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VORWÄRTS/814: Sozialistische Erziehung? Let's do it!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.15/16 vom 6. April 2012

Sozialistische Erziehung? Let's do it!

Von Rote Falken Bern



In Zürich wurde 2009 ein Platz nach Anny Klawa-Morf benannt. Die wieder gegründete Berner Falkengruppe veranstaltet ihr erstes Frühlingslager im "Hüsi" in Belp, das von der 1993 verstorbenen Frauenrechtlerin und Sozialistin mit gebaut wurde.


Platzbenennung im Zürcher Arbeiterquartier Aussersihl, Wiedergründung und gleich ein erstes Frühlingscamp in Bern an einem historischen Ort: Gründe genug, um sich mit dem bewegten Leben und den Ideen von Anny Klawa-Morf, der Gründerin der "Roten Falken" in der Schweiz, zu befassen. Und sich gleichzeitig wieder vor Augen zu führen, wie wichtig und aktuell emanzipatorische Erziehungsansätze auch heute noch sind.


Anny Klawa-Morf: Sozialistin, Frauenrechtlerin...

Anny Klawa-Morf (1894-1993) wuchs als Tochter eines Arbeiters und einer Heimarbeiterin in Basel und Zürich auf. Ihr Vater war Alkoholiker, so musste sie schon im Alter von sieben Jahren ihre Mutter bei der Heimarbeit unterstützen, damit die Familie durchkam. Klawa-Morfs Vater beteiligte sich 1906 am Albisrieder-Streik und verlor deshalb seine Arbeit und die werkeigene Wohnung. Anny schloss die Schule mit 14 Jahren ab und wurde Textilarbeiterin in Höngg sowie Mitglied der Gewerkschaft der TextilarbeiterInnen und der Sozialdemokratischen Partei. 1912 organisierte sie den Generalstreik in Zürich mit. Gleichzeitig machte sie Bekanntschaft mit Persönlichkeiten wie Sinowjew, Rosa Luxemburg, Radek, Lenin und dessen Frau Nadeschka Krupskaja. Sie nahm sich der Aufgabe an, für die Neugründung und Koordination sozialistischer Mädchengruppen zu sorgen, welche mit den "Jungburschen" zusammen die "Sozialistische Jugendorganisation" (SJO) bildeten. Ebenso war sie in der Redaktion der Zeitung der SJO, der "Freien Jugend" tätig. Im Jahr 1919, während der Zeit der Münchner Räterepublik, reiste sie nach Dachau, wo sie als Sekretärin der Roten Armee fungierte. Sie war einerseits begeistert von der Revolution, andererseits jedoch ernüchtert von der Zerstrittenheit der KommunistInnen, der SozialdemokratInnen und den unabhängigen SozialistInnen, welchen sie beitrat. Nachdem der sozialdemokratische Befehlshaber der Regierungstruppen die Rote Armee zum Aufgeben zwang, landete sie im Gefängnis.


...und Gründerin der Roten Falken in der Schweiz

Im Jahr 1921 fand Anny in Norditalien Arbeit. Bald wurde sie jedoch verhaftet und landete als Kommunistin erneut im Gefängnis. Später reiste sie zurück in die Schweiz, wo sie in Bern Janis Klawa, einen lettischen Revolutionär und Typografen, kennen lernte. Die beiden heirateten 1922, im selben Jahr gründete Klawa-Morf die "Kinderfreunde Bern" nach dem Vorbild der gleichnamigen Bewegung in Österreich und in anderen Ländern. In Basel, Biel, Zürich, Winterthur und anderen Hochburgen der ArbeiterInnen-Bewegung wurden weitere Gruppen gegründet, die sich 1928 im "Landesverband Schweizerischer Kinderfreunde-Organisationen" (Lasko) zusammenschlossen. Es gelang den Kinderfreunden, in Belp ein Stück Land zu übernehmen, wo auch ein kleines Häuschen, das "Hüsi", errichtet wurde. Erstes Ziel war es, den Arbeiterkindern Freizeit im Grünen zu ermöglichen; aber das war nicht alles. In ihrer Biografie erzählt Anny Klawa-Morf: "Wir wollten mit den Kindern nicht nur basteln und spielen, sondern ihnen auch den Gedanken des Sozialismus näherbringen und sie zur Solidarität erziehen." Ein weiteres Anliegen war der Vorkämpferin für die Rechte der Frauen, die zu dieser Zeit beinahe revolutionäre Durchmischung und Zusammenarbeit von Mädchen und Jungen bei den Falken.


Emanzipatorische und sozialistische Erziehung heute

Um progressive Erziehungsformen, welche die Gegebenheiten unserer Gesellschaftsform ernsthaft in Frage stellen, gibt es im Moment keine öffentliche Debatte. Wir stellen jedoch fest, dass uns bereits in jungen Jahren zentrale Werte des Gesellschaftssystems vermittelt werden. Unsere Sozialisation durch Schule und Elternhaus beinhaltet erzieherische Mittel und Ziele, die keineswegs ideologiefrei sind. Sowohl die informelle als auch die institutionelle Erziehung und Bildung zielen auf die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse ab. Die Vermittlung von bürgerlichen Werten, Normen und Weltanschauungen geschieht manchmal sehr offensichtlich, oftmals aber auch ganz beiläufig und versteckt. Soziale Ungleichheiten werden reproduziert und gefestigt und Verhaltensweisen, wie zum Beispiel das Konkurrenzdenken, gefördert. Wir Falken erachten es als eine wichtige Aufgabe, auf emanzipatorische und progressive Weise erzieherisch tätig zu sein und den Mut zu haben, andere Werte als diejenigen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu vermitteln. An dieses Vorhaben gehen wir sorgfältig und differenziert heran: Kritische Reflexion der vergangenen Aktivitäten und unserer Werte und Handlungen bilden den Grundsatz der Arbeit der Falken-HelferInnen. Wir vermitteln durch aktives Vorleben Werte wie Solidarität, ökologisches Bewusstsein und die Emanzipation der Geschlechter. Während den Gruppenaktivitäten und Lagern versuchen wir aus den vorgespurten Erziehungsmustern auszubrechen und andere Arten des Zusammenlebens zu erleben. Durch die Mitbestimmung aller Gruppenmitglieder unabhängig ihres Alters und durch den Verzicht auf hierarchische Strukturen organisieren wir unsere Gruppe basisdemokratisch. In den Lagern halten die Kinder "Lagerrat" und lernen so, was es heisst, den Gruppenalltag selbstorganisiert zu gestalten. Auf diese Weise tragen die Falken dazu bei, dass sich selbstständig handelnde, kreative und solidarische Persönlichkeiten entwickeln können, die den Mut haben, ihre eigene Vernunft zu gebrauchen, die nicht autoritätsfixiert auf Anordnungen warten, sondern Lust haben, selbst zu gestalten - die weder Herrin noch Knecht sein wollen.

Wir freuen uns, wenn interessierte Kinder am Frühlingslager der Roten Falken Bern teilnehmen, um einmal Falkenluft zu schnuppern!

Weitere Infos unter:
www.bern.rotefalken.ch und www.rotefalken.ch

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 15/16/2012 - 68. Jahrgang - 6. April 2012, S. 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2012