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VORWÄRTS/812: Produktion und Verteilung des Reichtums


vorwärts - die sozialistische Zeitung, Nr.13/14 vom 23. März 2012

Produktion und Verteilung des Reichtums

Von Johannes Supe



Das bedingungslose Grundeinkommen von "linker" Seite ist ein riesiges Umverteilungsprogramm. Mehrere hundert Milliarden Franken müssten jährlich umverteilt werden, um ein bGE möglich zu machen. Doch während sich das bGE radikal in der Umverteilung gibt, bleibt es harmlos auf der Ebene der Produktionsverhältnisse. Eine Betrachtung.


Die kapitalistische Gesellschaft kennt die Ebene der Produktion und die Ebene der Verteilung. Die Ebene der Produktion umfasst die Erschaffung der Waren, wir rechnen ihr die Herstellung der Güter zu. Die Ebene der Verteilung betrifft die Art, wie die Waren "unter die Leute" gebracht und wie sie verbraucht werden.

Beide Ebenen gilt es zu betrachten, um die kapitalistische Gesellschaft zu begreifen. Bezüglich der Produktion ist wichtig, unter welchen Umständen die Waren - seien es nun Autos, Stühle oder Lebensmittel - hergestellt werden. Ebenfalls muss betrachtet werden, wer über die Produktionsmittel bestimmt. Produktionsmittel, das sind jene Voraussetzungen, um die Waren herstellen zu können - also etwa die Fabrik oder das Bürogebäude, die Geräte und Maschinen, die benötigt werden, um all die schönen Dinge des Lebens herzustellen. Was die Verteilung angeht, so ist hier die Hauptfrage, wer auf die Güter hauptsächlich zugreifen kann. Wie ist der Reichtum der Gesellschaft verteilt?

Beide Ebenen sind stark miteinander verwoben. Die kapitalistische Gesellschaft ist durch den Privatbesitz an Produktionsmitteln gekennzeichnet: Es ist eine kleine Klasse, die Bourgeoisie, welche die Fabriken, Maschinen und das nötige Kapital besitzt, um überhaupt produzieren zu können. Die übergrosse Mehrheit ist vom Besitz an Produktionsmitteln ausgeschlossen - sie wird natürlich dennoch in die Produktion der Waren miteinbezogen: als Arbeitskraft, nicht aber als mitbestimmender Produzent. Und so, wie die Bourgeoisie die Ebene der Produktion kontrolliert, hat sie auch den Zugriff auf die Mehrheit der Ressourcen dieser Gesellschaft. Wer einen Blick auf die Verteilung der Güter wirft, muss feststellen, dass sich die Mehrheit des Reichtums in der Hand derselben Minderheit konzentriert, die bereits die Produktionsmittel kontrolliert. Ein Beispiel: Rund 300 Familien besitzen in der Schweiz ein Vermögen von mehr als 450 Milliarden Franken, während über 150.000 Menschen trotz Arbeit zu den "Working Poor" zählen. Es zeigt sich, dass sowohl die Ebene der Produktion wie auch die Ebene der Verteilung von derselben Klasse dominiert werden.


Produktion über Verteilung

Diese Erkenntnis verwundert nicht wirklich. Erstens ist sie in die Alltagserfahrung der Menschen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft übergegangen, zweitens scheint die Verbindung von Produktion und Verteilung offenbar. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Ebenen von Produktion und Verteilung nicht gleichwertig sind. Die Produktion geht der Verteilung voraus. Was verteilt werden soll, muss zunächst geschaffen werden - bevor das Auto zum Tausch angeboten werden kann, muss es erstmal gebaut werden. Die Produktion geht der Verteilung aber nicht nur voraus, sie steht auch über ihr. Die Herrschaft über die Produktionsmittel schlägt direkt um in die Herrschaft über die Verteilung. In jeder bisherigen Klassengesellschaft (antike Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus und Kapitalismus) ging die Kontrolle der jeweiligen Produktion immer mit Privilegien im Verteilungsprozess einher. Der Sklavenhalter bestimmte via direktem Zwang über die Arbeitskraft der Sklavinnen; er konnte über das, was sie schufen, verfügen. Der Bourgeois bestimmt mittels Kapital über Arbeitskraft seiner Arbeiterinnen; letztlich schöpft er den Grossteil dessen, was sie produzieren, ab. "Wer's produzieren lässt, dem gehört's." - so könnte man das Prinzip der Klassengesellschaften zusammenfassen. Daraus folgt, was wir bereits gesagt haben: Die Produktion geht der Verteilung voraus und steht über ihr. Wer ernstlich die Verteilung der Güter in dieser Gesellschaft ändern wollte, würde sich damit befassen müssen, die Produktionsverhältnisse zu ändern.


bGE: Ein Verteilungsprogramm

An dieser Stelle schlagen wir den Bogen zum bedingungslosen Grundeinkommen. Das bedingungslose Grundeinkommen, so es denn von "linker" Seite propagiert wird, soll die Verteilungsungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft aufheben oder lindern. Armut und Not soll es nicht mehr geben. Freiheit vom Zwang der Arbeit und dennoch ein gesichertes Leben, das ist der Slogan der BefürworterInnen des bGE. In Anbetracht der dreistelligen Milliardenhöhe dieses Vorschlags (ein bGE in der Schweiz von nur 2.500 Franken monatlich würde bereits mehr als 200‍ ‍Milliarden kosten), müsste man tatsächlich von einer gewaltigen Neuverteilung des Reichtums dieser Gesellschaft ausgehen. Hier aber liegt die Crux der Sache: Das bGE behandelt die Ebene der Verteilung und bleibt auf der Ebene der Verteilung. Von einer Änderung der Produktionsverhältnisse ist nie die Rede, sie ist schlichtweg nicht vorgesehen. Wollte man das Programm des bGE kurz und bündig erläutern, so müsste man sagen: "Änderung der Verteilung bei gleichbleibenden Produktionsverhältnissen." Das ist illusorisch. Das ist utopistisch - es ist derselbe Utopismus, den wir bisher auf jeder Ebene des bGE gefunden haben.


Revolutionäre Umverteilung

Man stelle sich das vor: Jedes Jahr 200 Milliarden umverteilen. Und auch da ist es mit 200 Milliarden noch nicht getan, denn wollte man ein bGE, dass wirklich den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird und das nicht von ihnen selbst, sondern von der Bourgeoisie bezahlt wird, so kommt man leicht auf Beträge von 300 und mehr Milliarden pro Jahr. Die natürliche Reaktion auf einen solchen Vorschlag wäre: "Das ist Quatsch, das hat es noch nie gegeben." Dem ist allerdings nicht so: Das hat es sehr wohl schon gegeben. Als die DDR fiel, hat es eine gewaltige Änderung auf der Ebene der Verteilung gegeben, riesige Gewinne und mächtige GewinnlerInnen wurden da gemacht - in einem ebenfalls riesigen Umfang. Im Übergang von der Feudalherrschaft zur bürgerlichen Herrschaft wurden Grund und Boden völlig neu verteilt. Die Klasse des Adels wurde über Nacht eines Grossteils ihres Reichtums entledigt und dieser Reichtum an Boden wurde umverteilt. Derartig gewaltige Änderungen sind also nicht "beispiellos". Allerdings sind die Beispiele dieser Vorgänge revolutionärer oder reaktionärer Natur: Es bedurfte der französischen Revolution, um eine solche Umverteilung vorzunehmen, wie es den Zusammenbruch eines gesamten Staates brauchte, um dessen Eigentum zu privatisieren. Und in beiden Fällen gingen die Änderungen auf der Ebene der Verteilung einher mit Änderungen auf der Ebene der Produktion. Von der Leibeigenschaft zur Lohnarbeit, von der Planwirtschaft zum "freien Markt".


Ein Selbstbetrug

Wenn nun also das bGE, wie es von "linker" Seite gedacht ist, die völlige Neuverteilung des Reichtums fordert, so fordert es eine Unmöglichkeit. Es will die Reichtümer, die in den Händen der Bourgeoisie liegen, umverteilen, ohne die Macht der Bourgeoisie, die in ihrer Herrschaft über die Produktionsmittel liegt, zu brechen. Man will eine Revolution ohne Revolution. Wäre es den "Linken" ernst mit der "gerechteren" Verteilung des Reichtums, so müssten sie sich der Frage stellen, wie dieser denn hergestellt wird. Dieser Frage wird weitgehend aber ausgewichen. Verständlich, denn hier würde man in direkten Konflikt mit den Interessen der Bourgeoisie kommen. Ein Konflikt, den das bGE, eben weil es illusionär und utopistisch ist, nicht schürt. Einigen "Linken" ist der liebe Frieden denn auch den ein oder anderen Selbstbetrug wert...

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische Zeitung.
Nr. 13/14/2012 - 68. Jahrgang - 23. März 2012, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2012