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VORWÄRTS/802: Menschenstrom gegen Atom


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.07/08 vom 24. Februar 2012

Menschenstrom gegen Atom

Von Michi Stegmaier


Die Vorbereitungen für den dritten "MenschenStrom gegen Atom" laufen seit Monaten auf Hochtouren. Anlässlich des ersten Jahrestags der Atomkatastrophe von Fukushima rufen 165 Organisationen zum Demoumzug am 11. März 2012 auf. Gefordert werden die sofortige Ausserbetriebnahme der beiden veralteten AKWs Beznau und Mühleberg, die Konkretisierung des Atomausstiegs und ein rascher und konsequenter Umstieg auf erneuerbare Energiequellen.


Als vor zwei Jahren am Pfingstsonntag, 24. Mai 2010, über 5000 AtomkraftgegnerInnen am ersten "MenschenStrom gegen Atom" in Gösgen teilnahmen, ahnte wohl niemand, welche Brisanz und Aktualität die Debatte um die Nutzung der Atomenergie im folgenden Jahr erhalten würde. Damals zerbrachen sich nur die Wenigsten den Kopf über das so genannte "Restrisiko". Tschernobyl war Vergangenheit, längst verdrängt und vergessen. Höchstens die Bilder vom Castor-Transport, die Schatten der Kühltürme an sonnigen Sommertagen sowie die ungelöste Frage der Endlagerung riefen hierzulande gelegentlich ins Bewusstsein, dass auch die Schweiz auf die Atomenergie setzt. Dann kam das verheerende Jahrhundert-Erdbeben in Japan und mit ihm der Super-Gau in Fukushima. Und mit Japan traf es ein Land, welches für seine Zuverlässigkeit und seine hohen technologischen Standards bekannt ist. Das Undenkbare geschah, und die zivile Nutzung der Atomenergie wurde wieder ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte gerückt. Aufgerüttelt durch Fukushima nahmen am 22. Mai 2011 rund 20.000 Menschen am 2. MenschenStrom gegen Atom im aargauischen Beznau teil und setzten ein eindrückliches Zeichen gegen die Atomenergie. In den folgenden Tagen beschloss der Bundesrat den schrittweisen Atomausstieg bis ins Jahr 2034.


Sicherheitslücken in Mühleberg

Das geht vielen AtomkraftgegnerInnen zu wenig weit. Für sie ist klar, dass Gesellschaft und Politik auch weiterhin gefordert sind, ihre Stimme gegen die Atomkraft und für eine rasche und nachhaltige Energiewende zu erheben. "Mit dem Demozug wollen wir den Druck auf die EntscheidungsträgerInnen aufrecht erhalten, damit der Atomausstieg nicht zur reinen Absichtserklärung verkommt, sondern konkretisiert und zügig umgesetzt wird", betont Nina-Maria Kessler, Mediensprecherin von MenschenStrom gegen Atom, gegenüber dem vorwärts. So ist die Wahl des Kundgebungsorts für den 11. März kein Zufall. Denn Mühleberg gehört zu den ältesten Atomkraftwerken weltweit und ist praktisch baugleich mit dem Reaktorblock 1 von Fukushima. Und der Super-Gau in Fukushima hat technische Fragen aufgeworfen, die seitens der Betreiber nicht schlüssig beantwortet werden können und in der Vergangenheit nicht als potentielle Störfaktoren erkannt wurden. So kritisiert "Fokus Anti-Atom" die Sicherheitsmassnahmen des AKW Mühlebergs als unzureichend. Nach Einschätzung von Fokus Anti-Atom würde bei einem Bruch der Wohlensee-Staumauer das Kühlsystem von Mühleberg durch Geröll und Schlamm verstopft. Die Kühlung des Reaktors würde in kurzer Zeit zusammenbrechen. Auch für Nina-Maria Kessler ist klar, dass es so nicht geht. "Wir finden es untragbar, dass alte und gefährliche Risikoreaktoren wie das AKW Mühleberg trotz bekannter Sicherheitsmängel immer noch am Netz sind. Die OrganisatorInnen und TrägerInnen des MenschenStrom gegen Atom fordern deshalb, dass das AKW Mühleberg sofort vom Netz genommen wird", betont Kessler. Ebenso umstritten ist der weitere Betrieb des AKW Beznau, welches diesen Februar das älteste AKW der Welt (!) sein wird.


Zweifel am Atomausstieg

Aussagen seitens des ENSI, dass Mühleberg heute rund 100-mal sicherer sei als noch vor vierzig Jahren, dürfte die halbe Million Menschen in der Region wohl nur bedingt beruhigen, lässt es doch den Umkehrschluss zu, dass in der Vergangenheit russisch Roulette auf dem Buckel aller gespielt wurde. Nicht gerade eine vertrauensbildende Massnahme. Die Zweifel am Willen des Bundesrates und der Atomlobby für einen endgültigen Atomaustieg: sie bleiben bestehen. Und Skepsis ist durchaus angebracht. Dies zeigt etwa der Entscheid der BKW, von den 2800 Arbeitsplätzen rund 255 Stellen aus Spargründen abzubauen. Das Brisante an dieser Mitteilung von anfangs Februar: Abgebaut wird vor allem bei der Tochtergesellschaft "Sol-E Suisse AG", also ausgerechnet in der Sparte des Unternehmens, welche für die erneuerbaren Energien zuständig ist.


Stressiger Stresstest

Bis zum 31. März müssen die Schweizer AKW-Betreiber nun nachweisen, dass die Schweizer AKWs einem Erdbeben, wie es vielleicht nur alle 10.000 Jahre vorkommt, standhalten können. Das ist gerade für den Schrottmeiler Mühleberg zu bezweifeln. "Es ist nicht damit zu rechnen, dass dieser Nachweis erbracht werden kann", betont der Experte und Atomkritiker Jürg Joss gegenüber dem "Beobachter". Die Atomkatastrophe in Japan hat gezeigt, dass die Nutzung der Nuklearenergie eine unkalkulierbare Gefahr mit sich bringt. Was passiert, wenn es doch passiert? Nur ein sofortiger und unwiderruflicher Ausstieg aus der Atomenergie kann diese Frage wirklich befriedigend beantworten. Deshalb gilt es auch in diesem Jahr, am 11. März in Mühleberg ein starkes Zeichen für die erneuerbare Energien und einen endgültigen Atomausstieg zu setzen.

"3. Menschenstrom gegen Atom" - Sonntag, 11. März 2012,
Besammlung ab 8.30 Uhr, Bahnhof Gümmenen.
Mehr Infos zur Anreise unter: www.menschenstrom.ch


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 07/08/2012 - 68. Jahrgang - 24. Februar 2012, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. März 2012