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VORWÄRTS/757: Aufklärung über Repression


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34/2011 vom 23. September 2011

INLAND
Aufklärung über Repression

von Johannes Supe


Aufbau, vorwärts, Partei der Arbeit Zürich, das 1.-Mai-Komitee und das Kasama: Sie alle riefen zur Podiumsdiskussion "Dem Staat ist alles Recht, wenn es der Kontrolle dient" auf. Weit und Breit behandelt wurde das Thema der Repression, anhand von konkreten Fällen und juristischen Ausführungen.


Der Gelbe Saal des Volkshauses am Freitagabend, 16. September: Gut 100 Menschen versammeln sich, um die Ausführungen über Polizeieinsatz und politischen Prozess mit zu erleben und um mit zu diskutieren. Stickige Luft und der gut gefüllte Raum können sie davon nicht abschrecken.


Politische Prozesse

Mit Marcel Bosonnet, Thomas Schaad und Viktor Györffy waren gleich drei Juristen anwesend. Als Anwalt von Andrea Stauffacher sprach Marcel Bosonnet zuerst über ihren Prozess. Erschreckend, was sich da zeigt: Delikte, die beinahe verjährt sind, werden von der Bundesstaatsanwaltschaft in aller Eile wieder aufgerollt, teils unter fragwürdigsten Konstrukten. So werden Andrea Stauffacher etwa "Sprengstoffanschläge" vorgeworfen, nur ist der "Sprengstoff" im juristischen Sinne keiner, da es sich um handelsübliche 1.August-Raketten handelt. Möglich wird die Anklage durch eine Umdeutung des Sprengstoffbegriffes durch das Bundesgericht. Eine Umdeutung, die wohlfeil genau und allein auf Fälle wie den von Andrea Stauffacher zugeschnitten ist. Jedoch zeige sich der politische Charakter des Prozesses am deutlichsten im Umgang mit dem Beweismaterial. Zu diesem habe die Staatsanwaltschaft unbeschränkten Zugang: Geheimakten, Observationsprotokolle und derlei mehr liegen in ihren Händen. Was vorgebracht wird, ist willkürlich. Und willkürlich ist auch, welches Material der Verteidigung übergeben wird. So haben etwa entlastende Observationsergebnisse nur durch Zufall ihren Weg in die Hände der Verteidigung gefunden. Eine Praxis, die vom Gericht gebilligt wird. Auf die Frage, ob die Observationsprotokolle nicht vollumfänglich der Verteidigung übergeben werden müsse, wurde geantwortet: "Nein, die sind ja gar nicht belastend."


Grundrechte werden nicht geschenkt

Thomas Schaad besprach die Frage der Aushöhlung des Streikrechtes. Und er beantwortete sie gleich am Anfang: "Um das Streikrecht auszuhöhlen, müsste es ja erstmals ein Streikrecht geben". Und schaue man in die Verfassung, so stelle man fest, dass das Recht zu streiken enorm eingeschränkt sei. Der Streik müsse sich spezifisch auf die Arbeitsbedingungen beziehen, verhältnismässig sein und dürfe nur als letztes Mittel gebraucht werden. Solidaritätsstreiks oder Streiks mit politischem Charakter und ein Generalstreik sind damit ausgeschlossen. So seien "von allen möglichen Streiks nur sehr wenige legal möglich". Auch breite sich eine neue Praxis aus: GewerkschafterInnen bekommen Hausverbote, um sie so von den Arbeitsstellen, gerade im Baubereich, fernzuhalten und sie im Falle eines Streiks verhaften lassen zu können.

Als letzter Anwalt sprach Viktor Györffy. Er führte das Anwachsen polizeilicher Massnahmen aus, wie wir es etwa um den 1. Mai oder gegen Mitglieder der Fussballszene erleben. Für ihn zeigt sich vor allem die besorgniserregende Tendenz, dass Massnahmen an der einen Gruppe ausprobiert und bei Erfolg auch auf die Nächsten angewandt werden. Besonders bedrohlich seien dabei die Überlegungen der Polizei zu bewerten. Diese verhalte sich zunehmends pragmatisch, angewandt wird, was funktioniert. Die eigentlich notwendige grundrechtliche Überlegung rücke dabei immer mehr in den Hintergrund. Und: Einmal etabliert, fresse sich eine solche Massnahme durch die Gesellschaft. So kommt Györffy zu einem Schluss: "Grundrechte, die gibt es nicht einfach, um die muss man immer wieder kämpfen."


Eine politische Antwort finden

Nach den Ausführungen der Juristen folgte eine durchaus angeregte Diskussion. Spürbar war das Interesse am Thema auch dadurch, dass Nachfrage auf Nachfrage, gerade rund um den Internetpranger folgte. Die beiden vielleicht wichtigsten Beiträge: "Wir haben durchaus Unterschiede hier, und die sollten wir auch nicht weg diskutieren. Aber wir gehen entweder gemeinsam vor, oder geben uns der Ghettoisierung preis. (...) Es geht vor allem darum, über die eigenen Positionen hinweg eine Solidarität aufzubauen." Die Ansprache von Andrea Stauffacher. obwohl angeklagt, war kämpferisch: "(...) Es lag schon lange in der Luft, dass wieder ein Angriff kommt. (...) Sie haben uns den Fehdehandschuh hingeworfen, und nun müssen wir ihn zurückwerfen. Es geht darum, das als Bühne zu nehmen. Die Antwort kann nur eine politische sein! (...)" Das betont zu haben, ist dann durchaus auch ein Verdienst der Veranstaltung gewesen.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34/2011 - 67. Jahrgang - 23. September 2011, S. 8
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2011