?

Die Mobilisierung der Beschäftigten und der Gewerkschaft Unia hat zu einem vorbildlich organisierten Widerstand gegen Betriebsschliessung und Entlassungen geführt. Doch auch bei der Karton Deisswil wurde im 2010 an den Bundesrat appelliert, sich für die Arbeitsplätze einzusetzen. Auch bei der Sappi in Biberist wurde 2011 die Unia in die Verhandlungen integriert. Auch bei Clariant in Muttenz wurde 2009 auf die Konsultationsphase gepocht. Resultat: Betriebsschliessung und Massenentlassungen. Es braucht heute einen Bruch mit der gewerkschaftlichen Konzertationspolitik und die Überzeugung, dass nur durch kämpferische Widerstandsbewegungen Arbeitsplätze gerettet und Betriebe erhalten werden können. Dazu gehören Streiks und Betriebsbesetzungen. Von Staat und Kapital ist auch in der Schweiz nichts zu erwarten.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22/2012 - 68. Jahrgang - 25. Mai 2012, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012