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VORWÄRTS/740: Geldsäcke-Verschwörung?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.23/24/2011 vom 24. Juni 2011

Geldsäcke-Verschwörung?

Von Thomas Schwendener


Am 12. Juni ging die diesjährige Bilderberg-Konferenz zu Ende. Drei Tage lang hatten im Hotel Suvretta House in St. Moritz etwa 130 vorwiegend männliche Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Militär, Adel und Medien getagt und diskutiert.


Um die jährlich stattfindende Bilderberg-Konferenz ranken sich seit einigen Jahren Verschwörungstheorien. Und so wurden die Teilnehmenden, die überwiegend in verdunkelten Limousinen angereist waren, von etwa 200 AktivistInnen aus dem Verschwörungsmilieu in Empfang genommen. Dass im Umfeld des Treffens solche Theorien wuchern, haben sich die Organisatoren selber zuzuschreiben: Es wird von den Teilnehmenden absolutes Stillschweigen über den Inhalt der Konferenz gefordert. Wer nicht ausdrücklich eingeladen wurde, der kriegt keinen Einblick in die Diskussionen und in getroffene Vereinbarungen. Das musste dieses Jahr auch Mario Borghezio, Europaparlamentarier der italienischen "Lega Nord", am eigenen Leibe erfahren. Er holte sich beim Versuch, ohne Einladung in die Räumlichkeiten der Konferenz zu gelangen, eine blutige Nase.


Interessen des dicken Geldbeutels

Zu den diesjährigen Teilnehmenden zählte nebst den Schweizern Daniel Vasella (Novartis-Verwaltungsratspräsident), Josef Ackermann (Chef der Deutschen Bank) und Peter Brabeck (CEO von Nestlé) auch die Bundesrätin Doris Leuthard. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass an einer solchen Konferenz nicht über Mindestlöhne oder längere Ferien für ArbeiterInnen diskutiert wird, sondern die Interessen des dicken Geldbeutels überwiegen. Am Treffen werden wahrscheinlich gemeinsame Strategien zur Erhöhung der Profite erarbeitet oder Voraussetzungen und Ziele eines künftigen Krieges diskutiert. Oder marxistischer formuliert: Hier werden die Interessen von Staat und Kapital verhandelt. Die Vorstellung allerdings, dass die Teilnehmenden alle am selben Strang ziehen oder gar eine internationale Verschwörung anzetteln, verkennt wichtige Fakten.

Die Teilnehmenden vertreten die Partikularinteressen ihrer Unternehmen oder ihrer Nationalstaaten. Zwar ist allen Unternehmen gemein, dass sie möglichst viel Mehrwert aus ihren Angestellten pressen wollen. Doch wenn es hart auf hart kommt, sind sie doch wieder bloss Konkurrenten auf dem kapitalistischen Markt. Dasselbe gilt für das Personal der teilnehmenden Nationalstaaten. Sie dürften zwar gerade in Zeiten der Krise und der Aufstände und Proteste gemeinsame Interessen haben, doch im Endeffekt setzt sich doch immer wieder der nationale Standpunkt durch. Zudem sind die Mächtigen häufig selber mehr Getriebene der Ereignisse als die Planer, die sie gerne wären. Es werden natürlich gemeinsame Strategien und Massnahmen verhandelt, wie man die Kapitalakkumulation auch weiterhin möglichst reibungslos abwickelt. Aber gerade die Krise, die sich unterdessen zur Staatsschuldenkrise gemausert hat, wie auch die Aufstände in der arabischen Welt und der Widerstand an anderen Orten, dürften beweisen, dass es in der kapitalistischen Realität oft anders kommt, als von den Herrschenden geplant.

An den Bilderberg-Konferenzen dürfte also weit weniger Zukunftsweisendes umgesetzt werden, als dies Verschwörungstheorien behaupten. Und so wäre es angebrachter, sich an anderen Orten einzumischen und einzusetzen, wenn man etwas am Lauf der Welt verändern will. Aktuelle Zahlen zeigen zum Beispiel, dass in der Schweiz die grössten Unternehmen fette Gewinne einfahren, diese Gewinne aber die ArbeiterInnen nicht erreichen - ganz ohne Verschwörung der Mächtigen. Man müsste also dort ansetzen, wo sich ArbeiterInnen dagegen wehren, dass sie weiterhin von jenen verwaltet und ausgebeutet werden, die sich an der Bilderberg-Konferenz treffen.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24/2011 - 67. Jahrgang - 24. Juni 2011, S. 2
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juli 2011